Turandot und Winke-Katze

Inmitten des Proberaums auf dem Tisch steht eine große goldene Winke-Katze. Wie ein Metronom hebt und senkt sie ihren Winke-Arm. Klick klick klick. In China gilt sie als Glückskatze und im Proberaum der Kammerspiele steht sie symbolisch für den Handlungsort der nächsten Inszenierung von „Olvenstedt probiert’s“. Atmosphäre ist wichtig für das Spielgefühl. Einige Schauspieler tragen leichte Mäntel, um sich in ihre Rollen zu finden. Susanne Bard hat sich einen Blumenreif ins Haar gesteckt und umhüllt sich mit einem roten Umhang. „Sprich, Alter!“ sagt sie plötzlich in Magdeburger Mundart und die ersten Lacher kommen von den Nicht-Spielern. Dazu gehört Autor Dirk Heidicke, der abseits der Spielfläche Platz genommen hat, um den Proben zu folgen. Auch Regisseur Oliver Breite lächelt. Die Kammerspiele Magdeburg begeben sich erneut auf einen schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und lustiger Unterhaltung. Wobei beides kaum zu trennen ist, wird doch die gesamte Inszenierung mit ernsthafter Genauigkeit vorbereitet. Überall gleichzeitig scheinen die Blicke des Regisseurs zu sein, genau auf Details achtend. Sei es ein Blick oder eine Handbewegung, alles muss passen.

Währenddessen wird Susanne Bard zur Prinzessin Turandot. Gerade Haltung, große Gesten. „Ich will, dass er spricht!“ Ruhe. Nur die Katze winkt. Klick klick klick. Eigentlich ist es eine recht grausame Szene, die heute geprobt wird. Die legendäre Turandot nämlich lässt jeden Freier, der ihr intellektuell nicht gewachsen ist und ihre Rätsel nicht lösen kann, gnadenlos enthaupten. Soweit geht diese Szene nicht, doch um Folter geht es schon. Und ausgerechnet „Pinsel“, der friedliebende Jugendklubleiter aus Gerwisch, soll in der Olvenstedter Theatergruppe diese Rolle übernehmen. Erst angewidert, dann enthusiastisch dreht er am „Strick“, der um den Hals der jungen schönen Liù gelegt ist. Sie schweigt dennoch, um den Mann zu schützen, den sie liebt: Kalaf. Der jedoch möchte die Prinzessin heiraten. Eine bewegende Szene. Gänsehaut. Dann klingt es von der Seite: „Da lächelt man einmal im Leben in der Gegend rum und dann sowas.“ Gesagt von „Ente“, der in der Olvenstedter Gruppe den Kalaf spielt. Erlösendes Lachen.
Ganz nach Tradition wird auch in dieser Folge wieder Einiges verwoben. Die Beziehungen und Liebeleien in der Olvenstedter Theatergruppe mit dem Geschehen des Klassikers um Turandot. Das bricht während des Spiels immer mal wieder durch, in kleinen Biestigkeiten oder Bändeleien. Das lockert auf und verleiht dem Ganzen die besondere Note. Einige Rollen wurden umverteilt. So gibt es diesmal eine Regisseurin – nach Abwesenheit von „Basti Wiese“ alias Gerald Fieder (er hat ein festes Engagement am Theater Augsburg) und „Regieverbot“ von „Ente“ nach dem letzten Drama um Hänsel und Gretel in der Winterfolge 2018.

Nach dem Grimmschen Märchen sei es Zeit für Oper, meinte Autor Dirk Heidicke und recherchierte umfangreich zu „Turandot“, dessen Thema   viel weiter zurück geht als Puccinis Werk – sie gilt wohl als Höhepunkt einer Vielzahl von Vertonungsversuchen. Zu den historischen Vorlagen gehören Theaterstücke von Carlo Gozzi (1762) oder Schiller (1802). Wie viele Aufführungen er schon gesehen hat, vermag Dirk Heidicke nicht zu benennen. Doch die Musik von Puccini ist wunderbar. Viele kennen die Arien, selbst wer kein ausgesprochener Opernliebhaber ist. „Nessum Dorma“ sei als wohl berühmteste genannt. Musikalisch wird es auch bei „Olvenstedt probiert’s“, verspricht der Autor. Zum einen gibt es Einspielungen vom Band, zum anderen wird live gesungen. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

Verraten werden kann jedoch, dass sich das Ensemble diesmal verjüngt. Die Laienspieler vom Bruno-Taut-Ring holen sich junge Verstärkung in die (Bühnen-)Wohnung – vom Jugendklub Gerwisch. Ob das gut geht? Wie im wahren Leben sind einige Hürden zu nehmen …

Zurück zum Geschehen. Hier steht Liù vor dem Aufgeben. Doch bevor sie den Geliebten verrät, entscheidet sie sich für den Freitod. „Sie nimmt ein Messer“, flüstert die Souffleuse. Ein Messer? Welches Messer? Hektische Blicke ringsum. Da kommt „Tacho“ aus dem Hintergrund geschlendert, eine riesige Klinge in der Hand. Entsetzen bei den Mitspielern. Schnelles Eingreifen. Das muss anders gehen. Oliver Breite lächelt wieder. „Da ist er, dieser Olvenstedt-Moment.“ Sehr schön gespielt. „Alles noch mal von vorn“, gibt der Regisseur dann vor. Ein schneller Durchlauf soll den Rhythmus festigen.

Es sind nicht mehr viele Tage bis zur Premiere. Die Spannung steigt. Unbeeindruckt zeigt sich nur die Winke-Katze. Klick klick klick. Ob sie wohl auch bei der Aufführung dabei ist? Birgit Ahlert

Kammerspiele Magdeburg:

Olvenstedt probiert’s mit „Prinzessin Turandot“
ab 28. November, 19.30 Uhr, im
Kulturzentrum Feuerwache.

Termine unter:
www.kammerspiele-magdeburg.de

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