Keine Jobs, keine Steuern, mehr Müll

Der Onlinehandel boomt. Er macht das Leben leichter. Einerseits. Andererseits macht er den Einzelhändlern das Leben schwer. Und bringt jedem von uns Nachteile. Auf lange Sicht.

Es gehört zu den schönen Erinnerungen aus Kindheitstagen: Ein Paket! In früheren Zeiten noch eine Seltenheit, eine Besonderheit, etwas ganz Wunderbares! Mittlerweile ist es für viele Menschen Normalität geworden, Lieferungen nach Hause zu bekommen. Nicht von Freunden oder Verwandten, sondern das, was wir uns selbst bestellen. Es ist ja wunderbar einfach: Täglich nutzt ein Großteil der Bevölkerung das Internet. Werbung „flattert“ über Computer, Smartphone, Tablet auf die Bildschirme. Billiger, schneller, einfacher sind dazu die Werbebotschaften. Der Onlinehandel nimmt zu. Derzeit wird er mit rund 10 Prozent beziffert, Tendenz steigend. Es klingt nach Schlaraffenland: Wir brauchen nicht mehr das Haus verlassen und können uns doch alle Wünsche erfüllen. Drei Milliarden Pakete werden allein in Deutschland pro Jahr verschickt bzw. zugestellt. Der Bundesverband Paket & Expresslogistik erwartet für 2018 sogar 30 Millionen Pakete mehr als im Vorjahr. Laut Prognosen soll 2021 die Vier-Milliarden-Grenze erreicht werden.

Frei Haus geliefert werden kann mittlerweile fast alles. Bekleidung, Elektronik, Blumen, Lebensmittel, Dekorationen für die Wohnung – dies und das und Firlefanz. Wichtige Medikamente und verderbliche Waren. Alles muss schnell gehen, die Kunden warten, die Konkurrenz schläft nicht.

Die Autos der Lieferdienste gehören zum alltäglichen Anblick auf Deutschlands Straßen. DHL, GLS, UPS, DPD, Hermes und wie sie alle heißen, liefern, was wir uns wünschen. Es gibt immer mehr Transportunternehmen. Die Deutsche Post hat längst ihr Monopol verloren. Jetzt baut der Internetriese Amazon sogar sein eigenes Zustellungsnetz auf. Das amerikanische Unternehmen hat in Ballungsorten wie New York, San Franzisco und Los Angeles bereits eigene Fahrzeugflotten eingesetzt. Auch in Europa sind erste Lieferfahrzeuge unterwegs, in Deutschland sind zwei „Versuchszonen“ im Test. Noch vor einem Jahr hieß es, das Unternehmen wolle sich keine eigenen Fahrzeuge zulegen, sondern Kooperationen eingehen. Sichtbar werden dabei – mit seinem Logo an den Transportfahrzeugen. Jetzt geht er einen Schritt weiter. Das Unternehmen reagiere damit auf Zulieferengpässe, heißt es, man habe verärgerten Kunden wegen Verspätungen Gutscheine zur Versöhnung geboten, wenn die Pakete zu lange unterwegs waren. Gerade Prime-Kunden bestünden auf 24-Stunden-Lieferung.

Über Ärger bei Paket-Auslieferungen gibt es viele Beispiele und Geschichten. Internetportale für Beschwerdesammlungen wurden eingerichtet. Kunden bemängeln, dass ihre Pakete nicht zum verabredeten Termin geliefert oder irgendwo „abgelegt“ werden, die Lieferanten unhöflich oder die Pakete beschädigt sind. Andere Kunden warten den ganzen Tag zuhause – niemand klingelt, aber letztlich informiert eine Benachrichtigung im Briefkasten, die Zustellung sei nicht möglich, weil niemand da war … Programmierter Ärger. Genau beobachten die Mitarbeiter des Internetportals den Service und befragen dazu regelmäßig die Kundschaft. Häufen sich die Probleme mit einem Lieferdienst, wird zu einem anderen gewechselt. Bisher. Mit dem eigenen Lieferdienst haben sie alles selbst in der Hand. Ob damit auf lange Sicht allerdings die Pünktlichkeit zunimmt, bleibt fraglich. Noch mehr Fahrzeuge verbessern nicht die Situation auf den Straßen. Es spart keine Zeit, wenn die eigenen Autos im Stau stecken bleiben. Die Vielzahl der Lieferfahrzeuge verstopft verstärkt die Straßen, warnen Logistikexperten. Laut Studie des Institutes für Klimaschutz, Energie und Mobilität entstehen 20 bis 30 Prozent des innerstädtischen Verkehrs durch Gütertransporte. Von einem drohenden „Verkehrsinfarkt“ ist sogar die Rede. Angesichts der Diskussion um Feinstaubbelastung, Dieselfahrzeuge und Fahrverbote in den Städten ein Hohn. Besieht man sich, welche Transportwege die Pakete nehmen, bekommt dieser Aspekt zusätzliche Brisanz: Ein Paket von Magdeburg nach Berlin wird schon mal über Verteilstationen in München oder Stuttgart geschickt …

