Geteiltes Leben

Wolfgang Domhardt, hier im Garten des Literaturhauses, brachte sein Leben in Romanform.

„Lesen ein Leben lang“ ist das Thema der diesjährigen Literaturwochen. Erzählt werden Geschichten von, über und für Generationen. Zu den ersten Veranstaltungen gehört die Buchpremiere von „Richards Tinnitus“. Eine Lebensgeschichte.

Was haben Tinnitus und Sozialismus gemeinsam? Wenn man mit beidem aufwächst, merkt man nicht, dass etwas nicht stimmt. Weil man es nicht anders kennt. Erst wenn man gesagt bekommt, dass man krank ist, beginnt es zu stören“, erklärt Wolfgang Domhardt ziemlich salopp den Hintergrund seines Romans, in dem denkt Protagonist Richard über sein Leben nach, und das hat viel mit dem Leben des Autoren zu tun. „Aber es ist keine Biografie“, betont er. Vielmehr hat er eigene Erfahrungen als Grundlage genommen, um Einblicke in 60 Jahre Leben zu geben, das in zwei Ländern stattfand. Geboren und aufgwachsen in der DDR, voller Ideale die Wendezeit erlebt und schließlich in der Bundesrepublik angekommen. Anlass war der Blick in Alben, deren Fotos sich gedanklich selbständig machten, Erinnerungen brachten, Geschichten erzählten.
Zwölf Jahre hat es gedauert, bis aus der Titelidee und dem handgeschriebenen Manuskript der gedruckte Roman wurde. Zwölf Jahre, in denen Wolfgang Domhardt schrieb, die Seiten weglegte, weiterschrieb, korrigierte, erneut weglegte und wieder weiterschrieb.
Im Roman ist von Grenzen die Rede, von undurchlässig vermauerten, von willkürlich gezogenen, denen man sich mal nähert und mal nicht. Und es ist von selbstgewählten Grenzen die Rede, die den Kopf regieren. Die Geschichte handelt von einem Unzufriedenen, dem beigebracht wurde, keine andere Wahl zu haben, als sich anzupassen. Der damit mal gut zurecht kommt und mal nicht. Wie mit seinem Tinnitus eben. Wolfgang Domhardt geht in seinem Roman der Frage nach, was den Menschen formt. Sind es nur die großen Begebenheiten oder nicht doch auch die kleinen, nebensächlich erscheinenden Alltäglichkeiten? Buchpremiere ist am 7. September im Literaturhaus.


Akte Luftballon

Stefanie Wally erzählt ihre eigene Geschichte im Buch „Akte Luftballon“: Mit sechs Jahren verschickt das Mädchen aus der BRD einen Luftballon, der bei einem sechsjährigen Mädchen in der DDR landet. Es entsteht eine Freundschaft fürs Leben, die zeigt, wie Grenzen überwunden werden können. Die Autorin gibt Einblicke in diese unglaubliche Geschichte am 4. September ab 19 Uhr im Literaturhaus. Die Veranstaltung ist als Lehrerfortbildung anerkannt.


Mutterland

Seit langem gehört Dorothea Iser zu den namhaften Schriftstellern der Region, ist Verlegerin und  engagiert sich für andere Schreibende. Sie ist Autorin von Prosa, Lyrik, schreibt für Kinder wie für Erwachsene. Am 12.September, stellt sie im Literaturhaus den dritten Band ihrer Trilogie „Kein Gott in der Nähe“ vor. Titel: „Mutterland“.  Nüchtern, pointiert und poetisch erzählt sie von einer Frau an der Schwelle des Alters, deren Herz unbeirrt für das Leben schlägt. Beginn ist 19 Uhr.


Alltagskuriositäten

Sie kennen das vielleicht: „Kaum macht man mal was falsch, ist das auch wieder nicht richtig“. Unter diesem antonymen Titel veröffentlicht die Kolumnistin und Lesebühnenautorin Kirsten Fuchs ein Kaleidoskop von Alltagskuriositäten. Dabei geht es um Erdbeermützendiebe, zauberschöne Nähmamas und verwirrende Hundebekanntschaften. Mit Kirsten Fuchs sieht man mehr: mehr Schönheit im Hässlichen, mehr Komik im Tragischen – und umgekehrt. Zu erleben am 15. September im Literaturhaus.


