Städtchen mit Vision
Loburg. Storchenhof. Irgendwie Tristesse. Grau in grau. Ab und zu kommt der Baumhasser und verschneidet (im Sinne des Wortes) die Loburger Stadtbäume. Zwei verfallende Rittergüter, eine vor sich hinfallende Burg. Die Orgel in der Stadtkirche soll etwas Besonderes sein. Aber sonst? – So war das mal.
Der Gutshof ist renoviert und wieder bewohnt. Vom restaurierten Turm der Burg kann man weit ins Land schauen, ab und an gibt es Feste und eine Merkwürdigkeit ist da auch noch zu vermelden: Die Burg hat einen Inhalt: Kaffeekannen ohne Ende, gesammelt zum 1050-jährigen Stadtjubiläum, abgeguckt von den Kaffeekannenaufbauten auf Karls Erdbeerhöfen. Nur: Was hat das für eine Tradition in Loburg? Weder gab es hier eine Porzellanmanufaktur noch eine Kaffeerösterei. Vielleicht haben die Linienbandkeramiker der Jungsteinzeit heimlich Kaffeekannen für den Überseehandel mit Peru und Bolivien hergestellt? Das würde beispielsweise Cristoforo Colombo ganz schön alt aussehen lassen als vermeintlichen Entdecker Amerikas. Das müsste man dann freilich thematisch auch der Kaffeekannen-Ausstellung anheften: „Cristoforo Colombo stolpert über Loburger Linienbandkeramiker“, oder so ähnlich.
Die Stadtkirche mit ihrem beinahe italienisch anmutenden Kirchplatz ist von Kopf bis Fuß restauriert. Ganz nebenbei fand sich da noch ein Kirchenschatz, dessen wertvollste Teile als Duplikate heute auf der Empore zu besichtigen sind. Dort, wo auch die einzige heute noch klingende zweimanualige Orgel des norddeutschen barocken Orgelbaumeisters Andreas Kahrling steht, die erst vor wenigen Jahren aufwändig restauriert worden ist und seither auch die besten der europäischen Organisten nach Loburg lockt. Der verdienstvolle Loburger Orgelverein veranstaltet regelmäßig gut besuchte Konzerte mit einem Publikum, das es auch immer wieder aus der Landeshauptstadt dorthin zieht, weil man eben nicht überall so gut besetzte Orgelkonzerte im Umland hören kann. Das Gotteshaus verdankt seine heutige Gestalt dem 16. Jahrhundert. Die erste, 955 erbaute, hölzerne Loburger St. Laurentiuskirche fiel dem Slawenaufstand 983 zum Opfer. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurde an dieser Stelle als zweite St.-Laurentius-Kirche eine dreischiffige Basilika erbaut, von welcher der imposante Turm noch zeugt. Als ich vor elf Jahren zum ersten Mal diese Kirche betrat, gingen mir ob ihres Lichtes und des Geborgenheit vermittelnden Raumes Herz und Seele auf. Übrigens: Der Name der Stadtkirche, St. Laurentius, verweist auf eine ottonische Gründung. Die Schlacht auf dem Lechfeld gegen die Ungarn, der Sieg, der Otto den Ehrennamen „der Große“ einbrachte, fand am Ehrentag des heiligen Laurentius statt. Zur Erinnerung hießen beispielsweise viele der um diese Zeit erbauten ostelbischen Kirchen nach dem Heiligen, der, einst auf dem Rost gebraten, gerufen haben soll: „Man wende mich!“
Umrahmt von Kirche und heutigem Pfarrhaus am Markt steht der Gutshof des Rittergutes derer von Barby. Das war ein ziemlich verwahrloster Hof; Verwalterhaus, Gutshaus, Turm am Münchentor, alles in wenig repräsentationsfähigem Zustand. So blieb das auch in den ersten zwanzig Jahren nach dem politischen Umbruch. Der emeritierte Loburger Pfarrer Götz Boshamer versuchte mit etlichen Getreuen über all die Jahre den Bestand des Hauses und die Erinnerung daran in der Loburger Öffentlichkeit am Leben zu erhalten. Die im Gutshaus alljährlich zur Adventszeit gezeigten Weihnachtskrippenausstellungen wurden gern angeschaut. Immer auch in der Hoffnung auf ein Wunder, das dem Haus eine Zukunft beschert. Manche Wunder sollen ja blitzschnell passieren, manche aber brauchen Zeit. Das Loburger Wunder brauchte viel Geduld und einen festen Glauben, bis der Schöpfer von Karls Erdbeerhof, der Landwirt Robert Dahl, der mütterlicherseits aus der Familie von Barby stammt, 2011 einen Anruf seiner Tante erhielt, dass das Gut zum Verkauf stünde.
