… und sie werden doch übernehmen

Die nachfolgenden Generationen wollen es stets besser machen, als ihre Vorgänger. Oder zumindest doch anders. Eltern erklärten ihren Kindern Fehler ihrer Zeit und hoffen, dass ihr Nachwuchs daraus gelernt hat. Außerdem  bekrittelt eine wachsende Anzahl an Alten die weniger gewordenen Jungen, die irgendwie nicht so geraten, wie man sich das gewünscht hätte und erzeugen eine Art demografischen Pessimismus.

Bekanntlich kann es eine junge Generation – ob sie nun XYZ, Millennien oder sonst wie heißt – den Erfahrenen nie recht machen. Faul, unentschlossen und gleichgültig – das waren sie doch schon immer, die jungen Leute von heute. Mit einem Kopfschütteln standen schon Eltern vor den Hoffnungen meiner Jugendzeit. Damals galt der Glaube noch, dass Rock’n’Roll eine Revolution sei und Lieder die Welt verändern könnten. Was haben sie verhindert? Das Zerbrechen einer Liebe? Krieg, Mord und Totschlag? Konsumterror, Ressourcenraubbau und Umweltzerstörung? Noch jede Generation träumt davon, die Welt besser zu machen und vor allem die Fehler der Alten nicht zu wiederholen. Wir hätten die Zukunft in der Hand – so dachten man als junger Mensch vielfach, um dann neugierig in die Welt der Erwachsenen einzutreten und zu lernen, wie dort etwas funktioniert.

Wir können heute auf das Digital-Orakel des Morgens schauen und meinen, dass dort nichts so sein würde, wie etwas war. Na und? Es ist egal, was prophezeit wird. Morgen beginnt ein neues Leben auf dem Fundament von gestern. Damit verbunden sind Aufgaben, Herausforderungen und Probleme. Auf dem Weg, sie anzunehmen, entstehen Möglichkeiten oder Konflikte und manche Lösung ist wie ein Glück. Das ist der Kreislauf. Doch schauen wir auf die Nachwachsenden wirklich gerecht oder erdrücken wir sie nicht manchmal mit den ewig besseren Lösungen, den angeblich leichteren Wegen und Urteilen über eine angeblich immer schneller und unsicher werdende Zeit? Wir, die mitten im Leben stehen, haben das Gefüge selbst viel tiefer verändert, tun es weiterhin. Gar nicht, weil wir dies bewusst wollten, sondern einfach, weil wir da sind.

  In Magdeburg betrug der Anteil der 18- bis 24-Jährigen 1991 noch rund 25.000. Heute machen die Altersgruppe keine 19.000 Menschen mehr aus, und ein hoher Anteil davon sind Studenten, die nur zeitweise hier leben. Die Eltern dieser Gruppe sind mehrheitlich in bei den 45 bis 54-Jährigen zu finden. Davon gibt es in Magdeburg über 33.000. Über die Hälfte aller Magdeburger (122.500 Menschen) sind älter als 45 Jahre. Man darf also annehmen, dass die in der Mehrheit sind, die auf mehr Vergangenheit bli-cken als auf eine eigene Zukunft. Das könnte durchaus Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima haben und wie die Entwicklungen daraus beurteilt werden.

So optimistisch man sich individuell auch im Selbstbild erkennen will, die unweigerlich heranrückende Endlichkeit des Seins erzeugt nun einmal keine weiten Visionen und Ziele mehr. Und die Wurzeln für jede Lebensbeurteilung steckt tief in der eigenen Vergangenheit. Darin fußt der natürliche Generationenkonflikt. Die Gestrigen glauben zu wissen, wie die Morgigen leben würden, können aber selbst nicht mehr daran teilnehmen. Wächst also der Anteil der Alten an der Gesamtgesellschaft muss man annehmen, dass daraus auch ein gewisser demografischer Pessimismus resultiert. Gleichzeitig wird eine verminderte Zahl junger Menschen weniger Durchsetzungskraft für eigene Ideen und Vorstellungen erzeugen können. Auch das fördert wahrscheinlich grundsätzlich eine pessimistische Gesamtatmosphäre.

Ein Phänomen, das in seiner Wirkkraft historisch völlig neu ist, bereitet aber in der Tat einige Sorge. Die Orientierungsphasen, bevor junge Menschen heute in einen Berufsweg finden, gehen häufiger verschlungene Pfade. Eltern bli-cken darauf gern mit Milde und selbst die betroffenen jungen Erwachsenen rechtfertigen Auszeiten nach der Schule, zwischen sozialem Jahr und Studium oder Ausbildung damit, dass sie ohnehin lange arbeiten müssten und es ausreiche, sich mit 30 irgendwann entschieden zu haben. Individuell betrachtet, mag das ein schöner Luxus sein. Doch welche Folgen lasten auf der Gemeinschaft, wenn die Gruppe der Auszeitler und Desorientierten fünf Prozent oder gar mehr an der Gesellschaft ausmachen? Die Fachkräftefrage, die heute deutlich in den Mittelpunkt rückt, wird dann nicht nur durch weniger Schulabsolventen entschieden, sondern zusätzlich von jenen, die sich vorerst gar nicht entscheiden können oder wollen. Festzuhalten wäre ergo, dass ein gewisses Maß an Eigenständigkeit, den Lebensweg zu bestimmen in ein höheres durchschnittliches Lebensalter rückt.

