Wider das Vergessen

Gedenktafel auf dem Friedhof Westerhüsen in Magdeburg. Foto: Peter Gercke

Wo ist eigentlich Vater geblieben? Diese Frage mussten Mütter im vergangenen Jahrhundert ihren Kindern beantworten. Millionenfach lautete die Antwort: Ich weiß es nicht. Das Grauen des Kriegsalltages der beiden großen Weltenbrände im Europa des 20. Jahrhunderts verschonte keine Familie. Männer in Uniformen unterschiedlichster Nationen fielen in den Schützengräben zwischen Atlantik und Ural. Tote Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge wurden in Massengräbern verscharrt. Die Nachricht von ihrem Ableben erreichte kaum die Familien. Die Hoffnung stirbt zuletzt – so auch bei den Menschen, die auf die Rückkehr ihrer geliebten Familienangehörigen aus dem Krieg oder der Deportation warteten.
Seit nahezu 100 Jahren kämpft der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wider das Vergessen. Gegründet wurde die gemeinnützige Organisation am 16. Dezember 1919 – aus der Not heraus. Die damals junge Reichsregierung war weder politisch noch wirtschaftlich in der Lage, sich um die Gräber der Gefallenen des Ersten Weltkrieges zu kümmern. Diese Aufgabe übernahm der Volksbund, der sich als eine vom ganzen Volk getragene Bürgerinitiative verstand. Auf seine Initiative hielt der Volkstrauertag Einzug. Erstmals am 1. März 1925 begangen, wird heute jährlich an diesem Tag an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen erinnert. Ab 1933 unterwarf sich die Führung des Volksbundes aus eigenem Antrieb der Gleichschaltungspolitik der NS-Regierung. Ab 1946 legte der Volksbund in kurzer Zeit über 400 Kriegsgräberstätten in Deutschland an. Die Bundesregierung beauftragte 1954 den Volksbund, die deutschen Soldatengräber im Ausland zu suchen, zu sichern und zu pflegen. Viele unbekannte Gräber wurden identifiziert, das Schicksal und das Leid vieler Familien bekam einen Namen. Insgesamt werden in 46 Staaten 833 Kriegsgräberstätten mit über 2,7 Millionen Kriegstoten betreut. Darüber hinaus engagiert sich der Volksbund auch auf einigen Kriegsgefangenenfriedhöfen, um auch diesen Opfern der Gewaltherrschaft ein würdiges Gedenken zu schaffen.
Mehr als 1,8 Millionen deutsche und ausländische Kriegstote des Ersten und Zweiten Weltkrieges ruhen auf Friedhöfen in der Bundesrepublik Deutschland. In Sachsen-Anhalt berät der Volksbund-Landesverband die Komunen bei der Betreuung von 900 Anlagen mit mehr als 55.000 Kriegsgräbern. Doch die Zeit der Neuanlegung von Sammelgräbern neigt sich dem Ende zu. „Neben dem Anlegen würdiger Grabstätten, steht die Bildungsarbeit ganz oben auf der Agenda” erläutert der Landesvorsitzende des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Landtagspräsident a. D. Dieter Steinecke, die neuen Ziele der Organisation. Wer sich nicht erinnern kann, wohin Hass, Gewalt und Krieg die Menschheit letztlich führen, wird auch nicht wissen, wann und wie er Anfängen einer Entwicklung wehren muss, die nie wieder eintreten darf. Das ist die Mahnung, die von den Kriegsgräbern ausgeht. In Zeiten, in denen mehr als 300.000 geschätzte Kindersoldaten unter Waffen stehen, ist diese Mahnung dringend. Der Volksbund setzt besonders bei der Jugendarbeit Zeichen und organisiert Projektfahrten, Seminare, Workshops und Diskussionen und gibt in Schulen Denkanstöße gegen das Vergessen.
Jan Scherschmidt, Landesgeschäftsführer des Volksbundes, zählt bei dieser Erinnerungsarbeit und dem Bildungsauftrag landesweit auf 2.500 Mitglieder und nochmal so viel Unterstützer. Zu denen zählt auch die Bundeswehr, die langjährig die Spendenaktionen des Volksbundes aktiv unterstützt. Am 19. Oktober um 18 Uhr beginnt der Auftakt zur diesjährigen Spendenaktion mit einem Konzert des Rossini-Quartetts in der Magdeburger Lukasklause.

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