Wenn der Postmann zweimal klingelt

Weihnachten ist die Zeit der Geschenke. Und da ein schmuck verpacktes Präsent unter dem Baum nicht mehr ausreicht, bricht alle Jahre wieder das große Zustellungs-Chaos aus.

Kaum war der Weihnachtsbaum mit Glaskugeln, Lametta, Holzfiguren und Kerzen geschmückt, tauchten die ersten Geschenke wie aus Geisterhand darunter auf. Ein paar Kleinigkeiten für jeden. Das größte Geschenk würde später der Weihnachtsmann persönlich vorbeibringen … das größte Geschenk für das Kind oder die Kinder natürlich. Eine Puppenstube für die Tochter. Oder ein Kaufmannsladen. Für den Sohn gab es einen Fußball, ein Springseil oder ein anderes Sportgerät. Auch Gesellschaftsspiele und Puzzles erfreuten sich großer Beliebtheit. Und wenn sich sogar eine Modelleisenbahn oder ein Plattenspieler unter dem Geschenkpapier versteckten, freuten sich nicht nur die Jüngs-ten. Ein Paket zu öffnen, war früher eine Besonderheit. Geburtstage und das Weihnachtsfest die seltenen Anlässe im Jahr, an denen schön verpackte Dinge mit Geduld oder in freudig aufgeregter Hektik aus ihrer Hülle befreit wurden.

Und heute? Heute gehören sie zum Alltag. Zum einen wird die Flut der Geschenke scheinbar immer größer. Nicht nur Geburtstag und Weihnachten, auch Nikolaus, Ostern, Schuleinführung, Schuljahresende, gute Noten und andere Gelegenheiten werden von Mama und Papa, von Oma und Opa genutzt, um den Nachwuchs mit Geschenken zu überhäufen. Und während sich früher ein Päckchen unter dem Weihnachtsbaum befand, sind es heute mehrere … darunter, davor und um den Baum herum. Würde es nicht nach Nadelgehölz riechen – zumindest im Falle eines echten Weihnachtsbaumes –, würde dieser womöglich angesichts der Geschenkeflut in der Bedeutungslosigkeit versinken. Man könnte auch einfach die Geschenke so stapeln, dass sie die Form eines Tannenbaums annehmen. Das würde nicht nur Geld und Zeit (kaufen, aufstellen, schmü-cken) sparen, sondern auch die Natur schonen.

Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb Pakete und Päckchen keine Besonderheit mehr sind. Schließlich ist es heute nicht ungewöhnlich, wenn der Postmann zweimal klingelt. Erst DHL, später Hermes. Oder gar noch ein dritter Paketdienst. Die Zeit, in der die Masse der Privatpakete zu Weihnachten die größte Sorge der Deutschen Post (damals noch konkurrenzlos) war, ist längst vorbei. Internet und Online-Handel haben dafür gesorgt, dass auch außerhalb der Weihnachtszeit der Service der Paketdienstleister stark gefragt ist. DHL, DPD, UPS, Hermes und GLS – die fünf größten – liefern in Deutschland täglich mehr als 7,5 Millionen Pakete aus. Nach Informationen des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik e.V. (BIEK) wurden im vergangenen Jahr 3,3 Milliarden Sendungen zugestellt. Für 2022 prognostiziert der Branchenverband 4,3 Milliarden Sendungen in Deutschland.