Da wusste er wohl noch nicht, worauf er sich einließ. Nach der ersten Besichtigung war klar: Hier bedarf es einer grundlegenden Idee. Daran sollte es dem Besitzer der Karls Erdbeerhöfe nicht mangeln: In Loburg darf das deutsche Nusszentrum entstehen. Das Thema Nüsse findet man im Loburger Barbycafé, zu dem das ehemalige Verwalterhaus des Gutes bald umgebaut wurde, schon heute im Tortenangebot dekliniert. Hausgebacken natürlich und tagesfrisch. Im Café können die Gäste Fotografien des alten Loburg betrachten, als Hingucker natürlich den historischen Brunnen, aber auch Gestühl aus dem ehemaligen Loburger Kino nutzen, sich in zwei herrliche, gemütliche rotsamtene Sofaecken kuscheln. Dazu muss man freilich früh ausschlafen und bestellen, um eine Chance auf die Kuschelecken zu haben. Das hausgemachte Eis ist ein Genuss. Im Außenbereich des Cafés findet sich zur Freude aller Eltern ein liebevoll gestalteter Spielplatz nebst etlichen Tischen, an denen man sich im Sommer frische Luft zum Kaffee bestellen kann. Entlang der Straße Richtung Zeppernick können die Vorbeifahrenden bereits den Stämmchen der Wallnussbäumchen beim Wachsen zusehen. Diese Plantage hat schon eine ordentliche Größe. Andere sollen folgen.
Inzwischen ist das Gutshaus vom Fundament bis zum Dach für etwa vier Millionen Euro restauriert worden. Im ehemaligen Rittersaal entstand der Gastraum, natürlich mit offenem Kamin, wie man ihn früher nun mal im Rittersaal hatte. Wie bei Dahl üblich, wird es über Bilder, Möbel etc. Erinnerungen an das frühere Gutshaus geben, auch eine alte Wiege, die einst hier in Loburg stand, kommt aus Familienbesitz im Gutshaus wieder zu Ehren. Wer saisonale Küche liebt, hat seit 2. April mit dem Jahreszeitenrestaurant, das im Gutshaus nun entstanden ist, eine neue, gute Adresse. Und mit der Eröffnung beginnt die Spargelzeit mit Lindauer Spargel und Karls Erdbeeren. Eine der Glanzzeiten der saisonalen Küche! Später folgen Pfifferlings-Gerichte und schließlich Kohl mit Ente, Gans oder Wild. Im Außenbereich wird es einen Biergarten geben – und der Kinderspielplatz wird um einen Wasserbereich erweitert. Kind müsste man sein und Eltern haben, die nach Loburg fahren!
Kein Zufall ist es – eher der Idee Dahls geschuldet, Loburg zum Touristenort zu machen –, dass gegenüber dem Gutshaus am selben Tag die Brennerei-Schaumanufaktur Kullmann eröffnet, die seit 25 Jahren Loburger Storchenbiss (wo der wohl herkommt, was der bewirkt? Reicht gar ein Schlückchen nur, um den Nachwuchs auf den Weg zu bringen?) sowie andere Kräuter oder Obstler gebrannt hat. Hier aber, gegenüber Münchentor-Turm und Gutshaus, kann man dem Brennmeister über die Schulter schauen. Einzige Bedingung: Man muss sich rechtzeitig bei einer der geführten Brennereibesichtigungen angemeldet haben. Natürlich darf man auch verkosten. Freilich, man muss sich schon entscheiden, ob man die Loburger Besichtigung hier enden lassen will, weil dann die Beine nicht weiter tragen oder ob man erst noch alle anderen Loburger Pretiosen gesehen haben möchte – aber dann kann man eventuell zu spät in der Manufaktur eintreffen und diese hätte ärgerlicherweise schon geschlossen. Am besten wäre es natürlich, wie man ab und zu die Spatzen von den Dächern pfeifen hört (an den Bäumen können sie sich ja mangels Ästen nicht mehr festhalten – s.o.), wenn der nächste Gedanke von Robert Dahl Gestalt annähme. Nämlich mit einem örtlichen Sammler alter Technik Kremserfahrten mit Lanz-Bulldogs oder anderen Traktoren zu organsieren, welche die Touristen dann weiter zum Storchenhof oder zu der zur „Straße der Romanik“ gehörenden Kirchenruine Unserer Lieben Frauen, einer ursprünglich romanischen Kirche von 1190, befördern. Hier werden künftig mit dem Verein KulturVeste Loburger Land wieder Veranstaltungen stattfinden. Was seinen Reiz hätte, mitten in Loburg, innerhalb der alten Mauern, die wiederum ihre eigenen Geschichten erzählen.