Dem Verkehrschaos entgegenwirken will ein Pilotprojekt in Frankfurt/Main: Im Ideenwettbewerb „Klimaschutz“ entstand die Idee von „Logistiktrams“. Pakettransport in Straßenbahnen. Außerhalb der Hauptverkehrszeiten verkehren Sonderbahnen in mehrere Stadtteile, bringen Pakete in spezielle „Mikrodepots“, von wo aus sie schließlich von Kurieren mit E-Bikes verteilt werden. Von einer „nahezu emissionsfreien Citylogistik“ ist die Rede. Dazu kommen Entlastung des Verkehrs und Zeitersparnis. In diesem Herbst soll Start sein.

Haben damit die regionalen Einzelhänder noch schlechtere Karten gegen die Onlinekonkurrenz? Welche Alternativen könnte es geben? Einige stationäre Geschäfte bieten bereits zusätzliche Käufe übers Internet an. Liegt darin die Zukunft? Einzelhändlern – gerade die kleineren, die ihr Geschäft allein oder mit wenigen, zumeist einem Mitarbeiter ihr Geschäft betreiben – ist damit eine große Bürde aufgelastet. Hängt doch wesentlich mehr Aufwand daran. Neben dem Alltagsgeschäft Internetangebote aufstellen, die Internetseiten betreuen, Kunden beliefern. Möglichst alles gleichzeitig, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. Kaum zu schaffen allein. Mitarbeiter dafür einzustellen, wäre eine Möglichkeit, wodurch die Einnahmen allerdings nicht größer sein dürften als die dafür verwendeten Ausgaben. Ein gordischer Knoten. Bei größeren Unternehmen ist das eher möglich. So hat der Kölner Lebensmittelhändler Rewe ein Online-Geschäft aufgebaut, zu dem Lager mit einer Fläche von 17.000 Quadratmetern gehören. Rund 20.000 Produkte können von hier aus direkt an die Kunden im Umkreis geliefert werden. Noch allerdings, so heißt es, fährt das Unternehmen keine Gewinne ein. Das könne Jahre dauern.

Momentan nimmt der Online-Anteil am Gesamtumsatz des deutschen Lebensmittelhandels lediglich ein Prozent ein. Zunehmend beworben wird derzeit die „Frischebox“, die alle Zutaten für bestimmte Gerichte passend liefert, angepasst auf die zu versorgenden Personen. Das weckt Bedürfnisse. Der „Frischemarkt“ direkt zuhause. Kochzauberbox, hello fresh & Co., jetzt auch noch eine TV-Kochsendung dazu ... Treibt das den Online-Verkauf von Lebensmitteln weiter an? Wollen wir uns nicht mehr inspirieren lassen beim Einkaufen, von regionalem Gemüse und Obst, vom Riechen, Schmecken, Kosten? Von Angeboten und Empfehlungen der Händler?

Doch das ist nur die eine Seite. Die andere ergibt sich durch die Anhäufung von Milliarden Ver-
packungen. Unser Müllberg wird immer größer. Die Menge des produzierten Mülls werde bis zum Jahr 2050 um 70 Prozent steigen, wenn es keine Gegenmaßnahmen gibt, warnt die Weltbank. Pro Jahr werden derzeit zwei Milliarden Tonnen Müll produziert. Durch Bevölkerungszunahme und Urbanisierung wird bis dahin eine Steigerung auf 3,4 Milliarden Tonnen prognostiziert. Der Onlinehandel trägt zu dieser Steigerung gravierend bei. Und das gleich doppelt: Bei der Lieferung und beim reklamierenden Rücksenden. Nicht nur jedes Produkt ist einzeln verpackt (wie zum Teil in stationären Geschäften auch, aber wesentlich seltener), hinzu kommen die Paketverpackungen, in denen meist noch weitere Päckchen enthalten sind, dazu diverses Füllmaterial, das noch dazu aus nicht umweltfreundlichen gleich biologisch abbaubaren Materialien besteht. Ob Luftpols­terfolie oder Styropor – diese Materialien zersetzen sich zwar in kleinere Teile, lösen sich aber nicht auf und bilden letztlich weltweit ein Problem, nicht nur, aber auch in unseren Meeren. Die Ozeane versinken im Plastikmüll, Meeresbewohner sterben daran, Seevögel und Schildkröten verenden qualvoll, weil sie sich an Plastikartikeln verheddern oder diverse Teile verschlucken. Drei Viertel des Mülls im Meer besteht nach Angaben aus Plastik, alarmiert der WWF. Bei einer Untersuchung fanden Wissenschaftler bei 93 Prozent der Eissturmvögel Plastikteile im Magen.

