Schneewittchen inklusiv

Das Ensemble vom Schaubühne Magdeburg e.V. schlüpft fürs Probem zunächst in improvisierte Kostüme, um sich in die Rollen finden zu können. Foto: Peter Gercke

Spieglein Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Das ist die alles entscheidende Frage in dem diesjährigen Weihnachtsmärchen der Schaubühne Magdeburg e.V. Zumindest für die Königin. Sie ist so eitel. „Moment“, durchbricht eine Stimme diese Gedanken. „Sie ist sooooo eitel“, erklärt der Regisseur und macht Feinheiten in der Aussprache deutlich. Emil Bauer (der „Pinocchio“ vom vorigen Jahr) flaniert über die Bühne. Der Spiegel zeigt das wahre Ich. Im Spiegel begegnet man sich selbst. Er sagt die Wahrheit. „Man, bin ich froh, dass ich kein Spiegel bin“, meint dann mit schelmischem Lachen der Erzähler, der durchs Märchen führt – kein anderer als „Till“, der zu jedem Schaubühnen-Märchen gehört. Anlehnend an den berühmten Till Eulenspiegel ist er seit der ersten Inszenierung dabei. In jedem Jahr jedoch wird er von einer anderen Person dargestellt. Diesmal übernimmt Emil den Part.

Fanfare. Der Jäger kommt! Die Königin hält Audienz. Gehe er in den Wald, sagt sie. Gern tut er das, doch er erschrickt, als er seine Aufgabe hört: Die eitle Stiefmutter will die schöne Konkurrenz aus dem Haus haben: Schneewittchen. Hach, wie gern war er immer mit ihr durch den Wald spaziert, hatte sie vieles gelehrt, ihr Beeren gezeigt und Pflanzen erklärt. Sie verstehen sich gut, der Jäger und das Mädchen. Bis aufs Schießen, versteht sich. Denn Schneewittchen ist nicht nur schön, auch liebenswert und sie mag alle Lebewesen. Schwubbs – Hatschi! – rettet sie schon mal einem Häschen das Leben. Das kleine Hoppel wird sie später auf ihrem Weg begleiten. Doch wie tut es das? Nicht auf allen Vieren, so viel steht fest. Doch wie bewegt sich ein Hase auf zwei Beinen? Wird er laufen, springen, hüpfen …? Verschmitzt schaut Charlotta durch ihr Hasenkostüm. Sie ist mit ihren 9 Jahren die Jüngste am Set. Sie probiert, was Regisseur Knut Müller-Ehrecke vorgibt. Passt.

Szenenwechsel. Die Bäume aus der Waldszene werden in den Hindergrund geschoben. August Anführer stimmt an: „So sieht es aus, das Zwergenleben.“ Es wird gesungen. Hier und da klingt es anfangs etwas schief. Zuvor hatte jeder für sich daheim geübt, jetzt muss der Gesang der einzelnen ins Gemeinsame passen. Gar nicht so einfach, die jeweils richtige Höhe zu finden. Das Tempo stimmt bei allen. Ein Zwerg wackelt rhythmisch mit der Hüfte, ein anderer lässt die Grubenlampe schwingen. „Das Leben kann so schön sein.“

