Leihgabe: Ein Parament auf Reisen
Betritt man die Räumlichkeiten in Haus 21 auf dem Gelände der Pfeifferschen Stiftungen Magdeburg, wirken sie auf den ersten Blick nicht wie eine Werkstatt. Eine Textilwerkstatt, um genau zu sein. Zu wenig Chaos, könnte man meinen. Doch bei genauerem Hinsehen lassen sich Entwürfe und Wollknäuel identifizieren. Und die beiden Hochwebstühle, die an einer Wand aufgestellt sind, verraten den Ort endgültig als Stätte des kreativen Schaffens. Seit 40 Jahren fertigt Gudrun Willenbockel hier Paramente – Textilien, die im Kirchenraum und in der Liturgie Verwendung finden und häufig künstlerisch aufwendig gestaltet sind. Dazu zählen das Antependium (farbige Behänge an Altar, Kanzel und Lesepult), der Wandbehang, die liturgische Stola, Altardecke und Altarläufer sowie Abendmahlstücher.
Als Tochter eines Pfarrers im thüringischen Schleiz geboren, wuchs Gudrun Willenbockel in der Altmark auf. „Der Hang zum Gestalterischen war schon immer vorhanden und mein Vater wusste um die Ausbildungsstelle hier in Magdeburg“, erzählt die Paramentikerin. So absolvierte sie ab 1977 in der Werkstatt des Diakonissenhauses Bethanien ihre Qualifizierung und lernte dabei diverse Techniken im Umgang mit Textilien. „Dazu zählte aber nicht nur das Weben oder Sticken. Wir mussten auch vom Färben Ahnung haben, uns mit Materialkunde beschäftigen und mit der Kirchengeschichte sowie der Symbolik vertraut sein.“
Nach ihrer Ausbildung arbeitete Gudrun Willenbockel in der Paramenten-Werkstatt der Diakonissen und konzentrierte sich dabei auf die Gobelin-Weberei, die Stickerei und die Färberei. „Als die Leiterin der Werkstatt Ende der 1990er Jahre in den Ruhestand ging, musste ich mich entscheiden, wie ich weitermache“, erinnert sich die Paramentikerin. Also legte sie 1999 die Meisterprüfung im Handwerk der Sticker ab, machte sich selbstständig und überführte die von der Schließung bedrohte kirchliche Werkstatt in ein Handwerksunternehmen. „Die beiden Hochwebstühle und einige Materialien konnte ich behalten – das erleichterte mir natürlich den Anfang.“
Der ursprüngliche Plan war es, ihr kreatives Schaffen nicht nur auf den sakralen Raum zu beschränken. Doch das Renommee der Paramenten-Werkstatt, die bereits seit 1949 auf dem Gelände der Pfeifferschen Stiftungen existiert, verschafft Gudrun Willenbockel ausschließlich Aufträge von Vertretern der christlichen Kirchen, überwiegend im norddeutschen Raum. „Und das wird nie langweilig“, sagt die gebürtige Thüringerin und lacht. „Jeder Auftrag ist anders, die Arbeit wird nie zur Routine – egal, wie gut man das Handwerk beherrscht.“
Wird Gudrun Willenbockel gebeten, ein Parament anzufertigen, stattet sie der Kirche zunächst einen Besuch ab. „Ich muss mir den Raum anschauen, muss mit den Personen vor Ort sprechen – vom Küster über den Pastor bis zu den Mitgliedern des Gemeindekirchenrats – und gemeinsam entwickeln wir dann Ideen.“ Nachdem der Entwicklungsprozess abgeschlossen ist, fertigt die Paramentikerin in ihrer Textilwerkstatt Entwürfe an, bevor sie sich am Hochwebstuhl der Umsetzung widmet. In welche Richtung es gehen soll, hängt davon ab, zu welcher Zeit des Kirchenjahres das Parament zum Einsatz kommt. Denn je nach Bedeutung werden unterschiedlichen Anlässen unterschiedliche liturgische Farben zugeordnet. So steht Rot beispielsweise für Leidenschaft, Kraft und Wärme, aber auch für zerstörerisches Feuer und Blut. Grün symbolisiert Hoffnung, Wachstum und Leben. Weiß bedeutet Licht und besonders die großen Christus-Feste Weihnachten und Ostern werden mit dieser Farbe gekennzeichnet.
Eine von Gudrun Willenbockels Auftragsarbeiten wird als Leihgabe bald auch beim Kirchentag zu sehen sein. „Bereits vor einigen Jahren hatte ich einen Behang für den Altar der Kirche St. Marien in Kemberg bei Wittenberg gefertigt. Dort hatte Martin Luther einige Male gepredigt.“ Nun wird das Pfingstparament, das in kraftvollem Rot erstrahlt und den schöpferischen Heiligen Geist Gottes symbolisiert, einen der Eröffnungsgottesdienste in Berlin und auch den Festgottesdienst auf den Elbwiesen der Lutherstadt Wittenberg bereichern. Tina Heinz