Stadtgeschichten

So schnell kann ein Jahr vorüber sein. Im März 2016 stellte sich Inger-Maria Mahlke mit einer Lesung als neue Stadtschreiberin in Magdeburg vor. Gemeinsam mit Senthuran Varatharajah („Vor der Zunahme der Zeichen“. Ein Facebook-Roman. 2016) gestaltet sie im Rahmen der Literaturtage ihre Abschlusslesung am 26. September ab 19 Uhr im Literaturhaus. Beide Autoren veröffentlichten 2016 auch gemeinsam ihre Texte in der Suhrkamp-Anthologie „Wie wir leben wollen“.


Abenteuer in 19 Sprachen / Buchauszüge

Literatur verbindet. Generationen, Länder, Kulturen. Ein Buch ganz besonders: „Anna Hood“ von Jürgen Jankofsky erzählt die Geschichte von Anna und Robin, die entsetzt sind vom Leid Flüchtender und helfen wollen. Daraus entspinnt sich eine wunderbare Abenteuergeschichte, die zeigt, wie einfallsreich Kinder sein können. Der Autor hat sie in 19 Sprachen übersetzen lassen. Die Leseausschnitte sind nicht in jeder Sprache identisch.  
Das Buch gehört zur Ausstellung über regionale Kinder- und Jugendliteratur, die anlässlich der
Literaturwochen am Weltkindertag, 20. September, im Literaturhaus eröffnet wird.
Ein Auszug aus dem Original:
„Robin fragte Anna, ob sie wisse, dass er einen berühmten, einen weltberühmten Namensvetter habe: grün gekleidet stets, treffsicher mit Pfeil und Bogen, ein Held, mutig und klug, der den Reichen Geld abknöpft, um es den Armen zu geben ... „Robin Hood?“ „Richtig“, bestätigte Robin.
Anna grübelte. „Du meinst“, fragte sie endlich, „wenn die Reichen heute Geld für die Armen gäben, so viel, dass die zumindest zu essen und zu trinken hätten, zur Schule gehen und dann Arbeit  fänden, in Frieden leben könnten, würde niemand  fliehen?“ ... Robin beobachtete, wie Anna Tag für Tag ihr Äußeres veränderte: Zuerst erschien sie mit einer grünen Schleife im Haar, dann mit grün lackierten Fingernägeln, dazu hatte sie schließlich einen grünen Pullover an, dann auch einen grünen Rock und grüne Schuhe, und zu guter Letzt kam sie noch mit grün geschminkten Lippen und grünem Lidschatten, einer grünen Uhr, grünem Ranzen sowie grünen Armreifen, Ketten und Ringen. Ja, und umso grüner sie wurde, wirkte sie immer verschlossener, schien ewig zu grübeln, lachte nicht, ging den anderen aus dem Weg, sprach kaum noch mit Robin.
Womöglich wäre ihr nicht mal aufgefallen, dass Robin plötzlich mit grünem Basecap in die Schule kam, wenn die Lehrer ihn nicht ständig aufgefordert hätten, dieses grüne Ding wenigstens im Unterricht abzusetzen. ...
„Robin Hood war immer fröhlich“, sagte Robin, „immer ansprechbar, immer gut drauf.“ ...
„Gut“, sagte Anna, „und weiter?“
„Allein hätte Robin Hood nichts erreichen können, absolut nichts, ohne seine Getreuen, ohne Bande wäre er nie an Gold gekommen, hätte nicht für Gerechtigkeit sorgen können, nein, nie!“
„Hm“, Anna dachte nach ... „Na denn“, sagte sie und hielt Robin einen grünen Ring hin, „willkommen in der Anna-Hood-Gang!“ ....

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