Längst keine Anfänger mehr: „Da Rookies“ werden 20
Zeit für Urlaub hat Nils Klebe momentan kaum. Aber dennoch … ein paar freie Tage muss er sich, seiner Frau Mandy und den Kindern gönnen. Durchatmen, bevor der große Sturm losbricht. Durchatmen, bevor „die Anfänger“ – besser bekannt als „Da Rookies“ – in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiern und, nebenbei bemerkt, Nils sein persönliches 40-jähriges. „Eigentlich stecken wir schon mittendrin, aber eine kleine Auszeit muss einfach sein“, sagt der (noch) 39-Jährige, „auch wenn diese Auszeit sicherlich von Anrufen und Anfragen per Mail unterbrochen werden wird.“ Das Interesse ist groß. Schließlich kommt es nicht allzu häufig vor, dass eine Breakdance-Gruppe aus Sachsen-Anhalt ein rundes Jubiläum feiert. Noch dazu ein weltweit erfolgreiches Team, das anfangs nur belächelt wurde.
Wie man das öfter bei Erfolgsgeschichten hört, war auch für Nils aller Anfang schwer. Aufgewachsen in Pretzier in der Altmark, heute zu Salzwedel gehörend, kam er erst im Alter von 17 Jahren zum Tanzen. „Der Film ‚Beat Street‘ hat mich dazu inspiriert. Und weil es damals noch kein Youtube oder ähnliches gab, habe ich mir alles mit Hilfe des Films und viel Herumprobieren beigebracht.“ Eine Linoleum-Matte habe er vor dem Konsum im Dorf ausgebreitet und dort seine ersten Tanzschritte und Moves der Öffentlichkeit präsentiert. „Wie man sich vorstellen kann, habe ich von den älteren Damen und Herren, die dort vorbeikamen, mitleidige Blicke geerntet. Viel Zuspruch gab es da nicht“, erzählt Nils lachend. Auch seine Familie habe zunächst skeptisch reagiert. „Nur meine Oma hat mich unterstützt und mir immer wieder gesagt, dass ich das schaffe.“
Denn beim auf-der-Matte-vor-dem-Konsum-Tanzen sollte es natürlich nicht bleiben. „Ich habe viel trainiert, musste viel Disziplin an den Tag legen“, erinnert sich Nils. „Irgendwann hat man im Jugendclub ein paar Gleichgesinnte getroffen und sich zusammengetan. Unsere erste Gruppe hieß ‚The Real Fresh Crew‘“. Wieder muss der 39-Jährige lachen. „Wir sind dann zu Battles gefahren, haben andere Breakdancer kennengelernt und uns mit ihnen ausgetauscht. Das hat uns auch ein Stück vorangebracht.“ Doch nach kurzer Zeit löste sich die „Crew“ auf und Nils blieb allein in der Altmark zurück, während seine Freunde nach Magdeburg zogen, um zu studieren. „Nach der Schule hatte ich eine Ausbildung zum Facharbeiter Lagerwirtschaft angefangen, das Tanzen jedoch nicht aufgegeben. In der Zwischenzeit wurde bei MTV ein Aufruf gestartet – sie suchten den Breakdancer mit den schnellsten Füßen.“ Also nahm der damals 19-Jährige seine Fähigkeiten auf und schickte die VHS-Kassette dem Musiksender zu. „Eigentlich hatte ich so meine Zweifel. Warum sollten die ausgerechnet mich auswählen?“
Aber irgendwann klingelte das Telefon. „Beim ersten Mal habe ich das gar nicht registriert. Ich dachte, da ruft jemand an, um mich auf den Arm zu nehmen. Erst nach mehreren Anläufen ist bei mir angekommen, dass ich das Ding gewonnen habe.“ Und die Belohnung war keine Kleinigkeit: Der Altmärker durfte nach London fliegen, um an den Dreharbeiten für ein Video der Hip-Hop-Pioniere „Run DMC“ teilzunehmen. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt war die Abschlussprüfung seiner Ausbildung anberaumt worden. „Die Entscheidung für den Video-Dreh – und gegen die Prüfung – ist mir recht leichtgefallen. Erst recht, nachdem mein Chef in der Kerzenfabrik mich darin unterstützt hat und meinte, ich könne die Prüfung auch ein halbes Jahr später absolvieren.“
Die MTV-Auszeichnung änderte so einiges in Nils Klebes Leben. Zahlreiche Artikel erschienen über den Tänzer in der Presse. Er fasste den Entschluss, nach Magdeburg zu ziehen und machte seine Leidenschaft zum Beruf. Auch dafür wurde er Ende der 1990er Jahre belächelt. „Mit Breakdance Geld zu verdienen, klang für die meisten damals wie eine Träumerei“, erinnert sich der 39-Jährige. Aber mit alten Bekannten der „Real Fresh Crew“ und mit neuen Freunden der Gruppe „Per Anhalt“ schaffte er es 1999 unter dem Namen „Da Rookies“ eine Truppe zu formieren, die heute zu den größten im Geschäft zählt. Als Unternehmen beschäftigen die „Da Rookies“ mittlerweile zwölf Tänzer. Bei den Auftritten in den Anfangsjahren waren meistens sechs Tänzer dabei.
