Das Blut ermöglicht 70 Prozent der Diagnosen
Gespräch mit Prof. Dr. Berend Isermann vom Universitätsklinikum Magdeburg
Ob Krankheit oder Routine-Untersuchung – oftmals gehört eine Blutentnahme dazu. Doch was passiert dann? Wie wird das Blut untersucht, was kann es den Medizinern verraten? Welche Untersuchungen gibt es, welche Unterschiede? Ein Gespräch mit Professor Berend Isermann, Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Pathobiochemie an der Otto-von-Guericke-Universität.
Herr Professor, wie wichtig ist es, das Blut zu untersuchen?
Berend Isermann: Durch Statistiken weiß man, dass 60 bis 70 Prozent der Diagnosen wesentlich oder sogar allein aufgrund der Ergebnisse von Blutuntersuchungen gestellt werden. Die Blutuntersuchung – oder auch die von anderen Körperflüssigkeiten wie Urin oder Liquor (Hirnwasser) – ist damit ein wesentlicher Bestandteil der Diagnosefindung, aber auch der Therapie-Überwachung. Ganz wichtig ist außerdem das Screening (vorbeugende Untersuchung) von Neugeborenen auf Krankheiten, die gut behandelt werden können. Auch bei Erwachsenen werden bestimmte Risikofaktoren altersabhängig untersucht, wie zum Beispiel die Blutfette.
Die Rede ist oft von kleinem und großem Blutbild – was ist der Unterschied?
Letztlich geht es darum, wie genau wir hinsehen. Entweder geht es grob um die Menge der unterschiedlichen Blutzelltypen, wie weiße Blutzellen, rote Blutzellen, Blutplättchen, oder es geht es um die weißen Blutzellen und deren Subtypen, die unterschiedliche Aufgaben haben. Letzteres ist bei Entzündungen z.B. wichtig.
Wann ist ein größeres Blutbild erforderlich?
Es kommt auf die Fragestellung an. Geht es primär um eine
Anämie-Abklärung, reicht das kleine Blutbild. Bei Verdacht auf eine Entzündung oder Tumore braucht man das große Blutbild.
Blut wird an unterschiedlichen Stellen des Körpers abgenommen, am Ohr, Arm, Finger ... Wie entscheidend ist das?
Es sind unterschiedliche Blutproben. Am Ohr oder am Finger wird kapillares Blut gewonnen – es werden nur Blutstropfen entnommen. Das reicht für einige Untersuchungen, wie zum Beispiel die Blutzuckerbestimmung, aus. In der Armbeuge wird venöses Blut entnommen – und in größeren Mengen, wenn mehr untersucht werden soll. Zum Teil unterscheiden sich die Werte in Abhängigkeit vom Entnahmeort. Deshalb ist es für uns im Labor immer wichtig zu wissen, von welcher Stelle die Probe stammt. Das brauchen wir für deren Interpretation.
Deshalb unterschiedliche Farbmarkierungen der Ampullen?
Das ist ein Aspekt, de Facto beginnt die Analytik bereits in dem Röhrchen. Das Blut wird unterschiedlich vorbereitet durch verschiedene Gerinnungshemmer, die das Blut flüssig halten – oder auch gerinnen, also fest werden lassen. Ob rote Blutzellen oder die Eiweiße – alles braucht eine andere Vorbereitung. Die unterschiedlichen Farben zeigen, welche Zusätze in dem Röhrchen sind.
Was passiert mit einer Blutprobe? Wie ist der Ablauf?
Ganz wichtig ist, dass vorher feststeht, was gemessen werden soll. Die Indikations- oder Fragestellung muss klar sein. Danach erfolgt die Abnahme und der Transport ins Labor, der unterschiedlich organisiert ist. In großen Kliniken mit Notfallambulanz wie bei uns in der Uniklinik, ist die Probe innerhalb von 10 Minuten im Labor. Dazu nutzen wir eine Rohrpost. Die Rohrpost ist aber nicht so schnell wie im Büro oder so, damit das Blut bzw. die -zellen nicht kaputt gehen. Ein Teil von der Probe wird zentrifugiert, das heißt: Es werden die festen Bestandteile, die Blutzellen, von den löslichen, Plasma oder Serum, getrennt und separat weiter verarbeitet. Die Proben sind zudem markiert, damit wichtige Proben erkannt und abgearbeitet werden. Das übernehmen die MTAs, die Medizinisch-Technischen Assistenten, rund um die Uhr. Dieser Ablauf ist in einem Labor an der Uniklinik personell rund um die Uhr gesichert. Bei anderen Kliniken oder Praxen dauert der Transport deutlich länger. Dann sind Besonderheiten bei der Probenvorbereitung zu beachten.