Immer und immer wieder

Schneewittchen trifft die sieben Zwerge. Was sind das für Stühlchen, Tellerchen, Gäbelchen? „Das glaubt kein Mensch“, fährt der Regisseur dazwischen. Auf der (Probe-)Bühne befinden sich ganz normale Utensilien, kein Miniformat. Auch wenn die Zwerge als solche erkennbar sind, dürfen sie doch nicht zu klein sein – schließlich müssen sie bei der Aufführung auf der großen Bühne auch aus den letzten Publikumsreihen gut zu erkennen sein. „Wir machen das anders“, sagt die Regie und ändert den Text. Manches ergibt sich erst im Spiel. Genau schaut Knut Müller-Ehrecke auf jedes Detail. Der eine Zwerg steht zu sehr in der Mitte, der andere zu weit weg, ein großer verdeckt einen kleineren … Es sind „Kleinigkeiten“, Zentimeter, Handgriffe, um die es geht. Dem laienhaften Zuschauer fällt das zunächst nicht auf, aber es verändert den Gesamteindruck deutlich. Wo sind meine Schuhe?, fragt ein Zwerg. Ja, wo? Am anderen Ende der Bühne? Unterm Herd? Alles will genau durchdacht sein. Und geprobt. Oft. Immer wieder. „So lange, bis ihr davon träumt“, sagt der Regisseur streng. Disziplin muss sein. Dann die Erlösung: „Genau so!“ Befreiendes Lachen. Und noch mal von vorn.

Die Zwerge sind wichtig in dieser Inszenierung. Natürlich. Zwerge – ja, woher nehmen? Vom Schülertheater vor allem, das Knut Müller-Ehrecke am Domgymnasium betreut. Das fügt sich. Allerdings schränkt es die Proben ein. Wenn Kinder mitspielen, ist spätestens um 20 Uhr Schluss. Gesetzlich. Die meisten anderen (erwachsenen) Mitspieler sind jedoch berufstätig und haben erst abends Zeit. Dazwischen bleibt wenig Spielraum. Den gilt es gezielt zu nutzen. So effektiv wie möglich. Was bei einer Zwergenschar gar nicht so einfach ist, wie ich als Zuschauer merke.

Requisiten wie aus dem Märchen

Regisseur Knut Müller-Ehrecke

Für die Weihnachtsaufführung hat das bekannte Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen eine neue Bühnenfassung erhalten. Rund ein Jahr Vorbereitungen braucht es von der Idee bis zur Umsetzung. Wie bereits bei früheren Inszenierungen wurde das Buch vom Dreigespann um Peggy Meinecke speziell dafür geschrieben. Die Autoren hatten offenbar viel Spaß beim Schreiben und dachten sich beispielsweise lustige Namen für die Zwerge aus. Wie Toni Träumer, Scharli Schussel, Willi Wasserschau oder Volker Vorlaut. Die passen gut zu ihrem Benehmen. Der Nörgler nörgelt (hach, wie lustig!) und Karl Kohldampf hat immer Hunger. Er macht sich am Herd zu schaffen. Dieser sieht wirklich aus wie aus einem Märchen, zumindest aber aus einer anderen Zeit. Und das stimmt sogar. Ausstatter Werner Becker hat einen alten eisernen Herd vom Dorf mitgebracht, ihn entkernt und als Requisite umgebaut. Dazu gesellen sich passend historisch wirkende Küchenutensilien, Töpfe, Dosen, Löffel, derer sich Schneewittchen fleißig bedienen kann, wenn sie für die Zerge kocht.

Erstmals mit Gebärden-Dolmetscher

Die Aufführung wird mit viel Engagement, Können und Liebe zum Detail vorbereitet. Es wird wieder einige Überraschungen geben, verspricht das Autorenteam, und wenn gemeinsam gesungen wird, kann sich das Publikum gern mit einbringen.

In diesem Jahr gibt es jedoch noch eine Neuheit. Den Mitgliedern der Schaubühne ist es wichtig, dass jedes Kind Freude am Weihnachtsmärchen haben kann. Deshalb haben sie Unterstützung gesucht –  und auch gefunden: Erstmals werden zwei Gebärden-Dolmetscherinnen für Kinder übersetzen, die gehörlos sind oder schlecht hören können. „Inklusion ist uns wichtig, damit jedes Kind das Märchen erleben kann.“

Eltern, Großeltern, Lehrer oder Gruppenbetreuer, die mit gehörlosen Kindern zum Weihnachtsmärchen kommen wollen, werden gebeten, beim Kartenkauf darauf hinzuweisen. Dann können die kleinen Besucher so platziert werden, dass sie wirklich gut sehen können. Birgit Ahlert

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