222 Jahre Theater in Magdeburg

Erste feste Schauspielstätte war das Nationaltheater am Breiten Weg. Foto: Archiv Kulas

Es brauchte mehrere Anläufe, um in Magdeburg ein festes Theater zu installieren. Das erste Nationaltheater wurde vor 222 Jahren eröffnet: am 19. September 1796. Ein Blick zurück an die Anfänge.

Von den ersten Berufsschauspielern in Magdeburg wird berichtet um 1700. Catharina Elisabeth Velten gastierte mit ihrer Wandertruppe in der Stadt. Doch sie war mehr oder weniger nur gelitten. Ihr wurde sogar das Abendmahl von der Kirche verwehrt, als sie todsterbenskrank war. Von Faulheit und Liederlichkeit war die Rede. Als sie sich erholt hatte, verfasste sie eine berühmt gewordene Gegenschrift mit dem Titel „Zeugnis der Warheit vor die Schau-Spiele oder Comödien“, die als erste Grundlage für die Gleichstellung der Schauspielerei gilt. Dennoch wagte sich längere Zeit keine andere Truppe in die Stadt, um sich nicht mit der Kirche anzulegen. Der erste Erfolg kam dann 1755 mit der Ackermannschen Gesellschaft. Ausgerechnet mit einem Trauerspiel („Alziere“ von Voltaire) wurde sie in Magdeburg gefeiert. Sie war „…die erste Truppe, von der wir wissen, daß sie in Magdeburg mit dem lebhaftesten Beifall aufgenommen wurde“, schreibt Dr. Rolf Kabel in seiner historischen Abhandlung zu „160 Jahren Theatergeschichte“ 1956.  Die Magdeburger schienen Gefallen am Schauspiel gefunden zu haben und so wird als „bedeutendes Ereignis“ ein Jahr später über die Aufführung von Lessings „Miß Sara Samson“ berichtet. Es gingen allerdings noch Jahre ins Land, bis die Theatergesellschaft von Carl Theophil Döbbelin in die Stadt kam und mit seinen Vorstellungen von „Richard III.“ im Rathaussaal das Publikum begeisterte. Von jenem Döbbelin ist überliefert, dass er sich gern auf Streitigkeiten einließ, wenn es um seine Kunst ging. So auch in Magdeburg. Denn hier war der kirchliche Widerwille geblieben. Am 28. Juli 1771 hielt der Pastor Christoph Wilhelm Lüdeke vor der Katharinengemeinde in Magdeburg eine Predigt „wider Ergötzungen aller Art“ unter dem Titel „Nöthige Vorsichtigkeit-Regeln bey Ergötzungen“ und ließ diese sogar drucken. Ganz Magdeburg nahm an einer Auseinandersetzung teil, schreibt Kabel, anonyme Schriften erschienen, bis die Anhängerschaft des Schauspiels schließlich die Oberhand gewann. Döbbelin führte sogar das erste Abonnement ein.

Theaterspiel bedeutete zu jener Zeit Wanderschaft. Von Gastspiel zu Gastspiel zogen die Schauspieler durch die Landen. Spielorte waren vor allem Gaststätten oder andere öffentliche Räume. Gespielt wurde, solange das Publikum erschien – dann ging es weiter in die nächste Stadt. Einen festen Spielplatz gab es nicht und wohl auch nicht das Vertrauen in ein dauerhaftes Publikum. Auch vergaben die Städte jeweils eine nur zeitbegrenzte Spielerlaubnis.

Nachdem in Hamburg ein festes Theaterspielhaus eröffnet wurde, keimte in Magdeburg ein gleicher Wunsch. Den ersten Versuch, eine eigene Schaubühne einzurichten, gab es 1775. Kosten von 10.000 Talern wurden für Bau und Gagen berechnet. 800 Personen sollten im Zuschauerraum Platz finden, und durch die Besucher, insbesondere einem entstehenden Stamm von Abonnenten refinanziert werden. Der Initiator, ein gewisser Thießen, begründete sein Vorhaben mit der zunehmenden Bedeutung der Stadt, die nach dem Dreißigjährigen Krieg großen Aufschwung bekommen habe und durch den Elbhafen zum wichtigsten Umschlagplatz Mitteldeutschlands geworden ist. Er hatte seine Rechnung jedoch ohne die Kaufleute gemacht. Die behielten ihr Geld lieber für sich als es für die Kunst zu investieren. Laut Überlieferung hat der Magistrat damals es nicht einmal für nötig befunden, sich mit Thießens Plan zu beschäftigen, geschweige denn zu befürworten. 

