Erfolg war der Plan
„Olvenstedt probiert’s“ seit 20 Jahren, und keine Inszenierung hat in Magdeburg einen solchen Kult-Status wie diese Theaterreihe. Ein Blick darauf, wie es dazu kam und was sich entwickelt.
Die Vorstellungen sind schnell ausverkauft, eine große Fangemeinde hat sich im Laufe der Zeit gebildet, sie lässt sich keine Inszenierung entgehen und spricht ganze Sätze mit. Was einst als monatlicher Spaß begann, hat sich über Jahre zu Kult entwickelt: „Olvenstedt probiert’s“, die Geschichte einer Laienspielgruppe aus dem Bruno-Taut-Ring, die probiert, große Weltliteratur auf die Bühne zu bringen. Das kam an. Bei den Magdeburgern ebenso wie überregional. So berichtete das Magazin STERN unter dem Titel „Sommernachtsraum nach der Wende (…) Neuerdings lohnt es sich, die Fahrt in Magdeburg zu unterbrechen.“ Das junge Ensemble um Intendant Wolf Bunge sorgte für Aufsehen. Den Anfang nahm es 1998 mit zunächst 10 Folgen, die aus dem Stand heraus zur Erfolgsserie wurden. Jede Vorstellung ausverkauft. Nicht nur typische Theaterbesucher stürmten in die Freien Kammerspiele, die Inszenierungen zogen ebenso Interessenten an, die sonst eher Bühnen fern blieben. Orte wurden bespielt, an denen sonst kein Theater stattfand. Es entstand eine unverwechselbare Mischung von Zeitgeschehen und Kunst, jenseits abgehobener Theatralik, gepaart mit regionalen Bezügen, kritischen Einwürfen und jeder Menge Humor, Augenzwinkern, Magdeburger Mundart. Der heimische Kosmos verwoben mit der großen Weltpolitik. Eine Inszenierung für die Menschen hier, für die Region. Und so gehört auch genau jene Äußerung zu den Standard-Sprüchen, die in keiner Inszenierung fehlen dürfen. „Für die Menschen hier“ machen sie ihr Theater, betont regelmäßig „Olvenstedt-Regisseur“ Basti Wiese alias Gerald Fiedler, „Ich mach mich mal die Hoare“ ist der Kult-Satz von Beate Braune alias Susanne Bard und natürlich gehört „Wir sehen uns“ dazu - ein Satz, der für die Kammerspiel-Crew zum Credo geworden ist. Sätze, die vom Publikum mitgesprochen werden, zur Inszenierung dazu gehören, ebenfalls Kult geworden sind.
Dabei sah es 2001 gar nicht rosig aus für „Olvenstedt probiert’s”. Es gab einen Intendantenwechsel und mit Wolf Bunge verließ das Gros des Ensembles das Theater ...
Rückkehr nach dem Aus
2006 die große Rückkehr. Autor und Organisator Dirk Heidicke erzählt: „Immer wieder wurden wir nach einer Fortsetzung gefragt.“ Doch wie organisieren? Die Künstler hatten Engagements an anderen Theatern fern der alten Heimat. Einzig zwischen den Spielzeiten wäre eine Möglichkeit ... Das ist die traditionelle Urlaubszeit der Theaterleute. Doch siehe: Die Ensemblemitglieder kehrten aus ganz Deutschland zurück nach Magdeburg, mit Susanne Bard und Michael Günther zwei der Protagonisten sogar aus Bern. Mit „Salome“ wurde der Neustart gewagt, mit allen (!) „alten“ und einigen neuen Akteuren. Texte und Ideen kamen erneut von Dirk Heidicke, die Regie übernahm Jörg Richter und die Produktionsleitung Norbert Pohlmann, der im Forum Gestaltung zudem ein neues Domizil bot. Fortan Spielstätte für das Sommertheater. Zunächst als Versuchsballon. Dann als Instanz. Bis heute.
2003 wurde Kult e. V. gegründet, fortan die weiteren Aufführungen unter Trägerschaft des Vereins organisiert. Seitdem „opfern” die Protagonisten ihren Sommerurlaub, um es in Magdeburg mit Olvenstedt zu probieren. Und werden Jahr für Jahr aufs Neue dafür gefeiert. Die Eintrittskarten verkaufen sich sowie die Termine feststehen – unabhängig vom Thema der Inszenierung. Weil eines bereits im Voraus festeht: Es wird gelingen! Man spürt den Spaß am Spiel ebenso wie die Freude beim Entwickeln des Stückes. Die Ideen scheinen Haus-Autor Dirk Heidicke nie auszugehen. Sie entstehen beim Schreiben, sagt er. Das Tagesgeschehen ist Inspiration. „Ich freue mich jedes Jahr darauf.“
Haben die „Olvenstedter” mit so einer Erfolgsserie gerechnet? Heidicke schmunzelt: „Erfolg war der Plan.“ Es sollte etwas entstehen, das immer wiederkehrend aktuelle Themen aufnimmt, mit Magdeburg verbindet und möglichst lange auf dem Programm steht. Dass es über 20 Jahre geworden sind, ist dennoch einmalig.
Unterhaltung enthält Haltung
Wobei nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen auf dem Programm stehen. Im vorigen Jahr gab es geteilte Reaktionen, als beim Thema Migration auch Migranten mitspielten. Darunter waren auch zwei Theaterprofis aus Syrien. Die Kammercrew reagierte auf Gegenwind prompt und inszenierte für die Wintersaison mit „Die Schöne und das Biest“ ein Statement zur Willkommenskultur, inklusive migrantischer Spieler – und wurde gefeiert dafür. Das Ensemble steht nicht nur für Unterhaltung, sondern wie im Wort enthalten eben für Haltung.