Der Handel hat den Ruf erhört und einige Märkte nehmen nach und nach Plastikerzeugnisse aus dem Sortiment. Zunächst Einkaufstüten, dann Wegwerfgeschirr wie Teller, Besteck, Tassen aus Plastik. Tropfen auf einem heißen Stein. Solange sogar Bioprodukte einzeln in Folie verschweißt werden, wird dieser Trend ad absurdum geführt. Noch dazu, wenn Lebensmittel in Frischhalteboxen mit viel Verpackung nach Hause geliefert werden, dazu noch mit Einweg-Akkus und natürlich geliefert durch separate Autofahrten.

Wer regelmäßig durch Magdeburg geht, sieht gerade in der Innenstadt immer wieder leere Schaufenster. Dass Geschäfte schließen, liegt nicht nur am Tunnelbau und der schlechten Zufahrt aus Richtung Westen, sondern eben auch an der (vermeintlichen) Billigkonkurrenz Internet und unserer eigenen Bequemlichkeit. Dabei hat der Kauf vor Ort Vorteile. Man kann die Produkte anschauen und testen, was vor bösen Überraschungen wie bei Internetbestellungen schützt. Großer Pluspunkt vor Ort sind direkte Ansprechpartner und Service. Außerdem zeigen sich Magdeburger Händler kreativ, wie Beispiele in dieser Zeitung zeigen.

Aber es geht nicht nur um den Einzelhandel. Mit allem, was wir im Internet erwerben, schwächen wir unsere eigene Region. Zum einen unsere Wirtschaft. Produkte werden nicht mehr hier hergestellt, Firmen schließen, Mitarbeiter werden arbeitslos. Internetfirmen bilden keine Lehrlinge aus, bieten also Jugendlichen keine Alternative. Sie schaffen vor Ort keinen einzigen Arbeitsplatz, zahlen keine Steuern und leisten keinen Beitrag zum regionalen kulturellen und sozialen Leben. Auch hier winkt die Arbeitslosigkeit. Hiesige Firmen fördern im Gegensatz dazu Kulturangebote, unterstützen karitative Einrichtungen, tragen zum attraktiven Leben in Magdeburg und Umgebung bei. Zum anderen – und das ist kein unwesentlicher Aspekt – sind ausbleibende Steuern ein Problem. Bei allem, was anderenorts produziert und verkauft wird, gehen Steuereinnahmen verloren. Nun mag für viele Menschen das Wort Steuer nicht unbedingt positiv besetzt sein, da wir in ers-ter Linie wohl die Abzüge auf dem eigenen Lohnschein betrachten. Doch wofür werden unsere Steuern verwandt? Da sind Ausgaben für unsere Sicherheit und Infrastruktur, von Polizei und Justiz bis zu Straßen, Brücken, Gleisen. Aber auch für Bildung, für Kindergärten, Schulen, Universitäten, Sozialleistungen, für kranke ebenso wie für arbeitslose Menschen. Durch Fremdproduktion haben wir also mehr Arbeitslose, aber weniger Steuereinnahmen fürs Arbeitslosengeld. Außerdem kann weniger gebaut und instandgehalten werden. Von der Investition in die Bildung ganz zu schweigen.

Natürlich können wir schimpfen auf Steuerverschwendungen, über nicht fertig gestellte Flughäfen, über immer teurer werdenden Tunnelbau oder neue Brücken. Aber wir können uns auch an die eigene Nase fassen und schauen, was wir dazu beitragen. Vielleicht mal wieder einen Einkaufsbummel machen. Stauen, was es alles (noch) gibt und was wir uns erhalten möchten. Birgit Ahlert

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