Schrecklich langweilige Weihnachten
Wie jedes Fest lebt auch Weihnachten von Ritualen. Das betrifft den Ablauf der Familienfestivität ebenso wie das Essen. Karpfen oder Bockwurst mit Kartoffelsalat? An der Streitfrage, was Heiligabend auf den Tisch kommt, sind schon Ehen zerbrochen. Man kennt es eben aus der Kindheit und will seine Gewohnheiten durchsetzen. Die verlässlichste Konstante in der Adventszeit und zum eigentlichen Fest ist allerdings das Feiertags-Fernsehprogramm. Weihnachten ist eben ein Fest mit Prinzipien. Und das wissen die Programmplaner der TV-Sender. So wie in den Wohnzimmern seit drei Jahrzehnten der geerbte Christbaumschmuck auf die Kiefer-Tanne-Fichte in der Zimmerecke landet, so flimmert auch in der „Bespaßungs-Kiste“ zum Fest gut „Abgehangenes“. Einzige Änderung: Der Flatscreen ist größer geworden und das TV-Bild schärfer. So dürfen wir uns auf die ins HD-Format gemasterten Filmklassiker freuen.
Der Weihnachtsklassiker in vielen Haushalten überhaupt ist es, zum Fest den fest zugewiesenen Platz auf dem Sofa-Sessel-Fußboden einzunehmen und in der Glotze die Weihnachtsklassiker zu schauen. Was wie immer klar ist: Fans von Märchenfilmen und „Herz-Schmerz-Geschichten“ kommen wieder auf ihre Kosten. Die „Schicksalsjahre einer Kaiserin“ sind durch das digitale Aufarbeiten genauso schmalzig wie die Jahre zuvor, aber Sissi strahlt jetzt noch schärfer und brillanter ihren Franz an. Und das schon am Heiligabend zur besten Sendezeit in der ARD.
Wenn letztendlich der Märchenklassiker „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ über die Bildschirme läuft, wird jedem Grinch (läuft übrigens auch zum Fest im TV) endgültig bewusst: Es ist Weihnachten. Und weil so viele die Geschichte vom armen Mädchen sehen, dass sich mit Witz, Herz und der Hilfe einer Fee den Prinzen angelt, wird der Film aus dem Jahr 1973 wie immer nicht nur einmal gezeigt. Die Chance, beim Rumzappen auf Aschenbrödel zu stoßen, liegt wie jedes Jahr bei gefühlten 100 Prozent. Wer natürlich auch nicht fehlen darf im Filmreigen der Klassiker ist der Streifen über den berühmtesten Träger von Unterhemden John McClane. Mittlerweile geistert Bruce Willis gefühlt auf jedem Sender zum Fest rum und taucht das Wohnzimmer in albtraumhaftes blutrotes Licht. Der Fünfteiler „Stirb langsam“ wird uns bis in das neue Jahr begleiten.
„Alle Jahre wieder“ beehrt uns auch die Familie Heinz Becker (Heiligabend um 14 Uhr). Bei ihr geht wieder alles drunter und drüber. Alle sind genervt und gestresst, der Weihnachtsbaum will einfach nicht stehen – es droht das große Chaos. Auf jeden Fall etwas für den Mittagsschlaf, denn Neues ist hier kaum zu erwarten. Und nach der Bescherung gibt es eine „Feuerzangenbowle“. Die wird im Ersten angerichtet und lässt uns über den Primaner Hans Pfeiffer (mit drei F) alias Heinz Rühmann wie jedes Jahr schmunzeln. „Mit Herz und Seele“ versucht sich auch in diesem Jahr an Heiligabend wieder das Ekel Alfred Tetzlaff, gespielt von Heinz Schubert, in unsere Wohnzimmer zu schleichen.
Seit drei Jahrzehnten gehört der Film „Schöne Bescherung“ einfach zum Fest. Die Komödie um die Chaos-Familie Griswold darf auch dieses Jahr nicht im Fernsehen fehlen. „Der kleine Lord“ geistert nun schon seit 1982 über die Sendeanstalten und kommt auch in diesem Jahr in das Wohnzimmer. Ebenso wie Kevin, der auf Sat. 1 gleich dreimal allein zu Hause zu sehen ist. Sein Abstecher nach New York zeigt der Privatsender auch. Die Liste der Filme, die alljährlich auf uns herabrieseln, lässt sich beliebig erweitern. „Die Geister, die ich rief“ erleben im „Polarexpress“ gemeinsam mit der „Eiskönigin“ und dem „Herrn der Ringe“ samt Gefährten das „Wunder von Manhattan“ und feiern „Weihnachten bei den Hoppenstedts“. Bestimmt auch die nächsten Jahre. „Versprochen ist versprochen“.
Aber nicht nur die Filmklassiker stehen bei den Programm-Machern hoch im Kurs. Auch die Abendshows sind festlich getrimmt. Helene Fischer bedient bei ihrer musikalischen Weihnachtsshow alle Klischees, Axel Bulthaupt greift am Heiligabend in die Klamottenkiste präsentiert beim MDR „Wiedersehen macht Freude“ und die „Dritten“ werden jede Menge Altbackenes neu auftischen. Wem das alles nicht reicht oder jemand hat seinen Lieblingsfilm verpasst, der kann sich auf Streamingdienste wie Netflix, Maxdome, Prime Video oder Sky verlassen. Auch hier ist man auf das Fest eingestellt und kann ungestört auf Filmklassiker zugreifen.
Der Klassiker zur Weihnachtszeit überhaupt ist die Ansprache des Bundespräsidenten. Die läuft jeden 1. Feiertag im Öffentlich-Rechtlichen zur besten Abendbrotzeit – seit 1970. Die Kanzlerin ist wie ihre Vorgänger dann am 31. Dezember mit der Neujahrsansprache auf Sendung. Und dies ist auch schon seit 1970 eine feste Tradition.
PS: Die erwähnten TV-Sendungen sind frei gewählte Highlights. Weder gibt es Anspruch auf Vollständigkeit noch ist es eine Programmempfehlung. Denn zu Risiken und Nebenwirkungen einzelner Filme und Sendungen sollten Sie lieber ihren Sitznachbarn auf der Wohnzimmercouch fragen. Falls noch jemand wach ist. Ronald Floum