Stadt statt Sofa?
Browser öffnen, Website durchsuchen und mit einem Mausklick die gewünschte Ware bestellen. Einkaufen kann so einfach sein. Die Städte stellt das jedoch vor Herausforderungen und hauptsächlich kleine Geschäfte vor große Probleme.
Samstagvormittag. Irgendwo. Eine Innenstadt ist leer. Wäre nicht jetzt der ideale Zeitpunkt, ein paar Dinge einzukaufen? Besorgungen zu erledigen, die man wochentags weder vor noch nach der Arbeitszeit schafft? Doch kaum ein Mensch verirrt sich in die Straßen des Stadtzentrums, nur ein paar Tauben picken ungestört im verkehrsberuhigten Bereich die Lebensmittelreste aus einem achtlos fallengelassenen Aluminiumknäuel. Vermutlich das, was von einem Döner übriggeblieben war. Ansonsten: tote Hose, wie es so schön heißt. Was sollte man hier auch einkaufen? Welche Besorgungen erledigen? Dort, wo einst der Buchladen war, ist das Geschäft verlassen, die Tür verbarrikadiert, die Fenster mit Graffiti beschmiert. Wo sich Anfang der 2000er Jahre ein CD-Geschäft befand, werden heute Fingernägel schick gemacht. Die Boutique existiert auch nicht mehr, statt Kleidung gibt es Döner. Der Inhaber des Elektrofachgeschäfts hat ebenfalls längst aufgegeben. Und wer den Bastelladen sucht, muss die nächstgrößere Stadt ansteuern. Mit ein bisschen Glück findet der Suchende dort, was er braucht.
Wenn Videos – wie von der Gruppe Buggles mit dem Song „Video killed the radio star“ prophezeit – das Ende des Radios bedeuten, haben dann Tele- und Onlineshopping den Einzelhandel auf dem Gewissen? So einfach lässt sich das mit Sicherheit nicht konstatieren. Feststeht allerdings, dass der Einzelhandel seit Jahren starken Veränderungen ausgesetzt ist – unter anderem bedingt durch den Wandel des Einkaufsverhaltens und der Lebensumstände der Kunden. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Regionen Europas. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, sind die Briten Weltmeister im Online-Einkauf, weshalb es traditionelle Einzelhändler auf der Insel seit Jahren sehr schwer haben. In keinem anderen Land geben die Konsumenten, je Kopf gerechnet, so viel Geld via Internet aus wie im Vereinigten Königreich, so die FAZ. Auch große Kaufhäuser wie House of Fraser, Marks & Spencer und John Lewis leiden unter diesem Strukturwandel. Zuletzt war eines der traditionsreichsten britischen Handelsunternehmen in die Schlagzeilen geraten: Die Kaufhauskette Debenhams, deren Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, hatte bereits mehrmals in diesem Jahr ihre Ergebnisaussichten nach unten korrigiert und einen Berater mit der Erstellung eines Sanierungsplans beauftragt.
Und auch in Deutschland gibt es Bewegung am Markt, wie der kürzlich verkündete Zusammenschluss der beiden Kaufhausketten Karstadt und Galeria Kaufhof zeigt. Mithilfe der Fusion wollen beide Unternehmen verloren gegangene Marktanteile zurückgewinnen und somit langfristig ihr Überleben sichern. „Durch dieses Gemeinschaftsunternehmen haben zwei Traditionsunternehmen eine ideale Lösung gefunden, um sich im stark umkämpften deutschen und europäischen Einzelhandelsmarkt erfolgreich zu positionieren“, sagte Karstadt-Chef Stephan Fanderl, der das Joint Venture leiten soll, kürzlich dem Handelsblatt.
In diesem Jahr hat, bedingt durch den heißen Sommer, vor allem der deutsche Textileinzelhandel zu kämpfen. Die hohen Temperaturen sorgten für eine Nachfrageflaute, weniger Menschen als im Vorjahr zog es zum Shoppen in die Innenstädte und so hatten in den vergangenen Wochen bereits Bekleidungshändler wie Tom Tailor oder Gerry Weber ihre Gewinnziele für das aktuelle Jahr nach unten korrigiert. Zwar muss das Wetter für so einiges als Sündenbock herhalten. Doch ist es sicher nicht der einzige Grund, warum so mancher Pullover im Regal liegen bleibt. Leidet die Branche nicht auch unter einem Überangebot und einer Überdistribution gewisser Marken? Vielerorts sind dieselben Marken präsent. Das Angebot hauptsächlich in größeren Städten wurde vereinheitlicht – sowohl in Bezug auf die Ware als auch auf das Erscheinungsbild der Geschäfte. Hinzu kommt, dass es seit vielen Jahren bestimmte Waren nicht nur in den entsprechenden Läden zu kaufen gibt, sondern diese auch in großflächigen Geschäften, beispielsweise bei Discountern, erhältlich sind. Dieser Trend und die steigende Zahl von Filialisten sowie die zunehmende Konzentrationstendenz im Einzelhandel üben einen massiven Druck auf
inhabergeführte und alteingesessene Unternehmen aus, die dieser Entwicklung häufig zum Opfer fallen.
