Zwischen Strafe und „Ehe” mit Abstrichen
Kernfamilie, Großfamilie, Patchworkfamilie, Regenbogenfamilie, Stieffamilie, nichteheliche Gemeinschaft mit und ohne Kinder, alleinerziehende Elternteile … So alt wie das Wort Familie bereits ist, so dehnbar ist der Begriff inzwischen geworden. Vom lateinischen Wort famulus (Diener) bzw. familia (Gesamtheit der Dienerschaft) abstammend, fand der Begriff Familie im ausgehenden 17. Jahrhundert – aus dem Französischen kommend – Eingang in die deutsche Sprache und wurde zunächst noch mit dem Begriff Haus gleichgesetzt. Erst allmählich entwickelte sich daraus die später klassische Bedeutung von Vater, Mutter, Kind.
Dass zur Familie ein männlicher Part, ein weiblicher Part und (mindestens) ein Kind gehört, von dieser Vorstellung konnte bzw. kann sich die Gesellschaft nur langsam lösen. Doch Familie wird heutzutage – wie eingangs aufgeführt – in vielen Facetten gedacht: auf die Ehe konzentriert, die Elternschaft im Fokus oder offen interpretiert auf die Solidarbeziehungen abzielend. Familie ist dort, wo Menschen zusammenleben und gemeinsam ihren Alltag bestreiten, ob verheiratet oder nicht, ob zwei Kinder oder keine, ob gleichgeschlechtlich oder Frau und Mann.
Während nichteheliche Beziehungen und uneheliche Kinder bereits seit längerem gesellschaftlich akzeptiert sind, gibt es gegen Homosexuelle nach wie vor Ressentiments. Über Jahrhunderte war Homosexualität strafbar – und ist es bis heute in zahlreichen Ländern noch immer. In der Antike gehörte die Liebe unter gleichgeschlechtlichen Partnern zwar zum Alltag, doch in christlich geprägten Ländern galt sie bis zum Hochmittelalter als Sünde, wurde vom 13. Jahrhundert bis zur Aufklärung sogar mit dem Scheiterhaufen bestraft. Erst die Französische Revolution führte in Ansätzen zu erstem Umdenken, was sich in Preußen am Ende des 18. Jahrhunderts zunächst in der Umwandlung der Todesstrafe in eine Zuchthausstrafe niederschlug. Nach und nach änderte sich das Bild schließlich von einer Art „Straftat“ in eine psychische Krankheit, die in der BRD noch bis in die 1970er Jahre diagnostiziert wurde. Der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuches, der 1872 in Kraft getreten war und der sexuelle Handlungen zwischen Personen des gleichen Geschlechts unter Strafe stellte, wurde schließlich erst 1994 aufgehoben.
Seitdem gab es nicht nur gesellschaftlich, sondern auch rechtlich einige Veränderungen. 2001 wurde schwulen und lesbischen Paaren die eingetragene Lebenspartnerschaft ermöglicht – eine „Ehe“ mit Abstrichen, da beispielsweise in Sachen Adoption nicht dieselben Reche galten wie bei der Ehe zwischen Mann und Frau. Seit dem 1. Oktober 2017 dürfen homosexuelle Paare nun auch in Deutschland heiraten und erhalten damit dieselben Rechte und Pflichten wie heterosexuelle Paare. Statistische Erhebungen existieren für diesen kurzen Zeitraum noch nicht. Selbst Statistiken zur eingetragenen Lebenspartnerschaft wurden in Sachsen-Anhalt erst in den vergangenen Jahren veröffentlicht, da es vorher keine größere Zahl von Verpartnerungen gegeben habe. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Halle (Saale) lebten 2011 415 Frauen und 470 Männer in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, 2015 waren es 540 Frau und 579 Männer. Im Vergleich dazu gab es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 2015 insgesamt rund 94.000 Paare, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft lebten. Im Vergleich zur Eheschließung zwischen Frau und Mann macht die eingetragene Lebenspartnerschaft in Sachsen-Anhalt nur einen geringen Teil aus: 2015 wurden je 1.000 Einwohnern 4,7 Ehen geschlossen, aber nur 0,06 eingetragene Lebenspartnerschaften begründet (Statistisches Landesamt).
Dank der rechtlichen Gleichstellung durch die Ehe für alle hat sich vor allem mit Blick auf das Adoptionsrecht etwas bewegt. Bis Ende September 2017 durfte nur einer der beiden Lebenspartner ein fremdes Kind adoptieren. Der andere Lebenspartner hatte nur durch großen Aufwand die Möglichkeit, das Kind im Nachhinein als das eigene anzunehmen. Das leibliche Kind des Partners konnte schon seit 2005 als eigenes angenommen werden. Inzwischen können homosexuelle Paare von Anfang an gemeinsam ein Kind adoptieren. Laut dem „Familienreport 2017“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gab es im Jahr 2015 acht Millionen Familien mit minderjährigen Kindern im Haushalt. Verheiratete Eltern mit 5,5 Millionen waren die häufigste Familienform. Ihre Anzahl ist in der Vergangenheit zurückgegangen, wohingegen die Anzahl der Lebensgemeinschaften und die der Alleinerziehenden gestiegen ist. 2015 gab es 843.000 Lebensgemeinschaften und 1,6 Millionen Alleinerziehende. In eingetragenen Lebenspartnerschaften lebten im Jahr 2015 in Deutschland 10.000 Kinder. Damit gab es in einer von zehn eingetragenen Lebenspartnerschaften mindes-tens ein Kind. Ob diese Zahl in Zukunft aufgrund der Ehe für alle deutlich steigen wird, bleibt abzuwarten. Tina Heinz