Nach einem guten Tag eine gute Nacht

Stellen Sie sich vor: Sie sind am späten Nachmittag aufgebrochen, um Pilze zu sammeln. Zwei oder drei haben Sie gefunden, und nun wird es langsam dunkel. Das Waldstück, in dem Sie herumsuchen, kennen Sie kaum, Sie wissen noch nicht einmal, ob Sie in die richtige Richtung laufen. Schließlich ist es stockfinster. Kein Mond, keine Sterne. Die Batterie Ihres Smartphones ist dabei, den Geist aufzugeben. Die Hände weit vorgestreckt, versuchen Sie, herabhängenden Zweigen auszuweichen. Sie stolpern über einen Baumstubben, ein Ast knackt unter Ihren Füßen. Und 20 oder 50 oder 100 Meter von Ihnen entfernt knackt es plötzlich auch. Irgendetwas knackt da! Was tun? Am besten nichts, sich an einen Baumstamm lehnen oder sich hinhocken und warten. Warten, bis es wieder hell wird. Bis dahin vielleicht sogar ein bisschen schlafen.
Seit Urzeiten ist es für uns Menschen das Beste, wenn die Nacht kommt, passiv zu werden und zu schlafen. Anders als bei nachtaktiven Tieren, Eulen oder Fledermäusen zum Beispiel, taugen unsere Sinne nicht für die Dunkelheit. Ein sicheres Plätzchen vorausgesetzt, übermannt uns dann der Schlaf. Und frühmorgens geht das Leben weiter. Säuglinge brauchen etwa 2 oder 3 Monate, bis auch sie sich den Tag-Nacht-Rhythmus zu eigen machen. Er bleibt dann ein Leben lang stabil. Heute natürlich, da verfügen wir über alle Möglichkeiten, die Nacht zum Tage zu machen. Und das wird auch reichlich genutzt, selbst wenn das nicht gerade gut für uns ist. Dennoch, normalerweise werden wir des Nachts trotz flutender Lichter irgendwann müde und tendieren zum Schlafen. Wie einst die Urmenschen, wenn das Feuer am Herunterbrennen war.

Zirkadiane Rhythmik

Schon vor mehr als 50 Jahren hatten im oberbayrischen Andechs Biologen mit Freiwilligen experimentiert, um zu erfahren, wie das mit dem Müdewerden funktioniert. Im Laufe eines Vierteljahrhunderts haben in den Räumen eines tief unter der Erde liegenden Bunkers rund 300 Freiwillige für jeweils mehrere Wochen oder sogar Monate mitgemacht. Zumeist Studenten, die sich auf diese Weise etwas hinzuverdienen wollten. Keinerlei äußere Zeitgeber hatte man zugelassen. Das Erstaunliche: Obwohl die Räume ständig hell erleuchtet waren, blieb bei den Versuchspersonen der bisherige Schlaf-Wach-Rhythmus voll erhalten. Allerdings folgte der innere Rhythmus nicht genau dem von 24 Stunden, sondern war zumeist ein wenig länger. Man spricht daher von einer inneren zirkadianen Rhythmik (lateinisch circa „rund“, „ungefähr“ und dies „Tag“). Nicht nur das Schlaf-Wach-Verhalten folgt dieser Periodenlänge, sondern alle möglichen Stoffwechselprozesse im Körper tun das, auch Herzrhythmus, Blutdruck und Atmung, die Körperkern-Temperatur. Und ganz selbstverständlich viele, ja die meisten Hirnfunktionen. Diese vor allem sind es, über die der Körper tageszeitabhängig gesteuert wird. Dabei richten sich die Hirnaktivitäten nach der inneren (zirkadianen) Rhythmik, aber auch nach äußeren Zeitgebern, namentlich dem Sonnenstand. Bei uns in der Zivilgesellschaft ist es die Uhr, die an der Wand tickt oder die wir am Handgelenk tragen.
So weit, so gut, wenn das klappt. Bei vielen Menschen aber klappt es nicht, sie leiden unter Schlafstörungen. Auch und gerade Schichtarbeiter haben mit der inneren Uhr Probleme. Von größtem Interesse sind die biologischen Mechanismen, die unseren Tag-Nacht-Rhythmus steuern, und so eben auch unser Schlafverhalten. Eine Reihe von Hormonen spielen dabei eine Rolle. Darunter, wie seit längerem bekannt, das Melatonin. Es wird in der Zirbeldrüse (Epiphyse) unseres Gehirns gebildet, nachts deutlich mehr als am Tage. Das Melatonin wurde daher lange Zeit als „das“ Schlafhormon angesehen. Allerdings, als Pille geschluckt, fördert es den Schlaf nicht oder kaum. Viel wichtiger offenbar sind Moleküle, die innerhalb von Zellen produziert werden und so etwas wie ein molekulares Uhrwerk verkörpern.

Nobelpreis 2017

Seitdem nun vor kurzem die diesjährigen Nobelpreisträger nominiert wurden, sind die Begriffe „zirkadiane Rhythmik“ und „Chronobiologie“ auch in den Tageszeitungen zu lesen. Ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin dieses Jahres wurden die US-amerikanischen Chronobiologen Rosbash, Hall und Young. Sie haben sich um die Entdeckung von Genen, die unsere inneren Uhren ticken lassen, und um die Erforschung ihrer Wirkungsmechanismen hochverdient gemacht. Bevorzugte Forschungsobjekte waren die Fruchtfliege Drosophila und die Maus. Die Gene, die bei ihnen für die zirkadiane Rhythmik zuständig sind, ähneln denen des Menschen bis aufs letzte Tüpfelchen. Nicht von ungefähr hatte Alfred Nobel seinen Preis für „Physiologie oder Medizin“ ausgeschrieben, weil bereits zu seiner Zeit (Ende des 19. Jahrhunderts) klar war, dass die Erforschung der Natur des Menschen nicht eigentlich Sache der Medizin ist, sondern die der Biologie. Den Begriff „Physiologie“ verwenden wir heute eher einschränkend für die Erklärung der Funktionalität biologischer Strukturen.
Wenn Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, sich des Nachts zur Unzeit im Bette wälzen, so denken Sie doch einfach an die für unser Schlaf-Wach-Verhalten zuständigen Gene:
•    CRY (Cryptochrome)
•    CLOCK (Circadian locomotor output cycles kaput)
•    BMAL 1 (brain and muscle, ARNT-like)
•    PER 1 (Period 1)
•    PER 2 (Period 2)
•    PER 3 (Period 3)
•    Vasopressin - Prepropressophysin (VP) (clock controlled genes; ccg)
– und sagen Sie diese Begriffe im Geiste immerzu auf. Nicht lange hin, fangen Sie an zu gähnen, und langsam und endlich schwindet Ihr Bewusstsein. Der Trick dabei: Morpheus selbst, der Gott des Traumes, wird von Ihrer Aufzählerei müde, nimmt Sie immer fester in seine Arme und schläft zusammen mit Ihnen zufrieden träumend ein. Eine gute Nacht denn! Prof. Dr. Gerald Wolf

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