Rolando war am 8. März übrigens in Ägypten. Was das mit Loburg zu tun hat? Nun, er wird, mit Sicherheit später als Jonas, der bereits in Loburg weilt, hier auch ankommen. Rolando ist einer der Loburger Weißstörche, über deren Verbleib Dr. Michael Kaatz dank der Satelliten-Telemetrie ganz genau Bescheid weiß. „Mit der Satelliten-Telemetrie“, erklärt Kaatz, „begann eines der faszinie-rendsten Kapitel der Vogelzugforschung. Über Minisender auf dem Rücken von Zugvögeln wandert man sozusagen mit.“ Die Verfolgung einzelner Vögel auf ihren Wanderungen bis zur Südspitze Afrikas, hat, so Kaatz, letztlich auch etwas Völkerverbindendes: „Störche als allbekannte Glücksbringer werben nun als gefiederte Botschafter über Ländergrenzen hinweg auch als Sympathieträger für ein friedliches Miteinander.“ Wer eine Patenschaft für Rolando, Uli oder Schorsch übernehmen möchte, ist ab 50 Euro dabei.
Auf der Vogelschutzwarte „Storchenhof Loburg“, zu DDR-Zeiten als ein mehr oder weniger privates Projekt im Verein mit dem Kulturbund von Frau Dr. Mechthild Kaatz und Herrn Dr. Christoph Kaatz gegründet, findet man neben manchem lädierten Storch auch durch Sturm aus dem Nest geworfene junge Rotmilane, eine humpelnde Krähe oder auch etliche selten gewordene Haustiere wie Puten. Im Sommer finden sich immer wieder Storchen-Waisenkinder ein, die hier aufgezogen und schließlich wieder ausgewildert werden. Schon aus diesem Grunde können zwischen Loburg und Möckern keine 200 Meter hohen Windräder aufgestellt werden. Die würden die armen Waisen auf direktem Wege schreddern. Was heißt das aber zusammengefasst? Man hat etwas zu schauen auf dem Loburger Storchenhof und kann sich vor Ort mittels einer engagierten Führung informieren. Oder wüssten Sie auf Anhieb, dass der gemeine Weißstorch eine Flügelspannweite von bis zu 2 Meter hat, stehend bis 1 Meter hoch ist und, wenn alles gut geht, 30 Jahre alt wird? Sehen Sie. Und wenn man nur wissen will, wo im unmittelbaren Umfeld Storchenhorste zu finden sind, auch da wird Ihnen hier weitergeholfen.
Unweit von Loburg befindet sich das Schloss Wendgräben mit dem ihn umgebenden Park, der zu den „Gartenträumen – historische Parks in Sachsen-Anhalt“ gehört. Von Loburg führt eine romantische Allee auf geradem Weg in den Ort Wendgräben, vorbei an der Wildgeflügel-Fasanerie Wendgräben, in der man sich seinen Sonntagsbraten gleich einpacken lassen kann. Über dem Eingang von Schloss Wendgräben ist eine Arbeit des Bremer Bildhauers Gerhard Marcks zu bewundern, der dem alten von Wulffenschen Familienwappentier, dem Wolf, Gestalt gab. Heute, da sich auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow wieder Wölfe angesiedelt haben, hat das Wächtertier über dem Eingang zur Gezeiten-Klinik Schloss Wendgräben etwas Visionäres. Gerhard Marcks war von 1920 bis zum Umzug des Bauhauses nach Dessau Leiter der Bauhaus-Töpferei in Dornburg/Saale. Lyonel Feininger, mit dem er sich befreundete, regte ihn zu Holzschnitten an, eine Kunst, die ihn fortan nicht mehr loslassen sollte. 1925 wurde er als Lehrer der Bildhauerklasse an der Kunstschule Burg Giebichenstein in Halle, ab 1928 zu deren Direktor berufen. Da er sich 1933 für den Verbleib jüdischer Lehrkräfte an der Schule einsetzte, wurde er entlassen. Und so stolpert man beim Besuch der kleinen Stadt noch unversehens über einen großartigen Künstler und Menschen, der mir eher vom Gerhard-Marcks-Haus in Bremen ein Begriff war. Loburg hält eben doch Überraschungen bereit. Zudem liegen auf dem Stadtgebiet mit den Kirchen Rosian, Isterbies und Dalchau einige Orte auf der „Straße der spätgotischen Flügelaltäre“. Aber das ist wiederum eine ganz andere Geschichte. Wer darüber mehr erfahren will, dem gebe ich hier einen Tipp: Setzen Sie sich mit dem evangelischen Gemeindepfarrer in Loburg in Verbindung, Pfarrer Georg Struz. Ludwig Schumann