Nach der Gründung 1999 gelangen bald erste wichtige Auftritte und mit ihnen auch erste große Erfolge. „2000 nahmen wir am ‚Battle of the East‘ teil und wurden ostdeutscher Meister. Im selben Jahr gewannen wir zudem die East European Breakdance Masters in Prag“, erzählt Nils und führt bescheiden lächelnd seine Aufzählung fort: erste Plätze bei den Deutschen Meisterschaften im Breakdance und bei den Breakdance Weltmeisterschaften 2002/2003, erster Platz bei den Europameisterschaften im Breakdance 2005/2006, erster Platz bei den Deutschen Meisterschaften im Breakdance – Solo Tänzer 2013/2014 und die Liste ließe sich noch mit nationalen und internationalen Titeln verlängern. Auch ins Guinness-Buch der Rekorde haben es die „Da Rookies“ bereits geschafft. Mirko Steffen schnappte sich 2013 mit 58 Umdrehungen den Weltrekord im Munchmill-Move, bei dem der Tänzer sich über die Schulter um die eigene Achse dreht.
Die ersten Erfolge brachten der Breakdance-Crew auch die ersten bedeutenden Engagements ein. „Durch das Goethe-Institut konnten wir etliche Auftritte im Ausland absolvieren. Zudem waren wir mit Crazy Frog auf Tour und sind im Vorprogramm von Britney Spears aufgetreten. Bei der Fußball-WM 2006 hatten wir die Chance, vor einem großen Publikum auf der Fanmeile in Berlin zu performen. 2013 waren wir bei der Fernseh-Show ‚Got to dance‘ dabei und auch für den Bundespräsidenten haben wir beim Sommerfest schon einen Auftritt absolviert“, zählt Nils auf. Eine der wichtigsten Errungenschaften, die der Job mit sich gebracht hat, ist für den gebürtigen Altmärker jedoch die Ernennung der „Da Rookies“ zu Ehrenbotschaftern der Stadt Magdeburg. „Im Februar dieses Jahres wurden wir mit dem Titel Ehrenbotschafter ausgezeichnet und das bedeutet uns sehr viel, weil dies zeigt, dass wir es von anfangs belächelten Tänzern zu anerkannten Repräsentanten einer Sportart geschafft haben, die nun ins Programm der Olympischen Spiele 2024 in Paris aufgenommen wurde.“
In seiner inzwischen 20-jährigen Karriere als „Rookie“ hat Nils Klebe allerdings mehr erreicht als Auszeichnungen und Titel, wie seine Frau Mandy, die er in einer Disco kennengelernt hat, mit Stolz erfüllter Stimme einwirft. Die beiden haben sich rund um das Thema Tanz eine Existenz aufgebaut. „Nils lebt für Breakdance, aber er weiß, dass er das nicht ewig machen kann“, sagt Mandy. Und Nils pflichtet ihr bei: „Zumindest nicht so, dass man ausschließlich durch Breakdance seinen Lebensunterhalt und den der Familie sichern kann.“ Als zweites Standbein gründeten die „Rookies“ daher bereits im Jahr 2005 die „Movement Dance Academy“ – eine Tanzschule für Jung und Alt, für alle, die eine Begeisterung fürs Tanzen teilen, egal ob Walzer, Discofox, Salsa, Hip-Hop oder eben Breakdance. „Die Movement Dance Academy bietet uns auch die Möglichkeit, unseren Nachwuchs für die ‚Da Rookies‘ heranzuziehen. Auf diese Weise haben wir schon einige Talente entdeckt“, erklärt Nils. „Und dieser Rahmen gibt uns auch die Chance, neben dem Tanzen wichtige Dinge zu vermitteln. Beispielsweise, dass man nicht an sich zweifeln darf, wenn man für eine Idee oder einen Traum belächelt wird … dass man aufstehen und weitermachen muss, wenn man mal hinfällt.“
Ein weiteres Standbein bildet die Agentur „Da Rookies Head Office Entertainment“, die 2013 gegründet wurde. Zu deren Aufgabenfeldern gehört neben dem Management der „Da Rookies“, das Konzipieren und Realisieren von Showkonzepten für Kunden, die Talentförderung sowie die Kooperation und Vermittlung von anderen Künstlern und Unternehmen. „2013 war ein Jahr, in dem wir nochmal einen Schritt nach vorn gemacht haben“, meint der Kopf der Breakdance-Crew, für den das Entwerfen von Ideen ebenso zum Alltag gehört wie das regelmäßige Training. „Man darf nicht stehenbleiben, man muss sich stets weiterentwickeln, Neues planen, den Blick nach vorn richten.“ Das tat er vor sechs Jahren nicht nur mit der Gründung der Agentur, sondern auch mit der Entwicklung einer neuen Show. „Wir wollten etwas Neues ausprobieren und sind dabei auf den Nussknacker gestoßen, der sicherlich als populärstes Werk im Bereich des Balletts gilt“, schildert Nils. So entstand unter dem Motto Klassik trifft Breakdance ein opulentes Bühnenstück, das Elemente von klassischer Musik, Schauspiel, Ballett, Hip-Hop und Breakdance vereint.
