Manege frei für Attraktionen
Unterhaltung und abendliches Vergnügen gehörten schon immer zu Magdeburgs Nachtleben wie der Dom zur Stadtsilhouette. Gelegentlich „anrüchiges“ Entertainment und Kurzweil auf den Bühnen versüßten den vergnügungssüchtigen Elbestädtern die Nächte. Auch die Varieté- und Zirkuswelt mit ihren exotischen Attraktionen zählte zu den Besuchermagneten. Kaum bekannt – mitten im Herzen der Altstadt residierte ein einzigartiges „Chapiteau“ mit mehr als 2.800 Sitzplätzen. Der erste feste Zirkusbau Deutschlands in der Königstraße (heute Walther-Rathenau-Straße) war mehr als eine überdachte Manege: Restaurationen, Tierschauen, Stallungen, Kino und Geschäfte luden bei den Veranstaltungstagen zum Flanieren und Amüsieren ein. Zahlreiche umjubelte Premieren renommierter Artisten künden von der künstlerischen Größe dieses Bauwerks.
Dessen Geschichte reicht zurück ins Jahr 1896. Magdeburg war in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts bei Wanderzirkussen und Varieté-Ensembles beliebt. Größtes Event jener Zeit war die amerikanische „Buffalo Bill Wild-West-Show“ auf ihrer Europatour: Die Arena maß 13.000 Quadratmeter, mehr als 10.000 Besucher fanden hier Platz.
An mehreren Orten der Stadt gastierten die Ar-tisten und lockten die Besucher an. Auch der „Circus Emanuel Blumenfeld Witwe“, der 1896 mit 28 Wagen und vier Zelten die Elbestadt besuchte. Ein denkwürdiges Gastspiel – hier in Magdeburg fand der „Circus Blumenfeld“ endlich ein geeignetes Areal für einen neuen Stammsitz und bewirtschaftete von nun an das von der Magdeburger Circus-Varieté Actiengesellschaft errichtete und bis dato größte Zirkusgebäude. 1914 kauften die Blumenfeld-Nachfahren das „Chapiteau“ und pachteten den dazugehörigen Grund und Boden für die Dauer von 30 Jahren. Den Enkeln der Blumenfelddynastie Alfred, Alex, Alfons und Arthur gelang es insbesondere nach dem I. Weltkrieg, den Zirkusbetrieb zu neuem Glanz zu führen. Bis 1920 sorgten sie für zahlreiche umjubelte Premieren, 1922 starteten die Artisten sogar zu ihrer ersten Auslandstournee. Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit führten zum Besucherschwund und schließlich zum Aus – 1928 gingen die Blumenfelds pleite. Das Zirkusgebäude fand neue Mieter – Gastspiele und verstärkt Ringkampfveranstaltungen gehörten zum Tagesprogramm. Die Blumenfelds gerieten in der Zeit des nationalsozialistischen Rassenwahns in das Visier der Judenjäger, die auf grausame Weise die stolze Traditionslinie der Schausteller beendeten. Mehr als 30 Angehörige der Familie Blumenfeld sind Opfer des Holocaust.
Große und namhafte Zirkusunternehmen gas-tierten unter der Kuppel des Varietégebäudes – Busch, Hagenbeck, Corty-Althoff, Krone, Sarassani – eine nicht wieder erreichte Glanzzeit dieses Genres. Trotz des schmalen Budgets in der Zeit des Zweiten Weltkrieges rissen diese Gastauftritte nicht ab. Im Herbst 1944 trafen bei einem Tagesangriff alliierter Luftstreitkräfte den Zirkusbau erste Bomben. Die Bombennacht am 16. Januar 1945 besiegelte das Schicksal des einstigen Prunkbaus endgültig. Ein Wiederaufbau war durch die vollständige Zerstörung unmöglich. Ronald Floum