Die Untersuchungen selbst werden aber automatisiert vorgenommen?
Nicht alles, aber ein großer Teil. Wobei man das nicht unterschätzen darf. Es ist keine Blackbox, in die man vorn die Probe eingibt und hinten kommt der Befund raus. Es ist sehr effizient, aber der Aufwand, um die richtigen Ergebnisse sicherzustellen, ist nicht unerheblich. Wenn 60 bis 70 Prozent der Diagnosen aufgrund dieser Untersuchungen gestellt werden, muss unbedingt äußerst präzise gemessen werden. Wir Labormediziner haben uns diese Sicherstellung ganz groß auf die Fahne geschrieben. Die Labormedizin betreibt seit den 1960er Jahren ein Qualitätsmanagement. Wir sind Vorreiter bei der Qualitätssicherung in der Medizin. Damit sichergestellt ist, dass der Patient richtig versorgt wird.
Wie gewährleisten Sie diese Qualität? Durch Stichproben?
Es gibt mehrere Ebenen. Zunächst wird jeder Befund hinsichtlich seiner Plausibilität überprüft. Bestimmte Laborparameter können sich mit einer gewissen Kinetik (Zeitverlauf) ändern. Ein Wert kann sich nicht innerhalb von zwei Stunden halbieren. Weiterhin nehmen wir Stichproben. Zusätzlich gibt es externe Ringversuche. Mindestens vier Mal im Jahr werden wir überprüft. Wir bekommen Proben zugeschickt von zentralen Stellen, die staatlich gesichert sind. Wir wissen nicht, was sie enthalten, müssen sie messen und zurücksenden. Würden wir diese Prüfung wiederholt (mehr als 2-mal) nicht bestehen, würde das zur Sperrung führen. Das gibt es so nur in der Labormedizin.
Das gibt ein Gefühl von Sicherheit ...
Das soll auch so sein. Wir im Bereich der Labormedizin müssen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass alles fehlerfrei ist. Wenn es zu Fehlern kommt, passieren sie meist in der sogenannten Präanalytik, also bevor das Blut zu uns kommt. Wenn es zu lange liegt, vertauscht oder ein falscher Patientenkleber angebracht wird. Es wird daran gearbeitet, auch das zu verbessern.
Wenn man weiß, wie viel aus einer Blutuntersuchung herausgelesen werden kann – warum werden sie nicht öfter gemacht? Ist das zu aufwändig, zu teuer?
Natürlich kostet das Geld. Jede Laborleistung kostet. Der Laborpreis ist im internationalen Vergleich in Deutschland aber recht niedrig. Dennoch weiß jeder, der einen Haushalt führt, dass man verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen muss – auch wenn es preiswert ist. Hinzu kommt: Je mehr ich teste, desto eher finde ich auch Befunde, die vielleicht zufällig leicht von der Norm abweichen. Die Norm definiert sich durch Werte von 95 Prozent aller Untersuchten. Das heißt schon per Definition, dass 5 Prozent außerhalb der Norm liegen. Wenn ich also bei 100 Patienten Blut entnehme, sind bei mindestens 5 Prozent Werte rein zufällig auffällig. Diese Befunde müssen dann vom Labormediziner und dem betreuenden Arzt interpretiert werden, ob die Abweichung relevant ist oder nicht. Wenn man ständig alles messen würde, würde das zur Verunsicherung von Patienten führen. Daher ist ein sinnvolle Indikationsstellung von Laboruntersuchungen durch einen Arzt so wichtig.
Es heißt, um Kosten so gering wie möglich zu halten, werden Blutproben archiviert. Wie lange sind sie haltbar?
Das kommt darauf an. Gerinnungsparameter sind maximal vier Stunden nach der Abnahme noch messbar. Andere Blutproben kann man bis zu einer Woche aufheben, pauschal kann man das nicht sagen. Bei gefrorenen Proben ginge das länger, bei der Masse der Blutproben ist das aber nicht praktikabel.
