Satirischer Balladenstreich

Lothar Bölck und Hans-Günter Pölitz gossen ihr jüngstes Kabarettprogramm in Reime. Foto: U. Löhr

Politisch-satirisches Kabarett soll auf bissige und unterhaltsame Weise Missstände anprangern. Sprachliche Überzeichnung sorgt für eine ungewöhnliche Entblätterung. Hans-Günther Pölitz und Lothar Bölck sind diesbezüglich Meister ihres Fachs mit mindestens nationalem Renommee. Doch mit ihrem jüngsten Programm „Wir bringen uns in Form“ (Premiere war am 1. November) schenken sie ihrem Metier eine ganz neue Darstellungsform. Das komplette Programm ist eine zweistündige, sprachgewaltige satirische Ballade. Zwar wurde im Kabarett schon immer gern gereimt, insbesondere bei schmückenden Liedern oder innerhalb lustig-kritischer Verse, doch ein ganzes Poem in Faustscher Manier auf die Bühne zu bringen, kannte das deutschsprachige Kabarett bisher nicht. Mit ihrer Uraufführung tritt das  Autorenteam Bölck-Pölitz aus der üblichen Kunst des Genres heraus und sie stellen sich selbst als auch ihr Publikum vor eine große Herausforderung. Und so stimmt Hans-Günther Pölitz die Premierenbesucher zum Auftakt in die ungewöhnliche Erzählform ein:

„Bei dem, was heute Abend droht
mache ich Ihnen ein Angebot:
Wer keine Reime mag, der kann jetzt gehen
und muss nicht sitzen bleiben bis nach zehn.“

Es kam, dass weder zu Beginn,
noch zwischendrin oder am Ende
einer nahm die Beine in die Hände.

Gefordert ist man als Zuschauer jedoch zu jeder Zeit. Die Versform verlangt eine außergewöhnliche Konzentration. Schließlich möchte man ganz automatisch jeden Reim irgendwie erahnen und selbst vollenden, ist dann aber oft genug von der Auflösung auf der Bühne überrascht. Selbst in der Themenwahl zeigten sich die einzelnen Nummern abwechselnd und sprangen von manch allgemeinem Menschen-Makel in weltpolitische Felder. Der Konflikt zwischen Europa und Russland wird ins Fußballstadion transponiert. Die Waffenlobby entblößt ihre Interessen am feinen Büfett und selbst der Geist Gottes findet keine andere Lösung als Birnengeist auf der Menschen „Birnen“ regnen zu lassen.

Auf jeden Fall haben Bölck und Pölitz ihr Kopfwerk Sprache gelernt und brillieren in jedmöglicher Reimform, in Paaren, gebrochen, gespalten und oft im klassischen Versmaß der epischen Dichtung. Mit ihrem außergewöhnlichen Programm liefern die Kabarettisten einen verbalen Balladenstreich ab, an dem sich andere, die etwas ähnliches versuchen wollten, messen lassen müssten. Nicht nur, dass sie es verstehen, vielschichtige Inhalte in Verse umzusetzen – und man erkennt als Zuschauer nicht, wer welchen Vers geschrieben hat –, selbst die flüssige Wortwiedergabe, die dramaturgische Darbietung und das Wechselspiel, bei dem einer dem anderen die Reimvollendung abnimmt, funktioniert vorzüglich. Dabei hatte sicher der Regisseur Rainer Otto seinen professionellen Schliff hinterlassen. Eigentlich möchte man auf das Programm ein hymnisches Gedicht schreiben, aber es selbst zu erleben, ist allemal besser, als jeder Versuch, sich auf Reime einen Reim zu machen. „Wir bringen uns in Form“ ist die höchste Form satirischer Sprachkunst jenseits aller Kabarettklischees mit unerwartet gut sitzenden Pointen. Es muss ausreichend gelacht werden, aber eigentlich sollte man vor der Leistung den Hut ziehen. Thomas Wischnewski

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