Sieh, das Gute liegt so nah!
Ein Ausflug in die Naturlandschaften der Region – Erlebenswertes im Biederitzer Busch.
Wenn es in dieser Ausgabe um Wohlfühlorte in der Region geht, kann man sehr Vieles beschreiben: Wunderschöne und geschichtsträchtige Städte wie z. B. Quedlinburg, atemberaubende und liebliche Landschaften wie den Harz oder die Letzlinger Heide oder Wiesenlandschaften wie das Fiener Bruch. Es gibt zu viele Ausflugsziele, um sie hier alle aufzählen zu können. Nicht zuletzt begeistern uns die Elbauenwälder. Die Kreuzhorst und den Biederitzer Busch haben wir in unmittelbarer Nähe.
Der Focus meines Beitrages richtet sich auf den Biederitzer Busch und dessen Umgebung. Der Wald erstreckt sich vom Herrenkrug bis nach Friedensweiler. Stieleiche, Ulme, Esche, Berg- und Feldahorn, Wildbirne, Weißdorn usw. sind typische Baumarten von Hartholzauenwäldern mit einem großen Artenreichtum. In den 1960-iger Jahren hat man hier auch mal Pappeln gepflanzt, aber das war forstwirtschaftlich falsch. Man lässt sie heute absterben und als Totholz im Wald liegen. Das garantiert eine hohe Insektenbesiedlung und in dessen Folge eine reichhaltige Vogelwelt. Weitgehend aufgeräumt präsentiert sich der Wald zwischen dem Herrenkrug und Biederitz. Einladend sind die schönen Rad- und Wanderwege durch dieses Gebiet, allem voran ein Waldlehrpfad, der von der Straße zwischen dem Herrenkrug und Biederitz links abgeht. Dieser Weg ist kenntnisreich und liebevoll angelegt. Hier befindet sich auch ein toller Waldspielplatz mit Hütten und einem überdachten Grillplatz – ein ideales Ausflugsziel für Familien, Schulklassen und Wandergruppen jedes Alters! Erreichbar ist das alles mit dem Fahrrad oder zu Fuß von der Endstelle der Straßenbahnlinie 6. Für Radfahrer und Langstreckenwanderer eröffnet sich am Ende des etwa zwei Kilometer langen Lehrpfades die Weite einer offenen, savannenähnlichen Landschaft. Die Wiesen sind mit solitär stehenden Eichen, Wildbirnen und Weißdorn besiedelt. Solange man im Wald wandert, geht es jetzt im Frühjahr vorbei an Teppichen von Anemonen. Kommt man in die offene Landschaft, finden wir eine Vielfalt von Wiesenblumen. Das Gebiet erstreckt sich vom Herrenkrugpark bis nach Biederitz, Gerwisch und nördlich bis nach Hohenwarthe. Reizvoll ist das Gebiet östlich der Elbe zu jeder Jahreszeit. Am „Zuwachs“, einem blinden Elbarm, der von Pflanzen erobert wird und tatsächlich zuwächst, gibt es reichlich Tiere zu beobachten: Scharen von Wasservögeln, Biber, Lurche, Insekten wie Schmetterlinge, Libellen usw. Im Winter sammeln sich dort große Schwärme von Gänsen. Wer hier eine Winterwanderung unternimmt, erlebt Erholung pur und kann sich natürlich die verlorenen Kalorien durch ein Grünkohlessen in den genannten Orten wieder einverleiben.
Einen etwas anderen Charakter als in der Nähe des Herrenkrugs hat der Wald rund um Friedensweiler. Es ist unaufgeräumt und verwildert. Umgefallene Bäume bleiben liegen. Nördlich von Friedensweiler gibt es in dieser Wildnis zwei kleine Waldseen. Die Uferbereiche der Seen bieten für Badefreudige wegen der Verschlammung leider keine guten Einstiegsmöglichkeiten. Zugänge sind nur noch für Biber und Angler attraktiv. So gibt es am Ufer auch viele von den Nagern umgelegte Bäume. Mit etwas Geduld kann man diese eindrucksvollen Tiere hier auch beobachten. Kurz: Die Waldseen sind von wilder Schönheit und laden zur Erholung, aber nicht zum Baden ein.
Für die „Ureinwohner“ von Friedensweiler und Puppendorf, aber auch für viele weitere Magdeburger im Alter über 70 verbinden sich mit diesem Gebiet schöne Kindheits- und Jugenderinnerungen. Die Waldseen waren in den 50er bis 70er Jahren das bevorzugte Freizeitzentrum der Jugend. Wir verbrachten hier den Sommer von Anfang Mai bis Ende September. Nicht ohne Neid schauten wir als damals 14- bis 16-Jährige auf die schon etwas Älteren, die mit ihren 350er Jawa lautstark die Seen umrundeten um sich schließlich irgendwo in der Nähe von schmucken Mädchen niederzulassen. Ihre Kofferradios wurden brüllend laut aufgedreht! Man hörte damals Elvis Presley, Chuck Berry und Little Richard, oder etwas biederer, Conny Froboess & Peter Kraus (Teenager-Melodie), Bill Ramsey (Souvenirs) und Fredy Quinn (Fährt ein weißes Schiff nach Honkong). Westsender hören durften wir zwar eigentlich nicht, aber an den Waldseen nahmen wir uns die Freiheit, dies sogar öffentlich zu tun. Eine schöne Zugabe war es, dass sich gleich nebenan das „Stadion Neue Welt“ befand. Das war die von der Stadt geförderte Bade- und Freizeiteinrichtung mit Rettungsschwimmern, Sprungturm, Strandgastronomie usw. Es war eine attraktive Einrichtung. Die Magdeburger strömten in Scharen hierher. Natürlich war das Gelände eingezäunt. Aber der Maschendrahtzaun zur Waldseeseite hatte immer ein Loch. Das wurde zwar immer wieder verschlossen, aber schon nach kürzester Zeit war es wieder da. Wir haben es nicht getan, aber wir nahmen es gerne an, um die Angebote zu genießen. 1990 wurde das „Stadion Neue Welt“ wegen hygienischer Mängel geschlossen. Es verfiel zusehends und das Betreten ist seitdem verboten. Nun hat sich ein Investor gefunden, der den Dornröschenschlaf beenden will. Alle, die diesen Ort aus seinen guten Zeiten kennen, freuen sich drauf!