Es handelt sich allerdings nicht um das Blut, das aus der Vene abgenommen worden ist. Die Proben enthalten bereits Zusätze, sind in der Regel zentrifugiert. Das Produkt, das man für die Messung verwendet, kann man aufheben. Rohblut von der Abnahme muss relativ rasch bearbeitet werden, idealerweise innerhalb von einer Stunde.
Warum wird in Zellen, Plasma und Serum getrennt?
Zellen haben andere Inhalte als Plasma oder Serum. Wenn mich nur interessiert, was der flüssige Bestandteil enthält, was primär auf den Körper wirkt, dann trenne ich das vorher. Kalium beispielsweise ist in den Zellen sehr hoch, im Plasma relativ niedrig. Wenn ich das nicht vorher trenne, bekomme ich falsche Werte, was gefährlich wäre.
Ein Herzinfarkt ist durch Laborwerte nachweisbar. Lässt sich auch sonst feststellen, wo im Körper eine Entzündung vorliegt?
Leider nicht generell. Beim Herzinfarkt gibt es einen gewebespezifischen Marker, bei anderen Organen nicht. Aber bestimmte Kombination von Laborwerten lassen in der Regel dennoch eine Aussage zu, ob zum Beispiel Leber oder Bauchspeicheldrüse betroffen sind und zu einer klinischen Symptomatik führen. In anderen Fällen ergibt es sich aus der Zusammenschau von Laborbefund, Angaben des Patienten, also Anamnese, oder Bildgebung, so dass man einen Befund erstellen kann. Die sogenannte Biomarkerforschung arbeitet daran, für weitere Organe wie zum Beispiel der Niere, spezifische Marker zu finden. Es gibt Fortschritte, aber noch ist es nicht so weit.
Was sind die häufigsten Erkrankungen, bei denen Laboruntersuchungen sinnvoll sind?
Bei der Fülle der Krankheiten ist es schwierig zu pauschalisieren. Erkrankungen des Stoffwechsels kann man gut abklären, weil wir die Hormone, die Botenstoffe, gut messen können. Bei großen Organen wie Leber, Bauchspeicheldrüse, Niere und Herz gibt es gute Marker. Bluterkrankungen – ob Eisen- oder Vitaminmangel – lassen sich gut abklären, dafür haben wir sehr gute Methoden.
Wann empfiehlt sich eine Blutuntersuchung? Bei Schmerzen, im zunehmenden Alter – auch prophylaktisch?
Wenn jemand gesund ist, halte ich das pauschal nicht für sinnvoll. Es gibt Ausnahmen, beispielsweise bei bestimmten Vorbelastungen, wie z. B. Lebererkrankungen. Es ist zudem sinnvoll, in regelmäßigen Abständen bei jungen Erwachsenen, wenn sie zur Bundeswehr gehen oder anfangen zu arbeiten, wenn im Auftrag der Arbeitgeber der Betriebsarzt die Tauglichkeit feststellt, Blutuntersuchungen zu machen. Wenn sich jemand prophylaktisch untersuchen lassen will, ohne dass ein Grund vorliegt, wäre ich vorsichtig. Das kann, wie oben ausgeführt, auch zu einer Verunsicherung führen.
Manchmal muss man nüchtern zur Blutabnahme, manchmal nicht. Welche Auswirkungen hat das?
Es hängt davon ab, welche Parameter ich messen will. Geht es um den Blutzucker, ist dieser nach dem Essen natürlich viel höher. Dann ist es nicht mehr so gut interpretierbar, weil die Untersuchenden nicht wissen, was, wann und wie viel gegessen wurde. Das bräuchte ich für die Interpretation. Das Gleiche gilt bei Blutfetten. Wenn die Parameter nicht so empfindlich oder stoffwechselabhängig sind, muss der Patient nicht nüchtern sein.
Was sind die häufigsten Diagnosen?
Sie betreffen die Volkskrankheiten: Diabetes, Blutfette, Schilddrüsenerkrankungen, gerade in Jod-Mangelgebieten. Veränderung des Blutbildes, die mit Eisenmangel einhergehen, sind gerade bei jungen Frauen häufiger. Es gibt also regionale, geschlechtsspezifische und altersabhängige Besonderheiten. Fragen: Birgit Ahlert