Sie spinnen den gedanklichen Faden weiter. Wie stehen wir eigentlich zu unseren Nachbarn? Sowohl im eigenen Haus als auch im Land? Solchen und weiteren Fragen gehen die Künstler demnächst im Stück „Nachbarn“ nach, das in Kooperation mit dem Theater an der Angel am 25. März in der Zollstraße Premiere hat. Die „Angler” sind sozusagen künstlerische Nachbarn. Es verbindet sie ebenfalls eine lange Freundschaft. Daraus entsteht eine weitere Zusammenarbeit: „Das Glück des Gauklers“, ein Georg-Philipp-Telemann-Stück, erneut aus der Feder von Dirk Heidicke. Uraufführung ist am 2. Juni im Gesellschaftshaus.
Thematische Bezüge zur Region sind Pflicht. Das nehmen die Künstler sportlich und haben den regionalen Kult-Verein stets im Programm. So wundert es nicht, dass mit Paul Linz bereits ein FCM-Trainer ins Spiel integriert wurde. In jedem Jahr tritt ein prominenter Gast auf, darunter u.a. SWM-Chef Helmut Herdt, Domprediger Giselher Quast, der unvergessene Frank Giering, Beate Fischer und Corinna Breite, Uta Schorn und Kathrin Waligura. Und natürlich Oliver Breite – ein wahrer Glückgriff. Denn es gefiel dem bekannten Filmschauspieler in Magdeburg und im Ensemble, so dass der Kontakt blieb. Er kam zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ (2014), war „Faust“ im vorigen Jahr und jetzt, ganz neu, ist er in der Luther-Inszenierung „Bruder Martin und Bruder Johann” zu erleben. Er gibt den Luther und Michael Günther seinen Gegenpart Tetzel. Gefeierte Premiere in Eisleben bei der offiziellen Eröffnung des Reformationsjahres. Am 13.Mai ist Magdeburg-Premiere in der Ambrosiuskirche.
Mittlerweile haben sich in Reminiszenz an die Anfänge die Kammerspiele Magdeburg gegründet, firmieren unter diesem Titel als Ensemble seit 2014. Ihre kulturelle Heimat haben sie in Sudenburg gefunden, treten jedoch an verschiedenen Orten auf, u.a. im Blüthnersaal („Abraham“ mit Jörg Schüttauf), im Sommer natürlich im Forum Gestaltung und – weil der Sommer der Fangemeinde nicht genug ist – mit Winterinszenierungen von „Olvenstedt probiert’s“ in der Feuerwache. Dort hat sich währenddessen ein weiterer Kult entwickelt: Mit dem „Menü für Margot“ wurde eine Ost-Variante des legendären „Dinner for one“ geschaffen, zum Jahreswechsel mit mehreren Aufführungen, immer ausverkauft.
Längst gehört nicht nur „Olvenstedt probiert’s“ zum Programm, es gibt „The Kraut”, „Schön im Zwielicht”, „Grand mit Diva“, „Die Birnen von Ribbeck“, „König.Tango.Frosch“ … Zu 90 Prozent ausverkauft sind die Aufführungen des Ensembles. Doch das allein genügt nicht, um die Kosten zu decken, bei bezahlbaren Eintrittspreisen. So sollte die Faust-Inszenierung im vorigen Jahr vor allem junge Leute locken, um der jungen Generation den alten Meister nahezubringen, aber auch um Theaterbesuchernachwuchs zu gewinnen. Es hat funktioniert. Nicht zuletzt durch die Einbeziehung der Theatergruppe des Norbertusgymnasiums gelang eine sehr junge Inszenierung, die zahlreiche Schulklassen anlockte. Allerdings mussten die Eintrittspreise entsprechend klein gehalten werden. Ohne Fördergeld unmöglich.
Ohne Fördergeld nicht möglich
Jahr für Jahr aufs Neue werden Unterstützer gesucht, Fördergelder beantragt, müssen Sponsoren gewonnen werden. „Ohne Förderer wie Lotto wäre ein Projekt wie ,Olvenstedt probiert’s’ nicht möglich“, betont Autor Dirk Heidicke. Seit 2006 stellt Lotto Sachsen-Anhalt dem Verein Kult e.V. Geld zur Verfügung, in den letzten zwei Jahren jeweils 12.000 Euro. Hinzu kommt eine Förderung für die Uraufführung „Bruder Martin und Bruder Johann“ in Höhe von 4.500 Euro. Insgesamt kommen von Lotto Sachsen-Anhalt jeden Tag rund 17.000 Euro dem Gemeinwohl in Sachsen-Anhalt zugute, ist von Pressesprecherin Astrid Wessler zu erfahren. „Jeder dritte Euro davon geht in Kultur-Projekte, jeder vierte Euro in den Sport.“ Von jedem Euro, der für Lotto-Produkte ausgegeben wird, gehen etwa 20 Cent an das Gemeinwohl, so Wessler. „Dazu gehören Projekte wie ,Olvenstedt probiert’s’“. Ein kleiner finanzielle Zuschuss wird von der Stadt beigetragen, die teilt ihr Budget von 100.000 Euro auf 60 Vereine auf, so bleiben rund 1.500 Euro für Kult e.V. Weitere Unterstützung erhält der Verein aus der Privatwirtschaft.
Auch in diesem Jahr hofft Kult e.V. auf Unterstützung, um im Sommer erneut die Kultserie um die Olvenstedter Laiendarsteller als Sommertheater im Forum Gestaltung fortsetzen zu können. Welches Welttheaterstück dann im Fokus steht, ist noch nicht entschieden. Eins ist auf jeden Fall sicher: Olvenstedt probiert’s! Birgit Ahlert