Was erzeugt die Magie der Weihnachtsstimmung?
Die Zeit ist gekommen, es wird am Nachmittag dunkel und das meist graue Wetter lädt häufig die gute Laune aus. Aber je näher die Festtage rücken, desto höher sind die Chancen auf kleine Glücksmomente in dieser Jahreszeit. Stimmungshungrige besuchen Weihnachtsmärkte nach Feierabend oder am Wochenende, um in würzige Gerüche und Advents-Melodien einzutauchen. Damit vielen solche Erlebnisse ermöglicht werden, müssen auf den Märkten andere arbeiten. Und wie fühlt sich so ein Markttreiben von innen an?
Ich stehe gegen dreiviertel vier vor der Ampel an der Haltestelle Allee-Center. Mit mir strömen immer mehr Leute dem Lichtermeer auf der anderen Straßenseite entgegen. In dicke Jacken und mit großen Schals eingepackt, bahnen sie sich ihren Weg in die Weihnachtswelt hinüber. Der Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein wird intensiver. Neben mir kann es offenbar jemand nicht erwarten, die erste Köstlichkeit zu probieren.
Ich harre kurz am Eingang aus und stehe damit vermutlich einigen Mutzen-Hungrigen bei ihrer Mission im Weg. Jemand rempelt mich an. Komischerweise entschuldige ich mich. Ein Mädchen schaut mich mit großen Augen an. Dessen Mutter erklärt mir, dass sich die Tochter schon seit Wochen auf einen kandierten Apfel freut und deshalb etwas ungeduldig ist. Die Äpfel seien wirklich lecker, sage ich schmunzelnd. Dann begebe ich mich zu einer der Hütten. Laufe über knisterndes Stroh, über Holzdielen. Ich dränge mich durch eine Menschenmasse, die Stände mit Kunsthandwerk, Leckereien und berauschenden Getränken belagert. Es ist der kleinere, mittelalterliche Weihnachtsmarkt neben dem Rathaus.
In den Buden stehen Verkäufer, die eine Art bunte Tunika aus groben Stoffen tragen, die mit einer Kordel um die Hüfte festgezurrt ist. Ich denke kurz ans vergangene Jahr und hoffte sogleich, dass mir diesmal der viel zu große Pullover mit Kapuze erspart bleiben würde. Ein deftiger Duft vertreibt den Hoffnungsgedanken. Ich erreiche mein Ziel, eine der Holzhütten. Davor stehen bereits hungrige Gäste. Zwei meiner Kollegen sind schon da, einer nimmt allein die Bestellungen entgegen, der andere macht noch Pause. Zu ihm geselle ich mich und bekomme gleich einen heiß dampfenden Becher mit flüssiger Schokolade in die Hand gedrückt. Das Sahnehäubchen schmilzt über den Rand. Als ich vom Getränkt koste, kann ich Amarettolikör riechen. Im Bauch breitet sich ein wohliges Gefühl aus. Mein vor Kälte zusammengekniffener Mund bekommt ein Lächeln. Kurz darauf streife ich meinen unauffälligen Pullover über, lege eine Schürze an und beginne mit dem Schnippeln von Zwiebeln.
Mit der Zeit strömen immer mehr Menschen auf das Areal. Jeder nimmt irgendetwas vom Flair dieses Treibens mit. Niemand springt hektisch von Stand zu Stand. Manchmal glaube ich, dass Glühweingenuss soziale Wirkungen entfaltet. Offenbar rutscht vielen eine Entschuldigung im Gedränge schneller über die Lippen. Vielleicht rührt das aber auch aus der allgemeinen fröhlichen Stimmung. Immerhin scheint diese kleine Welt mit Lichtern und Düften eine besondere Harmonie zu erzeugen.
Mit einem Fußstoß öffne ich die hintere Tür der Hütte und trage drei Bottiche mit frisch geschnippeltem Gemüse hinein. Ein junges Paar schaut mich erwartungsvoll an. Mein Kollege ist am Grill beschäftigt. Also erkläre ich den beiden die Angebote. Ein paar Handgriffe später bekommen die zwei, was sie bestellt hatten. Nach dem ersten Bissen wirken sie zufrieden, sehr zufrieden. Ihre Freunde lassen sich anstecken. Ich bekomme ihr Gespräch über letzte Besorgungen und zu Feiertagsplanungen mit. Um mich herum werden immer mehr Stimmen aus gebrochenem Deutsch und Verhandlungsdebatten am Nachbarstand zu einem unauflöslichen Geräuschknäul. Ich nehme nur noch Leute wahr, die unmittelbar von unserem Stand stehen. Was ich noch wahrnehme sind Stimmen, die mir mitteilen, was sie essen wollen und Mienen, die sich mit einem Lächeln bedanken. Zwischendurch gönne ich mir einen Schluck einer nur noch lauwarmen Schokolade.
Längst ist die Nacht angebrochen. Das Treiben und die Lautstärke nehmen ab. Letzte Bestellungen nehme ich entgegen. Ein Essen auf der Hand für den Heimweg oder für die Leute vom Sicherheitsdienst, die nun auch schnell Feierabend machen wollen. Irgendwann bemerke ich die kalten Zehen in den Stiefeln. Nach dem Aufräumen – wie an jedem Abend – wird mir klar, dass die meisten zufrieden über den Markt geschlendert sind. Manchem konnte ich ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Irgendwie waren alle von einem Weihnachtszauber umgeben. Was erzeugt diese Magie? Man könnte Geld auch anders mit Freunden ausgeben, um fröhliche Stunden zu erleben. Ist es doch der Glühweinrausch? Heiße Getränke, fruchtig oder cremig, mit einem Schuss extra oder mit Sahne. Das vertreibt die schlechten Gewissen.
Die Arbeit in dieser Welt voller Licht und Glühwein, ist zwar Arbeit, aber jedes Jahr zeigt sich, wie die Händler und Gastronomen an den unterschiedlichen Ständen für wenige Wochen am Ende des Jahres zu einem großen Team zusammenwachsen. Jeder hat seine und trotzdem folgen alle derselben Mission: Es geht darum, Weihnachtsstimmung zu erzeugen.
Zum Schluss stelle ich meinen geleerten Tonbecher zurück, rolle die Schürze zusammen und winke meinen Kollegen zum Abschied zu. Morgen fängt alles von vorn an. Swantje Langwisch