Schönheit und Bestie in uns
Vergessen Sie alles, was Sie über King Kong wissen oder zu wissen glauben – lassen Sie sich ein auf eine neue, die wahre Geschichte des exotischen Wesens. Erzählt aus verschiedenen Perspektiven, von verschiedenen Zeugen, auf mehreren Ebenen, in facettenreicher Kunst. Auf der Theaterbühne.
Es ist eine Aufführung wie sie für Magdeburg nicht gerade typisch ist. Möglich durch eine Kooperation zweier prägender Theater der Stadt, mit Solisten und Chor, Orchester, mit Figurentheater und Videoprojektionen. 86 Jahre nach dem legendären Film um den Riesenaffen King Kong wird nun die Geschichte im Schauspielhaus neu erzählt. Doch nicht als Schauspiel, sondern theater- und spartenübergreifend in einer Kammeroper. Neue Wege werden gegangen, neue Perspektiven geschaffen. Gespielt wird auf verschiedenen Bühnen, nebeneinander, hintereinander, übereinander. Groß auf der Bühne des Schauspielhauses und klein auf der Bühne des Figurentheaters, dazu Videos auf der Leinwand – sowohl als Liveübertragung als auch mit aufgezeichneten Projektionen. Herausforderung und Erlebnis.
Es entsteht ein faszinierendes Hinter-die Kulissen-Schauen, wörtlich wie symbolisch. Geht es doch um das Dahinter der Geschichte und die Frage: Was passierte wirklich? Warum nahm das Leben des exotischen Wesens so ein tragisches Ende? Dazu tagt ein Weltgericht, dessen Richterin die Zeugen befragt: Was ist geschehen? Dazu braucht man keine Vorkenntnisse, braucht den Film nicht gesehen zu haben, im Gegenteil. Wer sich unvoreingenommen nähert, kann seiner Fantasie freieren Lauf lassen.
Zunächst führt die Reise zurück auf die Insel, dessen König Kong gefeiert und verehrt wird. Faszination des unbekannten Wesens, dessen Zuneigung gleicht einem großen Geschenk. Darum buhlt die hübsche Blondine Anne, um Königin zu werden. Doch Schönheit und Bestie liegen manchmal nah beieinander und sind nicht auf den ersten Blick erkennbar. Oder wie es in der Inszenierung heißt: sind getrennt nur durch winzige Atome in unserem Inneren. Darum geht es im Prolog, darauf führt die Inszenierung letztlich hin.
Im Laufe der Handlung zieht es alle Beteiligten vom Dschungel in die Großstadt, nach New York. Dort wird King Kong in den Tod getrieben. Warum? Zeugen werden befragt. Jeder hat seine eigene Sicht auf die Dinge, seine eigene Wahrheit und hat die Gelegenheit, sie zu erzählen, inklusive King Kong.
Soweit so spannend. Letztlich geht es im 3. Akt um die entscheidende Frage: Wie gehen wir mit dem anderen, dem Exotischen um, wenn es bei uns lebt? Mit denen, die nicht den uns gewohnten durchschnittlichen „Normen“ entsprechen, anders aussehen, anders sind? In anderer Umgebung ist der dunkle König Kong plötzlich ein Außenseiter. Er hat seine Faszination verloren, wird ausgegrenzt und angefeindet. „Der Mensch wird so, wie ich ihn schimpfe.“ Faszination weicht dem Ruf „go home!“ Und: „Sperrt ihn weg!“ Das jedoch sehr kurzgefasst. Gerade der heutige, der neue Aspekt kommt etwas sehr kurz weg. Schade.
Was danach bleibt ist Zeit, in sich zu gehen, sich vor der eigenen Haustür umzusehen, sich selbst zu betrachten. Zu hinterfragen, uns, jetzt, heute. Wie gehen wir mit Fremden um, die in unser Land kommen? Wie mit Veränderungen?
„Die wahre Geschichte von King Kong“ gehört zu den Höhepunkten der Jubiläumsspielzeit des Puppentheaters, dessen „Artist in Residence“ Roscha A. Säidow das Libretto schrieb und auch Regie führte. Es ist eine Kooperation mit dem Theater der Landeshauptstadt, das die Kammeroper in Auftrag gegeben hat. Die Musik stammt vom britisch-chinesischen Komponisten Jeffrey Ching, dessen Arbeit bereits beim „Impuls“-Festival für Neue Musik für Aufsehen sorgte. Er setzt sich über konventionelle Grenzen hinweg und schafft aus Bekanntem in anderer Verwendung Neues, Ungewöhnliches, was sich auch in der Wahl der Instrumente zeigt bzw. darin, was Töne erzeugt.
Moderne Kammermusik mag nicht jedermanns Sache sein. Wer sich jedoch darauf einlässt, kann etwas Wunderbares erleben.
Manchen war die Musik zu „schräg“, andere hatten Probleme mit der Darstellungsvielfalt, wie sich in späteren Gesprächen herausstellte. Ja, vieles findet gleichzeitig statt und gerade auf den vorderen Plätzen ist es eine Herausforderung, den Überblick zu behalten. Aber das macht es auch spannend.
Weniger spannend ist es, wenn man sprachlich aus dem Gesamtspektakel gerissen wird – weil man die Texte in englischer Sprache nicht versteht. Für den Fall gibt es Übersetzungstafeln links und rechts an den oberen Bühnenseiten. Doch das lenkt ab.
Stellt sich die Frage, warum ein Magdeburger Auftragswerk in englischer Sprache aufgeführt wird? Wegen der vielen ausländischen Theaterbesucher wohl kaum, denn die zieht es eher in andere, internationalere Städte. Doch die Initiatoren hoffen auf internationale Einladungen, war auf Nachfrage zu erfahren. Zu Festivals beispielsweise. Dort könnte Magdeburg mit dieser Inszenierung wohl wirklich punkten. Andererseits ist es jetzt schon eine logistische Herausforderung, alle Sparten unter einen (Termin)Hut zu bringen. Weshalb die Aufführungen auf lediglich sechs begrenzt worden sind.
Würdig ist die Inszenierung allemal. Nicht zu vergessen die internationale Besetzung: Sänger/innen aus England, Amerika, Neuseeland …
Wer die wahre Geschichte von King Kong im Schauspielhaus erleben möchte, sollte sich mit dem Kartenkauf beeilen. Lediglich vier Termine stehen noch an: 29.März, 20.April, 12. und 25. Mai. Birgit Ahlert