Was Hänschen nicht lernte, lernt eben Hans

Dr. med. Daniel Bittner

Neurologe Dr. Daniel Bittner vom Magdeburger Universitätsklinikum sagt, Untersuchungen würden bestätigen, dass die Konfrontation mit neuen Dingen im Leben einen wichtigen Einfluss aufs Lernen und Gehirnaktivitäten hat. Wiederkehrende Reize stimulieren kaum.

Alles halb so wild! „Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmer mehr.“  Diesen eher mürbe stimmenden Spruch kennen viele noch. Doch was ist dran an dieser Behauptung? Und können wir unser Gehirn gar selbst beeinflussen und dessen „Architektur“ verändern? Dr. med. Daniel Bittner, Facharzt für Neurologie am Universitätsklinikum Magdeburg, und Wenzel Glanz vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) berichteten von spannenden Erkenntnissen über das menschliche Gehirn.  
Das menschliche Gehirn ist komplex. Täglich begegnen uns neue und gewohnte Informationen. „Gehen wir ca. zwanzig Jahre zurück, so waren Forscher der Auffassung, dass sich Nervenzellen (Neuronen) in der jugendlichen Zeit bilden. Danach sollte es nur noch einen Abbau geben“, sagt Wenzel Glanz. Im Jahre 2009 befassten sich auch die beiden Diplom-Psychologinnen Agnes Bauer und Dorothee Reiners aus einer neurowissenschaftlichen Perspektive mit dem Thema. Sie fanden heraus, dass frühere Wissenschaftler beispielsweise gesunde Jungen mit bettlägerigen Kranken verglichen. Außerdem gab es Testaufgaben für Studierende und betagte Altersheimbewohner. Diese Daten werteten sie aus. Die Forscher berücksichtigten aber selten, dass die Generation der älteren Menschen keine- oder nur eine schlechte Bildung erhalten hatte. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Ältere allgemein schlechter in ihren kognitiven Fähigkeiten seien und hielten sie für langsamer und dümmer. Dieses Verständnis des menschlichen Lernens ist heute durch die Wissenschaft widerlegt worden.  Glanz betont das Stichwort Neuroplastizität: „Das bedeutet, dass das Gehirn tatsächlich bis in das hohe Alter in der Lage ist, zu lernen und Nervenzellen zu bilden.“ Fakt ist aber auch: Ein junger Denkapparat lernt besonders schnell. Nervenzellen bilden und verknüpfen sich, sodass neue Zusammenhänge im Kopf hergestellt werden können. „Im Laufe des Alterns wird das Lernen schwieriger. So funktioniert der Spracherwerb bis zum sechsten Lebensjahr sehr gut. Danach fällt das Fremdsprachenlernen nie wieder so leicht, wie die eigene Muttersprache gelernt werden konnte“, sagt Dr. Bittner. Er fügt hinzu: „Es gibt sicherlich schon Unterschiede, ob ich jünger oder älter bin, so ist das Lernen mit zwanzig schon einfacher als mit sechzig oder achtzig Jahren. Das heißt aber nicht, dass das gar nicht mehr geht.“

Wenzel Glanz. Fotos: Uniklinikum

Laut Dr. Bittner gibt es Untersuchungen dazu, dass die Konfrontation mit neuen Dingen im Leben einen wichtigen Einfluss auf das Lernen und die Gehirnaktivität hat. Immer wiederkehrende Reize und Informationen im Alltag seien lange nicht so stimulierend für das Gehirn wie neue Eindrücke: „Eine Reise, die ich selber plane, ist mehr Wert, als eine Reise, die ich über den Discounter buche“, meint er. „Man sollte versuchen, nicht in einen Trott zu geraten“, sagt auch Glanz. Immer dasselbe Kreuzworträtsel bringe also nichts. Das gelte auch für sportliche Aktivitäten. So sei Sport, der viel Abwechslung bringt, von Vorteil: „Tanzen ist gut, um sich geistig fit zu halten. Zum einen lernt man neue Tanzschritte und neue Abfolgen und zum anderen spielt auch die soziale Komponente eine wichtige Rolle.“ Das Gedächtnis ist aber nicht bei jedem Menschen gleich, weiß der Arzt Dr. Bittner: Es gibt von vornherein schon unterschiedliche Begabungen: „Manche Menschen haben ein eidetisches Gedächtnis. Sie können Dinge visuell schnell aufnehmen und speichern. Andere können sich sehr leicht Faktenwissen merken oder gut logisch denken und Zusammenhänge begreifen.“ Der Grund dafür ist, dass sich bestimmte Hirnregionen anders entwic-kelt haben und in einer bestimmten „Architektur“ angelegt sind. Es ist dabei spannend zu wissen, ob diese Bereiche einfach besser trainiert sind, weil diese Richtung weiter verfolgt worden ist“, sagt Dr. Bittner. Der Neurologe Glanz fügt hinzu: „Man hat herausgefunden, dass bei Londoner Taxifahrern der hintere Teil des Hippocampus, der beim Lernen eine wichtige Rolle spielt, im Gegensatz zu einer Vergleichsgruppe vergrößert war.“ Das hat mit deren Orientierungssinn zu tun, da sie den Stadtplan auswendig wissen. Auch bei Musikern seien bestimmte Areale im Gehirn größer ausgeprägt: „Bei einem Geiger ist beispielsweise der Bereich für die linke Hand größer als der für die rechte Hand, weil dort viel komplexere Bewegungen stattfinden“, meint der Experte. Wer lernt, der trainiert also seine Denkmasse. Und sollten Sie mit vierzig oder sechzig Jahren noch Lust auf ein Studium bekommen, so können Sie beruhigt starten, denn dies ist laut Dr. Bittner „aus medizinischer und prophylaktischer Sicht zu empfehlen“. Carolin Hörnig

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