Klein Italien im Wörlitzer Park

Nicht nur das römische Reich prägte die Kulturentwicklungen Nordeuropas. Italienische Einflüsse reichen bis in die Aufklärung und lassen sich heute noch im Wörlitzer Gartenreich betrachten.
Im Neorenaissancestilambiente des Palais am Fürstenwall gedachte man am 1. April in feierlicher Form des 20-jährigen Bestehens der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Sachsen-Anhalt e. V. und beteuerte doch, noch intensiver die Zusammenarbeit mit der Republik Italien vertiefen zu wollen. Historisch enge Bindungen und Einflüsse Italiens kann man im mitteldeutschen Raum vielfach sehen. Die Reise des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740 – 1817), die er am 18. Oktober 1765 antrat, ist ein Beleg für die italienische Strahlkraft. Im April 1767, vor 250 Jahren, endete die längste Reise des Fürsten. Deshalb soll an dieser Stelle daran erinnert werden. Nach Rüffer gehörten der dreizehnköpfigen Reisegruppe auch sein acht Jahre jüngerer Bruder Johann Georg (1748 - 1811), Friedrich Wilhelm Freiherr von Erdmannsdorff (1736 - 1800) als 29-jähriger Freund, Architekt und künstlerischer Berater sowie Georg Heinrich von Berenhorst (1733 - 1814) als 0nkel des Fürsten und mit 32 Jahren der Älteste der Gruppe an. In Begleitung der vier Herren reiste jeweils ein Diener, ein Friseur und ein Koch mit.
Diese längste Fahrt des Fürsten ist von besonderer Bedeutung, da Franz und Erdmannsdorff hier die für die gartenkulturelle Umgestaltung des eigenen Landes, aus dem zunächst ein Barockpark und von einem Hochwasser 1764 zerstört schließlich das 122 Hektar große Dessau-Wörlitzer Gartenreich ab 1765 unter Leitung von Johann Friedrich von Eyserbeck (1734 - 1818) und der Mitwirkung des Fürsten und von Architekten von Erdmannsdorff hervorging, wichtigen Reiseeindrücke sammelten. Die Besichtigung berühmter Bauten und Kunstsammlungen sowie die Erfahrung der Natur der durchreisten Länder Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, England und Luxemburg, von denen mit Abstand Italien und England die einflußreichsten waren, flossen hier ebenso in die Landschaftsgestaltung ein wie die im Laufe der Reise geknüpften Kontakte zu wichtigen Personen des kulturellen Lebens.
Erst 1984 wurden die Reisetagebücher von Berenhorst wiederentdeckt und sind nach dem Kriegsverlust der Reiseakten des Fürsten sowie einer Abschrift dieser Tagebücher neben einer Reihe von Briefen Erdmannsdorffs und Georg Wilhelm Kottowskys (1735 - 1787/88) die verlässlichen Quellen über den Verlauf der Grand Tour. Sie sind in französischer Sprache abgefasst und das auf Italien beschränkte Tagebuch Erdmannsdorffs hat eine besondere kunsthistorische Bedeutung. Ganz klar steht für diesen Schüler von dem Kunstgelehrten Johann Joachim Winckelmann (1717 - 1768 ermordet) als Begründer der klassischen Archäologie das Kunsterlebnis an erster Stelle. Nach Rüffer finden wir in seinen Aufzeichnungen vor allem genaue Beschreibungen von Kunstwerken und -sammlungen sowie Charakterisierungen von Künstlern und Kunsthändlern. Diese Grand Tour des Fürsten war nicht sein erster Kontakt mit Italien. In den Jahren 1761 bis 1763 hatte er das Land schon einmal bereist, ohne wie gewünscht Rom und Neapel als die wichtigsten kulkturellen Zentren Italiens zu sehen. Somit war diese zweite Reise für Erdmannsdorff eine wichtige Station seiner künstlerischen Entwicklung.