Wenn man von der Berliner Chaussee aus zu den Waldseen gelangen will, radelt oder wandert man entweder über Friedensweiler oder man biegt schon „An der Lake“ links ab. Dann durchquert man den östlichen Teil des Cracauer Angers. Bis zur Wende war dieses Gelände, wie übrigens auch die Gegend um den Zuwachs, Truppenübungsplatz der sowjetischen Armee. Dem damaligen OB Dr. Willi Polte (SPD) gelang es 1999, auf dem westlichen Teil des Cracauer Angers eine Bundesgartenschau anzusiedeln. Auch so ein Wohlfühlort und ein großer Gewinn für Magdeburg! Der östliche Teil ist nach einer umfassenden Beseitigung von Kampfmitteln ein insekten- und vogelreiches Naturschutzgebiet geworden, abwechselnd aus Trockenrasenflächen und Feuchtgebieten bestehend. In den 1960-iger Jahren haben wir hier, als Puppendorfer Kinder, wegen der Munition unter Lebensgefahr, Schrott gesammelt. Als Halbwüchsige kommunizierten wir dann mit den Russen und trieben Handel. Eine Flasche Wodka (der war billig) gegen 20 Liter Benzin (mit Kanister). Damit konnte man lange Moped fahren. Natürlich wussten wir, dass es illegal war, geklautes Benzin anzunehmen, aber diesbezüglich hatten wir kein Unrechtsbewusstsein, sondern fühlten uns (vielleicht sogar zu Recht) als Wohltäter. Schließlich hatten die russischen Soldaten hier ein Hundeleben und wir haben ihnen zu ein paar fröhlichen Momenten verholfen.
Zurück in die Jetztzeit: Wenn man den Cracauer Anger und die etwas halsbrecherischen Wege durch den Biederitzer Busch vorbei an den Waldseen durchquert hat, eröffnet sich die Wiesenlandschaft des Umflutkanals. Hier wird in Hochwasserzeiten ein Großteil des Elbewassers an Magdeburg vorbei geleitet. Nahe der Eisenbahnbrücke bei Biederitz steht ein kürzlich restaurierter Gedenkstein am früheren Standort der „Muttereiche“. Dies ist der Platz, an dem sich die Magdeburger Sozialdemokraten nach Inkrafttreten des Bismarck’schen Sozialistengesetzes heimlich versammelten. Angesichts der starken Geschichte der Sozialdemokratie in Magdeburg ist dieser Ort von historischer Bedeutung für die Elbestadt. Biederitz erreicht man von hier aus nach knapp einem Kilometer über die Schweinebrücke. Nach der langen Wanderung hat man eine Stärkung verdient. Wer preiswert ein Hamburger Schnitzel mit drei Eiern oder die Bockwurst in XL-Format essen mag, kann gleich am Ortseingang beim Wirt „Bonzo“ und seiner freundlichen Frau aus Vietnam in den „Ehlestrand“ einkehren. Bis zur Traditionsgaststätte „Zur alten Oberförsterei“ ist es nur 400 Meter weiter. Auch wer hier einkehrt, hat gut gewählt. Weiterhin gibt es noch das griechische Restaurant „Bacchus“, das in den ehemaligen „Gänsekrug“ Einzug hielt. Auch hier ist alles köstlich. Einen guten Imbiss bietet das Gartenlokal „Zur Radrennbahn“ ganz am Ende des Ortes in der Lostauer Straße (Achtung, eingeschränkte Öffnungszeiten). Jedes der genannten Lokale hat seinen eigenen Reiz!
Und nun kommt das Beste: Man kann seinen Ausflug mit einem musikalischen Erlebnis krönen. Der Biederitzer Musiksommer bietet über das ganze Jahr verteilt hochkarätige, aber auch volkstümliche Konzerte. In der evangelischen Kirche gibt esam 12. Juni, am 7. August und am 25. September jeweils um 19 Uhr eine halbe Stunde Orgelmusik. Auf dem idyllischen Sängerschen Bauernhof spielt SaxLUST am Samstag, dem 25. Mai, um 17 Uhr, vorwiegend Jazziges und am Sonntag, dem 18. August, um 17 Uhr, musiziert die weltberühmte Gambistin Hille Perl. Das ganze Programm mit noch viel mehr Konzerten findet man unter dem Stichwort Biederitzer Musiksommer im Internet.
Fazit: Es ist zwar eine schöne Sache weit zu reisen, aber es kann auch toll und sogar erholsamer sein, auf Autofahrten zu verzichten und die Angebote der unmittelbaren Umgebung zu genießen. Reinhard Szibor