Freiraum für Kultur
Einmal im Jahr suchen die „Wohnzimmerkonzerte Magdeburg“ das Weite im Glacis-Park. Aus dem Insidertreff wird dann ein Musikfest unter freiem Himmel. Krönung der zahlreichen Wohnzimmerkonzerte des Jahres. Ein Gespräch vorab mit zwei der Organisatoren über Musik, Kultur und Freiräume.
Wir treffen uns mit Evelyn Fischer und Philipp Kloss im Glacis-Park, dort wo das „Wohnzimmer“ am ers-ten Juni-Wochenende unter den freien Himmel verlegt wird. Sie stehen nicht gern in der Öffentlichkeit, sagen die beiden, und es braucht schon einiges an Überredungskunst, sie zu einem Foto zu bewegen. Im Hintergrund die Fäden ziehen, die Konzerte organisieren, das mögen sie – gemeinsam mit fast 30 weiteren Engagierten, die regelmäßig Wohnzimmerkonzerte in Magdeburg organisieren und einmal im Jahr ein Musikfest unter freiem Himmel. Jede/r bringt sich ein – mit seinen Fähigkeiten, Ideen, musikalischen Vorlieben.
Am 1. Juni findet das bereits sechste Open-Air statt, traditionell zwischen Herrentag und Pfingsten mit dem Spectaculum im Park. Am besten wäre es, so philosophieren sie, wenn an jedem Wochenende etwas los wäre – besser noch, innerhalb der Woche ebenfalls. Kultur könne es nie genug geben. Das war auch der Gedanke am Anfang ihrer Konzertaktionen. Einfach mal machen.
Begonnen hatte es genau so. Als Dankeschön fürs Couchsurfing gab eine reisende Musikerin bei Tina Breitkreutz ein Konzert für die Gastgeberin und deren Freunde. Das gefiel der jungen Magdebugerin so, dass sie Gleichgesinnte suchte für weitere Wohnzimmerkonzerte. Es entwickelte sich das Kulturkollektiv und eine Vielzahl von Veranstaltungen an unterschiedlichsten Orten. Von der Organisation der Räume bis zu Catering, Technik, Werbung usw. wird alles ehrenamtlich übernommen. Einen festen Eintrittspreis gibt es nicht, stattdessen eine „Hutkasse“: Am Ende des Abends wird ein Hut rumgereicht und jede/r Teilnehmer zahlt, was ihm der Abend wert war. Und was er kann. Denn auch das gehört zu den wichtigen Grundlagen der Wohnzimmerkonzerte: Sie sollen nicht kommerziell sein, sondern unabhängig vom persönlichen Geldbeutel Kultur und gemeinsames Vergnügen ermöglichen. Vom Hut-Erlös bekommen die Musiker ihre Gage, werden Catering und andere Ausgaben finanziert. Und am Ende sorgen die Organisatoren auch noch dafür, dass der „Ort des Geschehens“ ordentlich und sauber verlassen wird. Alles ehrenamtlich. Aus Spaß am gemeinsamen Erleben.
Die Wohnzimmerkonzerte finden an möglichst ungewöhnlichen Orten statt, die für solche Auftritte eher nicht üblich sind. Darunter neben Wohnzimmern auch Büros, Geschäfte, ein Kindergarten, ein Centerdach in der Innenstadt... Immer auf Einladung. Daher wohl die Bezeichnung vom „Insidertipp“. Kommuniziert wird übers Internet. Dort werden Ort und Zeit bekanntgegeben, dann können sich Interessenten bewerben und werden schließlich eingeladen. Das hat besonderen Reiz, Exklusivität, aber auch einen ganz einfachen logistischen Grund: den begrenzten Raum in den jeweils eine begrenzte Anzahl Gäste passt. Wobei die auftretenden Bands sehr wohl mehr Publikum anlocken würden. Mittlerweile arbeiten die Organisatoren nicht nur mit großen Agenturen zusammen, sie bekommen auch Anfragen von bekannten Musikern.
Doch stopp, über Vergangenes reden sie nicht so gern. Sie schauen lieber in die Zukunft, sagen Philipp und Evelyn. Und da sehen sie vielfältige Kultur nicht nur in Magdeburg, aber auch und gerade hier – gerade auch im Blick auf die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025. Überall kleine kulturelle Erlebnisse… Einfach mal machen. Ideen entwickeln und umsetzen. Raum für Kultur schaffen. Freiräume. Unkompliziert. Wünschenswert sei ein Kulturmanager, als Schnittstelle zu allen Seiten, der sich auskennt und frei agieren kann, ähnlich wie in Dresden. Weniger Bürokratie wünschten sie sich. Manchmal gibt es zu viel von „das geht nicht“ als „so machen wir’s“. Gerade in diesem Jahr wird viel über Magdeburg als Reformstadt gesprochen, sagt Evelyn. „In den 1920er Jahren war es hier bunter, offener. Wo ist diese Innovation hin?“ Sie träumen davon, dass Kultur nicht als störend empfunden, sondern als selbstverständlich an vielen Orten zum Leben dazu gehört.
Einfach mal machen. Es muss nicht alles kompliziert sein. Bei ihren Konzerten gibt es keinen großen Bühnenaufbau. Natürlich Band-Technik, ja, professionell und nicht improvisiert. Aber sonst reicht eine Teppichbühne – nah dran am Publikum. Das gefällt Musikern wie Gästen. Für die Bühnen im Glacis-Park wurden Zirkuszelte geliehen. Das Line-Up steht mittlerweile und verspricht ein abwechslungsreiches Programm: Lion Sphere (Soul), Guacáyo (Reggae), Ilgen-Nur (Indie Rock), LUI HILL (Elektro Pop), Henry And The Waiter (Chill Pop), Décor (Indie Pop). Es gibt gute Musik auf die Ohren und Spaß ebenso für ganz junge Besucher. Spiele werden aufgebaut, Gesichter bemalt, bis zu Afro-Yoga reicht das Angebot. Zudem Poetry und Freundekino. Das Open-Air soll das „tragende Element des Konzertjahres sein“, sagt Philipp. Mit so vielen gut gelaunten Menschen wie möglich.
Es gibt keine Umzäunung und keinen festen Eintrittspreis. Jeder, der mag, kann dazu kommen. Am Ende wird auch hier ein Hut herumgereicht, wie früher auf den historischen Marktplätzen, und jeder gibt einen Beitrag wie er kann. Bisher, so sagen die Organisatoren, hat es so immer gut funktioniert. Ach ja – und alle mit einbeziehen. So sind natürlich auch die Bewohner ringsum eingeladen. Birgit Ahlert
Wohnzimmerkonzert-Open-Air am 1. Juni, von 15 bis 22 Uhr, Grillwiese am Adelheidring, Glacis-Park