Im Gegensatz zu ihm dokumentierte Georg Heinrich von Berenhorst in seinem Reisetagebuch nahezu den gesamten Reiseverlauf. Da Johann Georg als jüngerer Bruder von Fürst Franz und Berenhorst zeitweise getrennt von Franz und Erdmannsdorff unterwegs waren, sind allerdings viele Reiseetappen des Fürsten nicht im Tagebuch festgehalten. Erst zehn Jahre nach Beginn der Aufzeichnungen am 19. April 1775 beendete Berenhorst sein überarbeitetes Reisejournal. Neben seinen eigenen Notizen Verwendete er dafür auch Briefe des Fürsten, Johann Georgs und von Erdmannsdorff auch Passagen zu kunsthistorisch interessanten Objekten. Berenhorst legte mehr den Schwerpunkt auf die Schilderung der damaligen gesellschaftlichen Ereignisse, den Kontakt zu den Personen in den bereisten Ländern, auf Landschaftsbeschreibungen sowie – und so nicht zu erwarten – auf militärhistorische und militärtheoretische Aspekte. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass diese europäische Grand Tour des Fürsten in zwei Kutschen außergewöhnlich anspruchsvoll und umfangreich war, sodass hier tatsächlich von einer wahrhaftigen Bildungsreise – auch als „Kavalierstour“ bezeichnet – gesprochen werden kann.
Dies war nicht neu, denn Reisen dieser Art lassen sich bis in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen und sie waren bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ein Privileg des Adels. Sie gehörten zum Ausbildungsprogramm des adligen Nachwuchses. Auf ihren Reisen durch Europa sollten die jungen Aristokraten das standesgemäße Verhalten erlernen und auf ihre späteren Aufgaben vorbereitet werden. Zunächst aber waren bei diesen Reisen fremdländische Sehenswürdigkeiten unwichtig. Varnhagen van Ense schrieb über die Kavalierstour des Großvaters von Fürst Franz von Leopold I. von Anhalt-Dessau (auch der Alte Dessauer genannt; 1676 - 1747): „Alterthümer und Kunstwerke ließen ihn unbekümmert, er that um dieser Gegenstände willen keinen Schritt, und das was sich von selbst seinen Augen aufdrang, würdigte er kaum eines Blicks. Desto eifriger besuchte er die Reitbahn, das Ballhaus, den Fechtboden und andere Uebungsorte, wo er durch Kühnheit und Fertigkeit die größten Meister in Erstaunen setzte.“ Ein klares Indiz für den Wandel vom reinen Absolutismus hin zur Aufklärung aufgrund politischsozialer Veränderungen in der Gesellschaft.
Die Kavalierstour erlebte Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts ihren absoluten Höhepunkt. Die Grand Tour von Fürst Franz war dem „frühaufklärerischen Drang nach Wissensaneignung „geschuldet und zugleich verpflichtet. Natürlich suchte man dabei verstärkt den Kontakt zum gebildeten europäischen Hochadel und die Zusammensetzung der Reisegesellschaft erinnerte noch an die Barockepoche, lehnte sich jedoch schon an britische Traditionen an. Britische Adlige hatten früher als die Kontinentaleuropäer den Mittelmeerraum als „Wiege der europäischen Kultur“ für sich entdeckt. Diese britische Lebensweise wollte Fürst Franz hautnah erleben und studieren. Natürlich gingen er und von Erdmannsdorff nicht unvorbereitet durch entsprechendes Studium der Antike und Altertumsforschungen auf die Tour und so verwundert es nicht, dass beide eine enge Freundschaft zum älteren Winckelmann pflegten und wie er in einem Brief über den Fürsten Franz vom August 1766 den Fürsten zitierte: „…Ich bin von Dessau, lieber Winckelmann und habe Ihres Beystands nöthig.“
Mehr als ein halbes Jahr lang hielt sich die Dessauer Reisegruppe in Italien auf. Sie kamen über den Brennerpass und Südtirol nach Venedig, dann entlang der Adriaküste bis Loreto und weiter nach Rom. In Rom besuchten sie den Sommersitz des Papstes Castel Gandolfo, ehe sie die Region Neapel mit den Ausgrabungen von Pompeji mit dem Vesuv näher interessierten. Von Rom aus ging es in die Toscana nach Florenz und weiter über Bologna und Mailand an die oberitalienischen Seen Lago Maggiore und Lago di Como. Schließlich erneut über Mailand und Turin sowie Genua an die ligurische Küste. Eine der wichtigsten Stationen war dabei Vicenza mit den Bauten Andrea Palladios.
