Luftsprünge, Zeppeline & Raketen - Teil 1
Seit den ersten „Hopsern” Hans Grades griff das Flugfieber in Magdeburg um sich – bestaunt und bejubelt wurde alles, was vom Boden abhob.
Einmal fliegen können – diesen Traum gibt es schon lange in der Geschichte der Menschen. Das Fliegen schauten sich unsere Vorfahren zuerst von den Vögeln ab. Die Natur war Auslöser der Sehnsucht nach Flügeln, später wurde sie zur Lehrmeisterin der modernen Flugphysik. Mit der Absicht, den Vogelflug zu imitieren, studierte Leonardo da Vinci eifrig die Bewegungsabläufe von Vögeln. Seine ersten Flugmaschinen zielten darauf ab, mit Muskelkraft den Vogelflug nachzuahmen. Doch er musste sich schnell ein Grundproblem eingestehen: Menschen verfügen nicht über ausreichende Kraft, das eigenes Körpergewicht samt einer Maschine in die Luft zu heben. Daher verlegte sich da Vinci auf den Gleitflug, die allerdings mit Knochenbrüchen endeten.
Albrecht Ludwig Berblinger – besser bekannt als der Schneider von Ulm – konstruierte einen Hängegleiter, der ihm den Gleitflug ermöglichen sollte. Der öffentliche Flugversuch am 31. Mai 1811 endete in einem Desaster. Ungünstige Windverhältnisse verhinderten den notwendigen Auftrieb und das „Schneiderle” stürzte samt Fluggerät unter dem Gejohle der vielen Zuschauer in die Fluten der Donau. „Die Glocken sollen läuten, es waren nichts als Lügen, der Mensch ist kein Vogel, es wird nie ein Mensch fliegen“ – so fasste Berthold Brecht in einem Gedicht die tragische Story des Schneiders Berblinger zusammen.
Erfolgversprechender war ein anderer Tüftler: Vor knapp 130 Jahren versuchte der preußische Erfinder Otto Lilienthal mit Flügeln aus Stoff und Holz abzuheben. Was anfänglich Erfolg versprechend begann, endete auch in einer Katastrophe: Am 9. August 1896 fällt Lilienthal vom Himmel und erliegt einen Tag später seinen Verletzungen. Der Tod des 48-Jährigen ist für seine Bewunderer ein Schock, war aber auch Ansporn, bessere Fluggeräte zu entwickeln. Letztendlich machten Orville und Wilbur Wright einen Menschheitstraum wahr: Die Besitzer einer Fahrradwerkstatt in Dayton im US-Bundesstaat Ohio tüftelten an einem Fluggerät und erhoben sich am 17. Dezember 1903 fast wie ein Vogel in die Lüfte. Der „Hopser” dauerte nur zwölf Sekunden die Flugstrecke war nur 37 Meter. 1905 schafften die Wright-Brüder Strecken von vierzig Kilometern. 1908 blieb ihr Fluggerät immerhin zweieinhalb Stunden in der Luft. Der Siegeszug des Motorfluges hatte begonnen. Andere Konstrukteure brachten ihre Ideen in die Lüfte, Piloten stellten neue Rekorde auf.
Das Wunder von Magdeburg
Auch in Magdeburg machte sich ein Tüftler ans Werk und wollte mit aller Macht in die Luft gehen. Der Ingenieur Hans Grade (1879-1946) erlag dem Ruf Magdeburgs als aufstrebende Industriestadt und zog 1905 von Köslin – ein Ort, der heute in Polen liegt – an die Elbe. Schon als Jugendlicher las er die Veröffentlichungen von Otto Lilienthal über den Vogelflug und baute seine eigenen Flugmodelle. Als die Gebrüder Wright 1903 mit ihren ersten Flügen von sich reden machten, konstruierte Grade ein eigenes Motorrad. Er übernahm eine Motorenwerkstatt und gründete in Magdeburg die Grade-Motoren-Werke GmbH. Trotz seines Militärdienstes 1907/08 verlor er seinen Traum vom Fliegen nicht aus den Augen und begann mit den Arbeiten an seinem ersten Flugzeug, einem Dreidecker. Mit ihm er schaffte das Wunder von Magdeburg.
Das hätte sich der alte Exerzierplatz am kleinen Cracauer Anger wohl nicht träumen lassen: Statt Trommelwirbel und preußischem Stechschritt gab es am 28. Oktober 1908 Motorenlärm und großes Hallo. Hans Grade, der schon einige Luftsprünge mit seinen Maschinen hinter sich hatte, wagte sich nun mit dem selbst gebauten Dreidecker an den Start. Der kleine Sechs-Zylinder-Zweitaktmotor mit den übersichtlichen 36 Pferdestärken schien aber noch nicht die Kraft zu haben, um mehr als ein paar „Hopser” zu vollführen. Dann aber, ein plötzliches Ausweichmanöver gab den Ausschlag. Bei den Rollversuchen auf dem Anger und nach einem langen Sprungflug rannte eine Frau in den Weg. Grade zog ruckartig am Höhensteuer und erreichte eine Höhe von acht Metern – der erste deutsche Motorflug war gelungen. Immerhin sechzig Meter flog das Konstrukt, bevor eine Bruchlandung diesem Erfolg ein jähes Ende bereitete. Der Ingenieur Hans Grade gab nicht auf und startete zu weiteren Flügen vom Cracauer Anger. Bis Mai 1909 machte er mit seinem Dreidecker 790 weitere Aufstiege, die bis zu 700 Meter weit führten. Mit seinem Eindecker „Libelle" erflog er sich 1909 in Berlin gar den „Lanz-Preis der Lüfte". Dieser war von Industriellen für den ersten Deutschen Motorflieger ausgelobt worden. Hans Grade malte eine vorschriftsmäßige Schleife von zweieinhalb Kilometern Länge an den Himmel. In nur zwei Minuten und 43 Sekunden war Grade mit dem Preisgeld von 40.000 Reichsmark reicher. Er investierte den gewonnenen Betrag in seine Flugzeugfabrik, die dadurch richtig aufblühte. Viele Schauflüge in Hamburg, Bremen, Breslau und Magdeburg folgten. 1910 errichtete Grade in Bork eine Flugzeugfabrik und gründete die erste Flugschule in Deutschland – 80 Flugzeuge wurden hier gebaut und mehr als 130 Schüler als Piloten ausgebildet. Viele Rekorde und Preise erkämpfte sich der Flieger – sein Pioniergeist ist bis heute unvergessen. Und er hatte offenbar auch einen Sinn für das Praktische: Als einer der Ersten nahm er 1912 den Transport von Postsäcken im regulären Flugdienst auf. Ronald Floum