Wohlsortiert durchs Labyrinth des Lebens

Foto: Peter Gercke

Das Fachmagazin „Börsenblatt“ kürt in regelmäßigen Abständen besondere Buchhandlungen – das „Fabularium“ in der Magdeburger Innenstadt wurde im Frühjahr zu einer der schönsten Buchhandlungen Deutschlands ernannt. Für Inhaberin Dorle Lange ein weiterer Beweis, dass sie sich für den richtigen Weg entschieden hat.
Übersichtlich wirkt der Raum, der sich in der Grünen Zitadelle befindet – abgewandt vom Breiten Weg, vom Kloster Unser Lieben Frauen angezogen. Übersichtlich. Damit ist keinesfalls gemeint, dass es hier wenig zu sehen gibt. Obgleich natürlich sofort auffällt, dass das Fabularium nicht mit der Masse an Büchern aufwartet, die in den großen Filialen gewisser Ketten zu finden ist. „Übersichtlich“ soll lediglich zum Ausdruck bringen, dass hier alles gut sortiert und leicht zu überschauen ist – bei einer Vielfalt, die von Kinderbüchern, Kochbüchern, Werken aus der Region, Lyrik, Geschichtsbüchern bis hin zu bibliophilen Ausgaben reicht. Es heißt nicht vergebens „Fachgeschäft für wohlsortierte Buchstaben“. Das Gesicht eines jeden Buches ist sofort zu erkennen. Zwar kann auch ein Buchrücken entzücken. Doch Dorle Lange, Inhaberin des Fabulariums, hält nicht viel davon, die Bücher – Rücken an Rücken in ein Regal gereiht – zu verstecken. „So sieht man das jeweilige Buch gar nicht richtig, es gibt keinen Anreiz, das Buch in die Hand zu nehmen, es durchzublättern.“
Auf Tischen inmitten des Raumes – selbstverständlich wohlsortiert – liegend oder mit dem Cover nach vorne gewandt im Regal aufgestellt, öffnen sich die Bücher dem Besucher des Fachgeschäfts für wohlsortierte Buchstaben. So, wie sich auch Dorle Lange den Büchern und dem Gedanken, einen Teil ihres beruflichen Lebens als Buchhändlerin zu verbringen, öffnen musste. „Meine Mutter war Buchhändlerin“, erzählt die 52-Jährige Magdeburgerin. „Ich bin mit Büchern groß geworden. Aber es ist mir erst viel später bewusst geworden, in welch einem Kulturparadies ich aufgewachsen bin.“
Damals, als Jugendliche, sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, in dem Laden auszuhelfen, den ihre Mutter von einem Buchhändler übernommen hatte. Doch irgendwann drängte sich die Frage auf, was das Leben – abgesehen von Büchern – zu bieten hat. „Ich musste meinen eigenen Weg finden“, sagt Dorle Lange heute. Und dieser Weg hatte zunächst nichts mit Büchern zu tun. Er führte sie u.a. nach Haldensleben, wo auch ihre beiden Kinder aufwachsen sollten. „Ich hatte damals ein Interesse für Naturheilkunde entwickelt und machte eine Ausbildung zur Heilpraktikerin.“ Dass sie eine Praxis in Haldensleben eröffnete, akzeptierten ihre Eltern. „Ich denke, sie wussten, dass ich meinen eigenen Weg finden musste – so, wie das auch meine Schwester und mein Bruder getan haben.“ Aber die räumliche Nähe blieb. Ebenso wie das Interesse für Literatur.
„Als meine Mutter krank wurde, bat sie mich schließlich, ihr unter die Arme zu greifen und die Buchhandlung zu übernehmen“, erinnert sich die 52-Jährige. Sie übte sich zunächst im Spagat – einige Tage als Angestellte bei der Mutter in Magdeburg, einige Tage in der eigenen Praxis in Haldensleben. „Das konnte nicht lange gut gehen“, sagt Dorle Lange und lächelt dabei ein wenig gequält. „Ich war überfordert mit der Situation, konnte mich auf keine der beiden Wege richtig konzentrieren. Und so musste ich eine Entscheidung treffen.“ Wie schwer ihr diese Entscheidung gefallen sein muss, lässt sich nur erahnen, während sie davon erzählt.
Auch wenn es kein leichter Schritt war, ihre Praxis zu schließen, war es für Dorle Lange – aus heutiger Sicht – der richtige. „Ich bin zufrieden, dass es sich so entwickelt hat. Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt, um sich für diesen oder jenen Weg zu entscheiden und sein Leben umzukrempeln. Es ergibt sich aus der Verkettung diverser Umstände eine Gelegenheit und entweder man nutzt sie und wagt einen Neuanfang oder man macht weiter wie bisher.“ Für die Buchhändlerin, wie sie selbst zugibt, keine Selbstverständlichkeit, denn sie schätzt sich selbst eher als vorsichtigen, fast ängstlichen Menschen ein.
