Die grausame Langeweile in Burg

Der am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geborene Henri Théodore Fontane (Theodor Fontane) war ein Apotheker und Poet. Der Sohn eines Apothekers lebt bis zu seinem siebten Lebensjahr in seiner Geburtsstadt, bevor sein Vater die Löwen-Apotheke aufgrund von Spielschulden verkauft. In Swinemünde (heutiges Polen) erwirbt dieser schließlich die kleinere Adler-Apotheke.

Nach dem Besuch eines Gymnasiums in Neuruppin und einer Gewerbeschule in Berlin bricht Fontane seine erste Ausbildung ab und beginnt eine Apothekerlehre bei Wilhelm Rose in der Apotheke „Zum Weißen Schwan“ in Berlin. 1839 erscheint seine erste Novelle „Geschwisterliebe“ in der Zeitung Berliner Figaro, zuvor veröffentlicht er dort bereits mehrere Gedichte. Kurze Zeit später, 1840, beendet Fontane seine Lehre. Sein tiefes Interesse an Kultur und Literatur bringt ihm viele enge Bande zu Berliner Schriftstellern ein. Aus ebendiesen erfolgt im Oktober 1840 seine Umsiedlung nach Burg bei Magdeburg. Von September bis Dezember arbeitet er als Apothekengehilfe in der hoch angesehenen Adler-Apotheke bei August Theodor Kannenberg, der aus Quecke (ein unbeliebtes Süßgras) versucht, Heilmittel gegen Blasenentzündungen und Ekzeme herzustellen.

Zwar ist die Stadt Standort aufstrebender Tuchindustrie und beherbergt einige Dampfmaschinen, bietet jedoch wenige kulturelle Aspekte. Dies schlägt sich in den Texten Fontanes, die in dieser Zeit entstehen, nieder. So schreibt er ein spöttisches Gedicht über den Burger Roland. Dabei handelt es sich um eine Symbolfigur, die an einem Haus angebracht war. Jenes Haus war schnell veräußert, die Arme und Beine machte man zu Treppenstufen, aus dem Torso errichtete man eine Stallung für Schweine. Nur den Kopf findet Fontane noch auf dem Hinterhof eines Gasthauses und schrieb darüber den Text „Burg an der Ihle“ (s. unten).

Rückblickend schreibt Fontane über seine Zeit in Burg: „Ich kam in der Stadt gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, grausame Langeweile. Daß die Stadt ausschließlich daran Schuld gewesen sei, darf ich nicht behaupten, es lag vielmehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstand, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf denkbar bestem Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur das Eis gebrochen war“.

Bis zum Beginn des Militärjahres vom April 1844 bis März 1845 arbeitet er in verschiedenen Apotheken. 1847 besteht Fontane das Examen zum Apotheker erster Klasse und beginnt in der Apotheke „Zum Schwarzen Adler“ in Berlin. Während seiner Arbeit als Apotheker veröffentlicht er immer wieder in verschiedenen Blättern seine Texte.

Theodor Fontane geht in seinem Leben verschiedenen Berufen nach, so ist er nicht nur Schriftsteller und Apotheker, sondern auch Theaterkritiker, Militärhistoriograph und Journalist. Am 20. September 1898 stirbt er in Berlin und wird auf dem Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde beigesetzt. Seine Frau Emilie, die er 1850 geheiratet hatte, wird vier Jahre später neben ihm beerdigt. Sophie Altkrüger

Schlag‘ todt! Schlag todt!
Heraus mit Eurem Flederwisch!

Horch mit feierlichen Klängen tönt die Glocke Mittemacht;
Schlaflos ruh‘ ich auf dem Lager. Träume halten bei mir Wacht,-
hellt das nächt’ge Dunkel, um mich her ein lichter Schein-,
Und ein riesenhaftes Wesen schwebt in mein Gemach hinein.

Das Gespenst schien mir der Schatten eines Alpentheils zu sein.
Ein Gebirgsstock statt des Rumpfes. Felsenglieder Arm und Bein,
>Seine ungeheure Stirne war ein Wetterwolkensitz,
Und aus seinen Augen flammte unaufhörlich Blitz auf Blitz.