In der Adventszeit wurden 2017 täglich knapp 10 Millionen Pakete ausgeliefert. Nach Informationen des BIEK waren es am Spitzentag sogar 15 Millionen Pakete – 5 Millionen mehr als im Vorjahr. Laut einer Studie der Hochschule für Oekonomie und Management (FOM) mit Hauptsitz in Essen besorgen 63 Prozent der Deutschen ihre Präsente für das Fest aller Feste erst zwischen dem 1. und dem 22. Dezember. Das Chaos ist also vorprogrammiert. Denn abseits der Weihnachtszeit gibt es auch im alltäglichen Geschäft ein Hauptproblem: Der Onlinehandel hat die Logistik überflügelt. Den Paketdienstleistern fehlt es an allen Ecken und Enden: An einer vernünftigen Infrastruktur, an Geld, um diese auszubauen, und an Zustellern. Und so häufen sich die Beschwerden über unfreundliche Zusteller, verspätete oder vermisste Sendungen und über zerstörte Verpackungen. Die Verbraucherzentrale hatte zwischen 2015 und 2017 im Internet das Portal „Paket-Ärger“ geführt und dort mehr als 21.000 Einträge registriert. Seit diesem Jahr werden derlei Schilderungen über Ärgernisse unter post-aerger.de gesammelt.

Und während die Online-Händler garantieren, dass Ihr Paket unter dem Weihnachtsbaum liegt, selbst wenn Sie es nur ein paar Tage vor Heiligabend bestellen, wächst mit jedem Maus-Klick der Druck auf die Zusteller. An einem Durchschnittstag steht der Paketbote mit zwei, vielleicht auch drei Paketen vor dem Mietshaus und arbeitet die Klingelknöpfe ab, um jemanden anzutreffen, der die Sendungen entgegennimmt. In der Adventszeit ist derselbe Bote mit einer Sackkarre unterwegs, um die doppelte oder dreifache Menge loszuwerden. Zeit, um in alle Stockwerke zu laufen und ein paar nette Worte mit dem einen oder anderen Bewohner zu wechseln, bleibt dann nicht. Denn am Ende des Tages müssen alle Pakete zugestellt sein – und in der Vorweihnachtszeit hat der Arbeitstag nicht mehr Stunden als während des restlichen Jahres, auch wenn mindestens die doppelte Menge an Sendungen bewältigt werden muss.

Die großen Paketdienste stocken aus diesem Grund ihr Personal im November und Dezember deutlich auf. Allein der Marktführer DHL, Paketdienst der Deutschen Post, stellt bundesweit 10.000 zusätzliche Mitarbeiter ein, um an den Spitzentagen etwa zehn Millionen Sendungen transportieren zu können. Doch nicht nur bei der Zustellung, sondern auch in den Paket- und Briefzentren sollen diese eingesetzt werden. Laut BIEK wird das in Zukunft jedoch nicht reichen. Personal werde dringend benötigt. Der Bundesverband Paket und Expresslogis-tik geht davon aus, dass im Jahr 2022 mehr als 25.000 weitere Zusteller gebraucht würden – nicht nur in den Monaten November und Dezember.

Und auch in anderen Bereichen wird aufgestockt. DHL beispielsweise erweitert in der Vorweihnachtszeit seine Fahrzeugflotte um mehr als 12.000 Autos. Nicht gerade ein Segen für die ohnehin schon überlasteten Straßen. Und da selten ein passender Parkplatz frei ist, wo der Zusteller für die wenigen Minuten der Auslieferung sein Fahrzeug abstellen könnte, sorgen „wild“ parkende Paketboten für ein zusätzliches Ärgernis. Ganz zu schweigen von den Personen, die – mal wieder im Kaufrausch – fünf Sendungen von diversen Versanddienstleis-tern erhalten, die dann bei drei unterschiedlichen Paketshops abgegeben werden, weil der oder die Betroffene zum Zeitpunkt der Lieferung natürlich nicht zu Hause war. Und weil man fünf Pakete nicht ohne Weiteres unter den Arm klemmen kann, muss man eben doch noch einmal das eigene Auto bemühen, um diese abzuholen. Aber auch nach Weihnachten kehrt keine Langeweile ein, wenn die Retouren-Flut einsetzt und Millionen überflüssiger oder unpassender Weihnachtsgeschenke großzügig verpackt wieder zurückgeschickt werden. Tina Heinz

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