Als sie sich die Räumlichkeiten des im Bau befindlichen Hundertwasserhauses anschaute, um dort eventuell ihr Fachgeschäft für wohlsortierte Buchstaben zu eröffnen, kam diese Zurückhaltung wieder zum Vorschein. „Nach der Wende hatten meine Eltern einen Bürobuchhandel für Fachliteratur, den ich zwar weiterführte, der aber nicht das passende war.“ Das Kulturparadies aus früheren Tagen, inmitten dessen sie aufgewachsen war, sollte es sein. „Also sah ich mich nach Möglichkeiten für einen Laden um, unter anderem hier in der Grünen Zitadelle. Die Miete schreckte mich jedoch zunächst ab.“ Erst ein Anruf des Siedlungswerks und der Hinweis, dass eine besondere Buchhandlung in eine besondere Umgebung gehört, veranlassten Dorle Lange, sich die Räumlichkeiten tatsächlich anzuschauen. „Und es passte einfach.“
Mehrere Male, während die Bauarbeiten fortschritten, sah sich die Buchhändlerin in ihrem zukünftigen Geschäft um und setzte in Gedanken die Einzelteile zu einem fertigen Puzzle zusammen. „Glücklicherweise habe ich Unterstützung von einem Tischler erhalten, der genau wusste, was ich wollte.“ Eben keine Standard-Regale, sondern eine Einrichtung, die in das Ambiente des Hundertwasserhauses passt, die dem Raum ein freundliches Antlitz verleiht und mit der sich die Bücher so präsentieren lassen, dass es deren Inhalt gerecht wird. Schließlich musste noch ein Name her, bevor der Laden am 1. Dezember 2005 eröffnet werden konnte. „Mein Bruder hat mich bei der Suche unterstützt. Aus einigen Gedankenspielereien ist dann das Fachgeschäft für wohlsortierte Buchstaben entstanden“, schildert Dorle Lande. Noch etwas zu sperrig, um als Name dienen zu können. „An meinem Geburtstag präsentierte plötzlich mein Bruder auf seinem Laptop ein Logo – darüber die Wortschöpfung Fabularium. Das war ein großartiges Geschenk.“
Der Eröffnung stand nun nichts mehr im Weg. Das wichtigste an diesem Tag für die Inhaberin: „Ich wollte, dass meine Mutti die erste ist, die diesen Laden betritt … das habe ich ihr auch gesagt.“ Der Rest sei relativ unspektakulär verlaufen. „Da ich damals noch in Haldensleben gewohnt habe, kannte ich in Magdeburg nicht so viele Menschen. Das musste sich alles erst ergeben“, sagt Dorle Lange. Es sollte ein Ort für Kreatives entstehen – ein Kulturparadies. „Mit der Zeit hat sich das so entwickelt. Ich habe Kontakte geknüpft, zu Lesungen eingeladen und auch Ausstellungen kamen schließlich hinzu“, für die die Galerie im Flur Platz bietet. Das wissen viele Menschen inzwischen und informieren sich regelmäßig über die Veranstaltungen im Fabularium.
Es sind auch diese Menschen, die das Besondere an dem kleinen Buchladen im Hundertwasserhaus zu schätzen wissen. Nach all den Jahren hat Dorle Lange ihre Stammkunden gut kennengelernt, weiß, wofür sie sich interessieren, was sie bewegt, gibt ihnen literarische Tipps und lässt sich von Gesprächen inspirieren. Das Vordergründige – das Angebot der großen Verlagsketten – spielt keine Rolle im Fachgeschäft für wohlsortierte Buchstaben, das übrigens auch eine unsortierte Stelle vorzuweisen hat. „Der Schreibtisch“, sagt die Inhaberin und lacht, „der ist die Schwachstelle. Dort stapeln sich Unterlagen – der gesamte Bürokram, der erledigt werden muss und der den Beruf des Buchhändlers in einem weniger romantischen Licht erscheinen lässt.“
Von Bedeutung sind im Fabularium vor allem Bücher, die sich mit dem Zeitgeist und mit den Fragen des Lebens beschäftigen. „Das wichtigste ist, dass sich die Besucher hier wohlfühlen und sich dazu hinreißen lassen, an das Eigentliche, das Essentielle im Leben zu denken“, meint die Buchhändlerin.
Das Wesentliche komme ihr hauptsächlich dann in den Sinn, wenn sie sich bewusst macht, an welchem Ort sich ihr Laden befindet – in der Grünen Zitadelle, nebenan der Landtag, der Domplatz und der Dom. „Dann denke ich darüber nach, was in dieser Welt geschieht und fühle mich in meinem Geschäft wie im Uhrenkasten des siebten Geißleins.“ Und dann lächelt Dorle Lange wieder – diesmal keineswegs gequält –, weil sie weiß, dass sie sich damals für den richtigen Weg entschieden hat. Tina Heinz

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