Jugend und Mobilität: Eine Zukunft ohne Autos?
Gehören Sie auch noch zu der Generation, die mit Autoquartett in den Schulpausen Träume vom eigenen Fahrzeug definierte? Ach so: Quartett-Karten muss man ja in Zeiten von Smartphone und Co. erst einmal erläutern. Es waren die aus heutiger Sicht altertümlichen Pappkarten mit bunten PS-strotzenden Boliden, die man sich gegenseitig vorlas. Einen Stich machte derjenige, dessen Auto die besten Leistungsdaten vorwies. Wer die meisten PS hatte, war auf der Gewinnerstraße. Das weckte Bedürfnisse und den Wunsch, einmal selber so eine „Karre“ vor der Haustür zu haben. Ein Auto oder anfänglich auch ein Moped Marke Star oder Schwalbe war das Synonym für Freiheit. Der „Lappen“ mit der Klasse 3 der Einstieg ins Erwachsenenleben. Wir, die Jugendlichen von damals, zählen noch heute zur Stütze der Automobilindustrie. Doch das Bild wandelt sich. In Zeiten von täglichen Klima-Schockmeldungen und Verwirrspielen muss man sich fast schämen, ein Auto mit einem Verbrennungsmotor – egal ob Diesel oder Benziner – zu fahren.
Unsere Kids winken heute bescheiden ab, wenn es ums Thema Auto geht. Wichtiger sind die neusten Smartphones mit Octa-Core-CPU und jede Menge Datenvolumen auf der Mobilfunk-Karte, Spielkonsolen, Computer, Clouds und Internetgeschwindigkeit. Da geht man lieber im Elektronikfachmarkt shoppen und testet die neueste Generation der Bluetooth-Kopfhörer, als sich am Autohaus die Nasen an den Fahrzeug-Scheiben plattzudrücken, um die Angebote zu studieren. Wozu ein eigenes Auto, wenn man Papas Wägelchen mit 17 Jahren schon lenken darf? Natürlich in Begleitung. Mobilität wird eben heute anders definiert. Für die heranwachsende Generation spielt das „Unterwegssein“ in ihrer Lebensgestaltung eine zentrale Rolle. Selbstbestimmt mit Gleichaltrigen in Kontakt zu treten und die Abnablung vom Elternhaus ist für die Ausgestaltung der eigenen Identität wichtig. Nur lebt es die Generation „Zukunft” heute anders. Erkennbarer Trend: In der Stadt sind bei 18- bis 24-Jährigen die Autonutzung und der Autobesitz rückläufig. Auch wird der Führerscheinerwerb immer öfter geschoben. Zwar hat die Mehrheit der jungen Deutschen bis sie 25 Jahre alt sind den Führerschein in der Tasche, doch der Führerschein mit 17 ist anscheinend nur auf dem Land attraktiv.
Die sogenannte Multimodalität wird Praxis. Viele Heranwachsende in Städten nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel, finden andere Wege – ob Fahrrad, Pedelec, Mietroller, Moped oder E-Scooter. Auch die Lebenssituation der Jugend hat sich verändert: Sie ziehen in größere Städte um zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Zwar sind die Mieten hier höher als auf dem Land oder kleineren Städten, der Autoverkehr dichter und die Parkplätze sind „Goldstaub“. Dafür ist der öffentliche Nahverkehr gut ausgebaut und dank Schülertickets oder Semesterkarte günstig. Das fördert ein Verhalten, das Verkehrswissenschaftler „multimodale Mobilität“ nennen: Man leiht sich lieber ein Auto oder bucht sich einen Platz von A nach B in der Mitfahrzentrale. Wichtig für die Generation Zukunft ist die Chance, situativ und spontan zu handeln. Bestehende Zeitnischen werden einfach mit dem Smartphone verplant. Die Nutzung der Fahrplan-App und Fahrplan am Screen spart sogar Zeit, da man nicht mehr das Pappschild mit dem Fahrplan an der Haltestelle studieren muss. So entstehen Verkehrswege zum Treffen mit Gleichgesinnten, die sich spontan via Smartphone planen lassen.
Der Wunsch nach einem eigenen Auto wird von vielen Faktoren verdrängt. Wie wichtig ein Auto noch ist, zeigen die ständig älter werdenden Neuwagenkäufer. Laut einer GfK-Studie für das Allianz-Zentrum für Technik (AZT) haben sich Zahl und Anteil der Pkw-Halter zwischen 18 und 24 Jahren seit Ende der Neunzigerjahre grob halbiert (Quelle: brandeins.de). Junge Menschen müssen seit den 2000er Jahren nicht zwangsläufig die Eigentümer eines Autos sein – es reicht, wenn sie ein Auto nutzen können. Da viele Fahranfänger ohne Schadenfreiheitsrabatt des Autoversicherers starten, nutzen sie oft jahrelang den Zweitwagen ihrer Eltern. 42 Prozent der von 18- bis 29-Jährigen gefahrenen Pkw, sagt der Branchenverband VDA unter Berufung auf eine Auftragsstudie der GfK, seien auf eine andere Person zugelassen. Zudem entwickelt sich der Autokauf zur Anschaffung eines Luxusgutes und ist für viele Heranwachsende mittlerweile unbezahlbar. Die Autoschmieden sorgen mit ihrer Innovationsfreude dafür, dass in den vergangenen 34 Jahren laut Car „die Durchschnittspreise der verkauften Neuwagen pro Jahr um 3,5 Prozent gestiegen sind“. Damit verschiebt sich der Neuwagenkauf in eine spätere Lebensphase. Laut einem DAT-Report ist der durchschnittliche Erstkäufer bei Gebrauchtwagen 26 Jahre alt, hat schon sechs Jahre Fahrpraxis und schaut vor allem auf den Preis. Nur 70 Prozent derer, die erstmals einen Neuwagen auf eigene Rechnung kaufen, sind unter 30. Also keine lukrative Zielgruppe für die Automobilindustrie. Denn meist reicht hier das Budget trotz Kreditfinanzierung und günstiger Zinsen nur für einen Kleinst- oder Kleinwagen. Diese Einsteigermodelle bringen wenig Umsatz.
Doch die Autohersteller denken um. Gerade in Zeiten explodierender Mieten in den Ballungsräumen und utopischer Grundstückspreise in den Großstädten, fällt es jungen Familien in Gründung schwer, Träume von den eigenen vier Wänden in den Wohnzentren auszuleben. Die „Landluft” wird wieder interessant. Das setzt aber wieder ein neues Statement bei der Mobilität. Die Präsenz schicker kleiner Flitzer für junge Familien, gern auch elektrisch, ist im Anrollen. Und einige Bauträger in den ländlichen Regionen planen bei Neubauten an Ladestationen unter den Carports. Ronald Floum