Trotz des Wetters und anderer negativer Nachrichten hält der Handelsverband Deutschland (HDE) an seiner Prognose für das Gesamtjahr fest und rechnet mit einem Umsatzplus von zwei Prozent. Damit würde sich der Umsatz 2018 auf mehr als 523 Milliarden Euro (ohne Mehrwertsteuer) belaufen. Für den stationären Handel wird ein Plus von nominal 1,2 Prozent vorausgesagt, doch die treibende Kraft bleibt auch in diesem Jahr der Online-Handel mit einem prognostizierten Zuwachs von 10 Prozent. Sehr gut lief es im ersten Halbjahr 2018 nach Angaben des HDE in den Freizeit-Branchen (Sport und Camping) sowie in den Bereichen Lebensmittel, Kosmetik und Körperpflege. Mit dem erwarteten Plus setzt sich auch in diesem Jahr ein positiver Trend fort. Während laut HDE der Umsatz im Einzelhandel 2007 noch bei 427,6 Milliarden Euro lag, stieg die Summe kontinuierlich (Ausnahme 2009: 418,9 Milliarden Euro) bis 2017 auf 512,8 Milliarden Euro. Der Einzelhandel ist damit der drittgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland – mit etwa 300.000 Unternehmen an 410.000 Betriebstätten, circa 3 Millionen Beschäftigten und 150.000 Auszubildenden.
Auch wenn diese Zahlen durchaus positiv stimmen, liegen hier doch Licht und Schatten nah beieinander. Während die Kauflaune der Verbraucher sehr gut ist und Filialisten sowie Online-Händler davon profitieren, haben Boutiquen und kleine Fachgeschäfte in den Innenstädten Grund zur Sorge. Die Schere zwischen kleinen Händlern und großen Betrieben geht nach Angaben des Handelsverbandes Deutschland weiter auseinander. Betroffen seien vor allem Geschäfte in den Bereichen Mode-, Elektro-, Dekoartikel sowie Schuhe und Spielwaren – eben dort, wo der Onlinehandel starken Zuwachs verbucht. Und natürlich ist dieser Trend nicht in jeder Stadt spürbar. Doch vor allem die mittelgroßen Städte haben mit abnehmender Kundenfrequenz und zunehmender Online-Konkurrenz zu kämpfen.
Die Immobilienfirma Aengevelt sieht den Einzelhandelsmarkt in Magdeburg gut aufgestellt. Die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts genießt als modernes, hochattraktives Einzelhandelszentrum einen ausgezeichneten Ruf und ist unverändert bedeutendes, etabliertes Oberzentrum der Region, heißt es im „Aengevelt City Report Region Magdeburg 2017-2018“. Dies belegten nicht nur Zahlen über den Einzelhandelsumsatz, der innerhalb eines Jahres um etwa 20 Millionen Euro (1,2 Prozent) von 1,42 Milliarden (2015) auf 1,44 Milliarden Euro (2016) gestiegen war. Auch die Mieten bieten demnach unverändert günstige Rahmenbedingungen für neue Einzelhandelskonzepte und expandierende Filialketten. Selbst wenn die Einzelhandelsspitzenmiete 2016 leicht auf 65 Euro pro Quadratmeter gestiegen ist (2015: 60 Euro pro Quadratmeter), steht Magdeburg im Vergleich zu Leipzig (140 Euro pro Quadratmeter), Dresden (110 Euro) und Erfurt (90 Euro) verhältnismäßig gut da.
Auch mit Blick auf die Verkaufsflächenausstattung nimmt Magdeburg bundesweit eine Spitzenposition ein. Aktuell verfügt die Landeshauptstadt laut „Aengevelt City Report“ über etwa 630.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche. Dies entspricht einer Verkaufsflächenausstattung von circa 2,6 Quadratmeter pro Einwohner. Der Bundesdurchschnitt liegt hier bei 1,5 Quadratmeter pro Einwohner – auch Städte wie Dresden (1,7 Quadratmeter pro Einwohner), Frankfurt/Main (1,4) und Berlin (1,3) bleiben in dieser Hinsicht hinter Magdeburg zurück. Auf die Innenstadt entfällt hiervon indessen lediglich ein Verkaufsflächenanteil von etwa 20 Prozent des gesamtstädtischen Bestandes. Und diese teilen sich die großflächigen Einzelhandelsobjekte: Allee-Center (35.000 Quadratmeter Verkaufsfläche), City Carré (25.000 Quadratmeter), Karstadt (21.500 Quadratmeter), Ulrichshaus (15.000 Quadratmeter) und Marietta Quartier (5.300 Quadratmeter).
In den nächsten Jahren werden noch weitere Objekte hinzukommen. Mit der Fertigstellung des Neubaus Blauer Bock 2020 sollen nicht nur die Städtischen Werke Magdeburg eine neue Heimat erhalten, sondern auch die Einzelhandelsflächen um etwa 3.000 Quadratmeter erweitert werden. Zudem wird das Domviertel Raum für weitere Geschäftsansiedlungen bieten. Es wird also einiges getan in der Stadt, um vorhandene Lücken zu schließen. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht der X. Drogeriemarkt eröffnet oder eine weitere beliebige systemgastronomische Einrichtung zum Essen einlädt, sondern dass individuelle Konzepte die Möglichkeit zur Ansiedlung erhalten. Und ob dies dann die Rettung für den Einzelhandel im Kampf gegen den Online-Handel bedeutet, ist zu bezweifeln. Tina Heinz