Einen himmelhohen Fichtenschatten schwang sein Arm empor;
„Seid bereit!“ wie Donner schlugen diese Worte an mein Ohr;
Zitternd sprach ich: „Lieber, langer. ungeheuer großer Geist.
Weißt Du nicht, daß große Geister jeder Burger von sich weist?“

Eine Träne sank zu Boden,- ein Fendant zum Bodensee,
„Ja, ich weiß,“ rief er traurig. darum such‘ ich Deine Näh‘;
Ja ich hab‘ Dich auserkoren an den Bürgern mich zu rächen.
Ihnen nicht den Hals zu brechen, aber doch den Star zu stechen.“

„Freund, ich bin der Geist des Rolands. der hier an dem Rathaus stand,
Länger als sechshundert Jahre lehnt ich mich an seine Wand,
Da gefiels dem hohen Rate. Schneidern. Tuch- und Handschuhmachern,
Mit dem wankelmütigen Hause auch den Roland zu verschachern.

Mich erfeilschte ein Philister; „Vorwärts! - rief er - packet an!
Was beginn ich mit dem alten, welthistorischen Grobian?
Stellt mir seine beiden Lenden wie zwei Pfosten vor das Haus.
Nehmt‘ ihm seine Arm‘ und Beine und macht Treppenstufen draus!“



,.Und mein Rumpf?- statt eines Troges residiert im Schweinekoben.
Nur mein Haupt ward hochgehalten. oder wenigstens erhoben,
Auf dem Hühnerstalle steht es, daß es nach den Eiern sieht,
Und gewissenhaft berichtet. ob der Hahn kickerickit.“

Seit der großen Retirade ist solch Frevel nicht gescheh’n-,
Darum muß ich exemplarisch dieses Chor gezüchtigt sch’n;
Nicht mit Schwert und Feuer sollst Du des Philisters Land verwüsten,
Sie am Pranger zu erblicken, will‘s mich wahrlich mehr gelüsten.“

„Darauf und dran“ und die Satyre ström‘ aus deinem Federkiel;
Nein, was sprech‘ ich – solche Bilder malt man mit dem Besenstiel,
Tauch ihn nicht aus Furcht vor Klecksen – sparsam in die Tintenbüchse,
Nein recht stark in patentierte, englische Glanz-Stiefelwichse.‘

„Gib den Bildern lauter Schatten. denn ich weiß, daß diese Stadt
Stets dem Lichte feind gewesen und nur Schattenseiten hat;
Ziele nicht nach Knalleffekten, male treu nach der Natur,
Alles, alles was sie bietet ist ja schon Karikatur.“

„Und dann klebe deine Bilder an den großen Rathausturm,-
Eile flugs zur nächsten Kirche. läut‘ aus allen Kräften Sturm,
Und wenn sie zusammengelaufen, lesen, staunenc fluchen, toben-,
Schick ich meinen Leib zum Schutze Dir aus Stall und Schweinekoben.“

Er verschwand; am anderen Morgen zog ich wohlgemut vom Leder,
Wählte statt des Besenstieles just mir eine spitze Feder,
Und wo man statt der Satyre eine tiicht’ge Grobheit spürt, …
(Auszug aus „Burg an der Ihle“)

Veranstaltungshinweise

Stadtbibliothek: Die regionale Lesestunde: „Der Zauber steckt im Detail“ – Erinnerungen an Theodor Fontane anlässlich seines 200. Geburtstages. Bibliothekarin Susanne Off stellt interessante und weniger bekannte Texte Fontanes vor. Folgend kann die gleichnamige Hausausstellung besichtigt werden. 16. Mai 2019, 16 Uhr

Literaturhaus: Sicherheit is nicht – der Ehebriefwechsel zwischen Emilie und Theodor Fontane
Ausgewählt und gelesen von Antje und Martin Schneider, am Klavier begleitet und kommentiert von Angela Maria Stoll, VVK 8 Euro AK 10 Euro. 8. Oktober 2019, 19 Uhr

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