„Entartete Kunst“?

In Halles Kunstmuseum Moritzburg wird derzeit ein Teil jener Bilder gezeigt, die 1937 bei Hitlers Aktion gegen „entartete Kunst“ aus dem Museum entfernt worden waren. Welche Hintergründe haben da mitgespielt? Was soll das sein: „entartet“? Als etwa 1823 die beiden Franzosen Niepce und Daguerre – beide Maler - die Fotografie erfanden, da konnte nun das mühsame Malen von Porträts durch das „Malen mit Licht“ ersetzt werden, was ja „Fotografie“ bedeutet. Zwar war auch das anfangs nicht ganz einfach, etwa mit Belichtungszeiten von mehreren Minuten und der anschließenden mühevollen Laborarbeit, aber der Fotograf kam eben ohne jede zeichnerische Begabung aus. Das war vorher anders. Da mussten begabte Maler jene Bilder erzeugen, die wir jetzt noch in den Ahnengalerien alter Schlösser finden. Vielleicht bekam der Maler sogar ein paar Gulden mehr, wenn er die alte Gräfin etwas hübscher darstellte.

Was aber machte nun die Malerei? Sie hätte sich ja jetzt von der Tätigkeit des Abbildens vollends verabschieden können. Es entwickelten sich zwei Linien. Die eine folgte weiterhin der Technik des Abbildens und hat damit – bis heute - volkstümlichen Erfolg. Viele Leute fanden und finden ein gemaltes Bild umso schöner, je mehr es einem Farbfoto gleicht. Dagegen folgte die andere Linie dem Gedanken, dass nun der Künstler völlig frei ist von der Pflicht zur Abbildung. Er durfte nun in freien Formen gestalten, dabei Proportionen menschlicher Körper und Gesichter verändern, um dadurch zur stärkeren Wirkung seines Bildes zu kommen. Überhaupt: Was malte der Künstler denn jetzt? Hierzu ein Zitat des – auch in der halleschen Ausstellung vertretenen - Malers Paul Klee: „Kunst bildet nicht ab, sondern macht sichtbar“. Der Künstler schafft also etwas, das es vorher noch nicht gab: Das Bild als neue Schöpfung und nicht als Abbildung von etwas schon Existierendem. Da wird dann das Gesicht eines Verzweifelten grün gefärbt oder die Gliedmaßen eines Leidenden verzerrt dargestellt. Schließlich wird sogar nur noch abstrakt gemalt. Darum lässt sich nicht fragen: „Was will uns der Künstler damit sagen?“ Vielmehr geht nur: „Wozu regt mich, den Betrachter, dieses Bild an?“ Da wird es viele Antworten geben, denn es verbindet sich ja der seelische Bereich des Künstlers mit dem des Betrachters.

Dieser Gedanke ist anspruchsvoll und hat es auf volkstümlicher Ebene schwer. Auch im Kunstunterricht der Schulen wurde während der zurückliegenden beiden Diktaturen weitgehend versäumt, hierfür Verständnis zu vermitteln. So konnte Hitler sein „entartet“ und die DDR ihr „dekadent-formalistisch“ erfolgreich propagieren. Erfolgreich deshalb, weil eben beide Systeme die moderne Kunst selbst nicht verstanden hatten, oder sie vielleicht auch – wegen des psychischen Hintergrunds - für gefährlich hielten.

Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass viele DDR-Künstler in ihr Werk einen doppelten Boden einzogen. Unter der offiziellen Oberfläche schlummerte oft eine Zweitaussage, und es machte dem geschulten Betrachter Freude, diese zu entdecken.

Nun: Schauen Sie sich an, was Hitler für entartet hielt: Lyonel Feiningers Halle-Zyklus, Emil Noldes „Abendmahl“ oder Paul Klees „Besessenes Mädchen“ und spüren Sie der seelischen Tiefe dieser Bilder nach! Die Ausstellung ist geöffnet täglich 10 bis 18 Uhr, außer mittwochs. Dieter Müller

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