Den zweiten Versuch startete ausgerechnet einer der Handwerksmeister. Der Schneidermeister Jacob Meyer beantragte im März 1776 eine Schauspielkonzession. Er wollte seiner Vaterstadt ein Theater geben. Die allerdings schien auf solche Geschenke nicht scharf zu sein: Das Gesuch wurde vom Magis-trat ohne Angabe im April 1776 abgelehnt. Anschließend war das Thema lange Zeit ad acta gelegt.

Erst in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts gab es erneut Pläne zur Errichtung einer eigenen Schaubühne, registriert in Verbindung mit dem bereits in Magdeburger Kreisen bekannten Namen Döbbelin. Schauspieldirektor Carl Döbbelin jr. beantragte „das Haus des Musikus Hesse am Abschluß der Heiligen Geist Straße zum Behelf eines zu erbauenden Schauspielhauses“ erwerben zu wollen. Auch daraus ist nichts geworden.

Erst durch eine Kaufleute-Brüderschaft kam es 1794 zum Beschluss, in Magdeburg ein eigenes Schauspielhaus zu errichten. As er schließlich im Kaufmann Christian Gottfried Keller einen gleichsam kunstbegeisterten Partner fand, erwarben beide den Gasthof „Zu den Dreien Engeln“ gegenüber der Ratswaage, um dort eine feste Schauspielstätte zu eröffnen.  Sie gründeten eine Aktiengesellschaft und versprachen Zinsen und somit Verdienst an der Kunst. Die notwendige Summe von 10.000 Talern kam innerhalb eines Monats zusammen und mit dem Bau des Hauses wurde noch im selben Jahr begonnen. Übrigens wurden die geplanten Kosten um das Doppelte überschritten. Aber Magdeburg hatte ein Schauspielhaus, das zu einem der ersten und wohl auch zu einem der deutlichsten Beispiele des frühen klassizistischen Theaterbaus gezählt werden darf. Es wurde an den oben genannten Carl Döbbelin verpachtet. Der eröffnete es am 5. April 1795 mit dem Lustspiel „Eheprokurator“.

Doch halt – dann sind es doch mehr als 222 Jahre? Mitnichten. Denn der Jubel hielt nicht lange. Nach nicht einmal einem Jahr wurde das Theater wieder geschlossen. Döbbelin erhielt Zutrittsverbot, sein Kontrakt wurde aufgehoben, das Haus geräumt und am 9. Februar 1796 geschlossen.

Als erstes bleibendes Theater wurde am 19. September 1796 das Magdeburger Nationaltheater mit Ifflands Schauspiel „Das Vermächtnis“ eröffnet. Die Künstlerische Leitung erhielt Friedrich Ludwig Schmidt. Er traute sich bald, eigene Bearbeitungen auf die Bühne zu bringen, wie von Shakespeares „Hamlet“ und Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Das Publikum feierte die Aufführungen. Überaus nachhaltigen Erfolg hatte Schmidt mit seinem selbst verfassten Stück „Der Sturm von Magdeburg“, aufgeführt am 10. Mai 1799 zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt im Jahr 1631. Bis ins Jahr 1876 wurde es wieder und wieder aufgeführt. Auch dies hat also eine große Tradition.

Unter Leitung von Friedrich Ludwig Schmidt etablierte sich das Theater in der Stadt. Das Nationaltheater gewann nicht nur einen festen Status, es erreichte überregionale Bedeutung. Der Weg ins Theaterleben der Stadt war erfolgreich geebnet. B. Ahlert

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