Im vergangenen Jahr entwickelten die „Anfänger“ ihre Version des Nussknackers weiter und werteten die Show mit einer LED-Produktion auf. Es folgte eine Tour durch 23 deutsche Städte, wofür eigens eine Konzert- und Marketing-Agentur gegründet wurde. „Mit der MaBa-Entertainment GmbH haben wir alles in den eigenen Händen und können die Tour in ihrer Gesamtheit selbst managen“, erzählt Mandy. „Von den Kostümen über die Werbung bis hin zu den Unterkünften und dem Catering – es gibt viel zu organisieren, wenn circa 20 Personen auf Tour gehen. Nebenbei muss die Tanzschule weiterlaufen und die ‚Da Rookies‘ absolvieren neben dem Nussknacker auch noch andere Auftritte.“
Es gibt viel zu erledigen für das Paar und die Breakdance-Crew. Auch mit Blick auf das bevorstehende Jubiläum, das mit einer imposanten Nussknacker-Produktion am 21. Dezember 2019 in der Getec-Arena und einer anschließenden Tour gefeiert wird. „Das ist die aufwendigste Show, die wir bislang auf die Beine gestellt haben“, erzählt Nils mit glänzenden Augen und einem gewissen Maß an Vorfreude in der Stimme. „Zu unserem 20-jährigen Bestehen werden wir nicht nur etwas fürs Auge bieten, sondern auch für die Ohren. Denn die Show wird live vom Philharmonischen Kammerorchester Wernigerode begleitet. Zudem wird Radio-SAW-Moderator Ted Stanetzky unser Geschichtenerzähler sein. Das wird großartig! Und an diesem Abend möchten wir auch den Weltrekord für die größte Nussknacker-Show brechen. Dafür brauchen wir mindestens 2.800 Besucher in der Getec-Arena.“
Auch wenn es bis zum Jubiläum noch ein paar Wochen dauert, Nils Klebe hat seine Aufmerksamkeit bereits auf die Zeit danach gerichtet. Im nächsten Jahr wird die Breakdance-Weltmeisterschaft in Magdeburg ausgerichtet. „Unsere Heimatstadt war Austragungsort der deutschen Meisterschaften im Breakdance. Daher fragten wir uns: Warum nicht auch die WM nach Magdeburg holen?“ Also zogen die „Da Rookies“ einige Fäden und brachten den Stein ins Rollen. „Da wir aber aufgrund des Jubiläums und der folgenden Tour genug um die Ohren haben, fungieren wir lediglich als Botschafter. Aus der Organisation haben wir uns rausgezogen – die übernimmt die Organisation ‚Bboy World Entertainment‘“, schildert Nils. Zudem planen die „Anfänger“ bereits ihr nächstes Projekt. Eine Show, die im Gegensatz zum Nussknacker jahreszeitenunabhängig ist. „Dafür haben wir uns Romeo und Julia ausgesucht und werden damit voraussichtlich ab 2021 auf Tour gehen. Ein schöner Sommerabend auf der Seebühne wäre für die Premiere ideal“, sagt Nils und lächelt verschmitzt. Bis dahin gibt es allerdings noch viel zu entwerfen, zu planen und zu proben – und ein paar Tage Urlaub zu genießen. Tina Heinz