Die 1769 in Wörlitz beginnenden Bauarbeiten am Schloß lassen sich auf die Eindrücke der Reise zurückführen. Architekt von Erdmannsdorff hatte Kenntnisse über die Bauten Palladios und der neopalladianischen Landhäuser in England verarbeitet. Heute kann man die komplett rekonstruiert Bauten in Wörlitz besuchen.
In Venedig gab es vom 26. November bis zum 7. Dezember 1765 einen Aufenthalt. In Wörlitz entstand später eine detailgetreue Wiedergabe der venezianischen Kirche „Madonna dell‘ Orto“, in der sich das Grabmal Tintorettos (1518 - 1594) befindet. Am Heiligabend 1765 wurde wieder Rom erreicht. Hier widmete sich die Reisegruppe in Gefolgschaft von Winckelmann und Friedrich Reiffenstein (1719 - 1793) mehrere Monate lang vor allem antiken Monumenten. Ein direkter Bezug zu Rom wird im Wörlitzer Garten im Norden mit dem Nachbau des Pantheon in den Jahren 1795/96 hergestellt. Im Gegensatz zu Erdmannsdorff, der von 1770 bis 1772 und 1789/90 Italien noch zweimal bereiste, brach Franz dorthin nie wieder auf. Dies erscheint deshalb merkwürdig, weil sich andere Italienbesucher dem Reiz dieses Kulturraumes nicht mehr entziehen konnten.
Mit dem Bau des „Steins“ als Nachbildung des Vesuvs als künstlichen Wörlitzer Vulkan am Südufer in den Jahren 1788/96 erreichte die Italiennachahmung im Wörlitzer Garten ihren Höhepunkt. Vorbild war hierbei die Grotte des Posilip bei Neapel und der Grundriss sollte wahrscheinlich an den italienischen Aufenthalt und an die Stiefelspitze der Apenninenhalbinsel erinnern. Nach von Buttlar sollte die künstliche Lava durch einen Glasfluss erzeugt werden. Leider scheut man sich heute aus Kostengründen, diese nachgestellten Vulkanausbrüche unmittelbar neben der Villa Hamilton und unweit der Grotte der Egeria von unterirdischen Feuerkammern erzeugt öfter zu zeigen. Mit Sicherheit würde das Gaudi ein dauerhaftes Zugpferd für den nächtlichen Besuch in Wörlitz sein. Man sollte dies im Sommerhalbjahr einmal monatlich in Wörlitz zeigen.
In diesem Zusammenhang sei an die eindrucksvolle unterwasserbeleuchtete Wasserachse im Park von Kassel-Wilhelmshöhe erinnert. Hier wird bei Dunkelheit außergewöhnlich der Eindruck einer „brodelnden Lava“ erzeugt. Kassel feierte zu Pfingsten 2017 übrigens 300 Jahre Fertigstellung des barocken Herkulesschlosses (1696 – 1717) als eines der prächtigsten Wasserspiele Europas. Licht, Wasser und Feuer haben Menschen schon immer fasziniert und das wird so bleiben.
Am 22. Februar 1766 stand Fürst Franz in Begleitung seiner Reisegruppe am brodelnden Kraterrand des Vesuv und sie erlebten tatsächlich schon während der Besteigung einen Ausbruch. Das war ohne Frage das einschneidendste Erlebnis der Grand Tour. Im Juli 1766 verließen die Reisenden Italien. In Wörlitz kann man die Eindrücke dieser Reise am hochromantisch gestalteten Garten- und Schlossareals ablesen!
Seit kurzem trägt die neue Stiftungsdirektorin der Kulturstiftung, Prof. Dr. Brigitte Mang aus Wien, die Gesamtverantwortung für das Wörlitzer Ensemble. Man darf gespannt sein, welche Ideen die Dame aus Österreich sich für das Weltkulturerbe einfällen lässt. Vielleicht sprudelt dann nicht nur das Wasserspiel am „Vesuv“, sondern auch die Einnahmen. Volker A. W. Wittich

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