Kürzlich veröffentlichte das Bundesamt für Statistik in den drei vergangenen Jahren steigende Heiratszahlen. Daraus wurde dann der Trend abgeleitet, dass junge Menschen heute wieder andauernde Lebenspartnerschaften ersehnen würden. Man schlussfolgerte außerdem, dass die Generationen der Patchworkfamilien für den Nachwuchs nicht als Vorbild taugten. Die Prognose mag Hoffnung machen, taugt jedoch nicht, um daran eine gesellschaftliche Entwicklung festmachen zu wollen. Schließlich müssen dieselben jungen Menschen die Haltbarkeit ihrer Beziehungen erst noch über viele Jahre unter Beweis stellen.

Aber mit der Proklamation von Trends und Studien ist man heute ohnehin sehr schnell dabei. Fortwährend finden sich zitierte wissenschaftliche Arbeiten, die nahelegen, wie sich bestimmte Untersuchungsgruppen gesellschaftsrelevant verhalten würden. Kindheitswissenschaften kann man heute studieren, Psychologie und andere soziologische Fachgebiete oder Bildungswissenschaften warten mit Kenntnissen auf, die ganz genau erklären wollen, wie wir funktionierten, welches das rechte Maß für was sei und an welcher Stelle sich Störungen und Defizite einstellen. Trotz des ganzen Wissens kommt ein Bericht der Barmer Ersatzkasse (s. Seite 18) zum Fazit, dass heute jeder Vierte junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren an einer psychischen Störung leiden würde. Wenn dies wirklich ein Spiegel der Realität sein sollte, muss man annehmen, dass das Leben in Deutschland noch nie so beschwerlich war wie heute. Doch wie passen dann die Botschaften über die rosigen Aussichten einer digitalen Zukunft, die ja alles leichter machen sollte, in die Vorstellung für alles Kommende?

Gegen die Mutmaßungen eines verheißungsvollen Morgens sprechen ebenso die andauernden Bildungsreports, die einer heutigen Schüler-Generation zunehmende Schreib- und Lesedefizite unterstellen. Die Konzentrationsfähigkeit würde messbar nachlassen und komplexe Aufgaben würden schlechter bewältigt werden. Die Verantwortlichkeiten für solche Ergebnisse sind dann schnell gefunden: Das Bildungssystem ist einfach schlecht und Politiker würden dagegen kaum etwas unternehmen. Festgehalten werden muss dabei auch, dass Kinder die überwiegende Zeit ihres Auswachsens im Elternhaus verbringen und das dort wichtige Einstellungen, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit gefördert und gefordert werden. Wie steht es also um die Ansprüche der Elterngeneration? Der Ruf nach Ausgleich in der Schule und angemessene Betreuung durch Pädagogen kann nur ein Baustein in Persönlichkeitsbildung eines Individuums sein.

Die Vorbilder, denen junge Menschen nacheifern, haben sie in der Regel nicht selbst geschaffen. Sie blicken nur auf solche herausstechenden Altersgenossen oder ältere, die sich auf den Fundamenten der Erwachsenen bewegen. Seien das nun YouTube-Stars oder solche anderer sozialer Netzwerke und Medien. Überhaupt müsste jedem klar sein, dass die Glamourwelt medialer Darstellung stets wenig mit der Realität zu tun hat und noch weniger mit echten erreichbaren Lebenswelten oder lebenswerten Karrieren. Überhaupt muss man sich heute fragen, welche Auswirkungen ein zunehmender Konsum einer virtuellen Bildschirmwelt auf die Urteilskraft der kommenden Generationen hat? Ein zunehmender Aufenthalt in der Virtualität mag in diesem Bereich sicher für neue und mehr Arbeitsplätze sorgen, doch wie viele können im Verhältnis von Nutzern zu Programmierern am Ende davon einkömmlich leben?

Es bleibt schwierig, ein angemessenes Bild über eine Generation zu entwerfen, die ins Leben geht, sich von den Eltern „abnabeln“ möchte, und sich doch von den Prägungen ihres Aufwachsens nicht befreien kann. Die Generation Zukunft mag eigene Ideen für ihre Lebensentwürfe träumen. Doch diese werden nie unabhängig vom historischen Fundament sein. Da helfen auch keine rosa-roten Orakel über junge Menschen, denen die Alten angeblich nichts mehr sagen könnten. Die Welt, in die ein Mensch hineingeboren wird, hat er selbst nicht erzeugt und er bleibt deshalb stets Teil der Geschichte seiner Eltern. Genauso müssen sich andererseits die ständigen Kritiker an der Jugend an die Nase fassen und die Maßstäbe ihrer Bewertung auf den Prüfstand stellen. Die junge Welt kann nur solche Ansprüche entwickeln, die ihr selbst in die Wiege gelegt wurden. Deshalb übernehmen sie unweigerlich auch die Welt der Erwachsenen, ob sie nun wollen oder nicht. Thomas Wischnewski

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