Heute schon gehasst?
Hass ist eine uralte menschliche Empfindung. Philosophen zählen ihn zu thymotischen Energien, solche der „Lebenskraft“. Heute ist Hass vor allem politische Munition.
Von meiner Kindheit und Jugendzeit her kann ich mich kaum an den Gebrauch des Wortes „Hass“ erinnern. Wut haben, richtig große Wut auf irgendetwas oder irgendwen, zum Beispiel auf den Mathelehrer, das kannte ich. Aber hassen? Hass ist etwas viel Stärkeres als Wut, auch wenn diese noch so groß sein mag. Wut und Zorn verrauchen, Hass hingegen ist zäh, Hass klebt. Mitunter ein Leben lang. Und so etwas verlangt Reife.
Heute ist mir klar, dass auch damals gehasst wurde, allenfalls unter den Älteren. Zum Beispiel bei Kränkung der Liebe oder der Eitelkeit, oder wenn es um den geschiedenen Ehepartner ging oder um den fiesen Nachbarn. Damals in der DDR wurde Hass sogar verlangt. Den Faschismus galt es zu hassen, vollkommen zu recht, gleichermaßen aber auch den Klassenfeind und das imperialistische Westdeutschland. Überhaupt die „Bee-Err-Dee“. Selbst dann, wenn man dort Verwandte hatte, die regelmäßig Päckchen schickten. Oder, falls sie mal zu Besuch kamen, eine West-Zeitung daließen, Schokolade oder wunderbar duftende Seife, vielleicht sogar ein paar echte Jeans. Der Einzige, der seinerzeit dem Hass-Auftrag überzeugend nachzukommen schien, war der Fernseh-Chefkommentator Karl-Eduard von Schnitzler. Der kam aus dem Westen und seine Familienangehörigen, so wurde bekannt, kauften regelmäßig in West-Berlin ein. Auch „West-Weiber“ sagte man „Sudel-Ede“ nach.
Und heute? Selbst ohne sich auf (gefällige) Umfragen berufen zu können, scheint klar, Hass hat in der Politik einen regelrechten Karrieresprung hinbekommen. Die Liebes-Utopien der 68er sind zwar ausgeträumt, sie werden aber in mannigfaltig veränderter Form immer wieder neu aufgelegt. Zugleich wird versucht, Hass auf solche zu lenken, die nicht mitzuträumen bereit sind. Von Fremdenhass ist die Rede, von Hass auf Andersdenkende und Hasskultur. Hass triumphiert als Hass-Parole und Hass-Mail, als Hass-Predigt und Hass-Kommentar.
Hass macht auch in der extremsten Form seiner Abreaktion Karriere, als körperliche Gewalt. Kein Fernsehabend ohne Mord. Auch in der Realität sind Mord und Totschlag etwas völlig Alltägliches geworden. Mord an anderen, an ihnen allein oder erweitert um sich selbst. Fast immer geschehen die Attentate unter einem politischen oder religiösen Motiv. Am häufigsten in der muslimischen Welt. Mal in Asien, mal in Afrika oder Amerika, mal in Frankreich oder in Belgien, und seit Längerem nun auch bei uns in Deutschland. Sprengsätze oder Kraftfahrzeuge sind die Mittel, auch Gift, am beliebtesten aber ist der Griff zum Messer.
Maschinelles Hassen
Mittlerweile gibt es sogar Computerprogramme, die Hassbotschaften formulieren. Man sollte es kaum für möglich halten, „Meinungsmaschinen“ wie Tay, sogenannte Social Bots, greifen mit Hasskommentaren in die Leserdebatten der sozialen Netzwerke ein! Teuflisch genial möchte man meinen, aber etwas Entscheidendes fehlt diesen Programmen: das emotionale Unterfutter. Dieses ist nur uns selbst zu eigen.
Jeder, der schon einmal gehasst hat, aus tiefster Seele gehasst, weiß für den Rest seines Lebens, was Hass ist. Wie sich Hass anfühlt. Zum Beispiel, wenn man im Ureigensten durch etwas verletzt worden ist und sich dabei hilflos ausgeliefert fühlt, dann kommt auf, was sich nicht einfach mit Gefühlen der alltäglichen Art abtun lässt. Nicht mit Ärgerlichkeit, mit Zorn oder Wut. Nein, Hass wird es dann sein. Und wer hasst, wünscht dem Verursacher aus tiefster Seele heraus eine drastische Strafe, vielleicht sogar den Tod.
Wie jedes andere Gefühl ist das des Hasses nur von innen her zugänglich, nur über das Erleben. Das gilt für Sinnesgefühle, wie dem für Kalt oder Laut, für Schmerz oder einen Juckreiz, genauso wie für seelische Gefühle, für Emotionen: Freude, Zuneigung, Zorn, Scham, Stolz, Begeisterung. Und eben auch für Hass. Man spricht von „Qualia“ und meint damit die subjektive Erlebnisform eines Geisteszustandes (lat. qualis, „wie beschaffen“). Wesentlich für das Zustandekommen derartiger innerer Zustände ist das Limbische System unseres Gehirns. Es besteht aus Schaltungen von Nervenzellen, die ringförmig um den Hirnstamm herum angeordnet sind – tief in unserer Biologie verankert.
Die Auslösung solcher inneren Erlebniszustände ist situativ bedingt, die Art, wie wir sie erleben, aber angeboren. Wenn auch erst nach der Geburt zusammen mit dem Gehirn ausreifend. Nach uraltem genetischen Diktat geschieht das. Und so, wie wir Hass heute empfinden, musste ihn auch der Steinzeitmensch empfunden haben.
Die Autoren der Bücher Mose hatten einen solchen Gemütszustand nachvollziehbar beschrieben: „Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick“, heißt es dort. Und weiter: „Lass uns aufs Feld gehen!, sagte Kain zu seinem Bruder. Dort erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot“. Damals wie heute gilt: Der Hassende empfindet sein Begehren als gerecht, der Außenstehende wendet sich mit Grausen.
Eskalation und De-Eskalation
Ein probates Mittel, Hass zu erzeugen, ist die Hetze. Anwendung findet sie dann, wenn der Zielperson oder der Zielgruppe hassenswerte Eigenschaften fehlen, sie aber aus welch niederen Gründen auch immer zum Hassobjekt gemacht werden sollen. Üblich ist das Andichten von schändlichen Eigenschaften, von Fiesheit, von gemeingefährlichen Aktivitäten oder Missetaten. Großer Beliebtheit erfreut sich heutzutage die Unterstellung, Nazi oder Rassist zu sein (im Regelfall ohne weitere Begründung). Oder die von Fremdenhass. Dem Grunde nach hieße Fremdenhass, jedweden Menschen zu hassen, bloß weil er fremd ist, unterschiedslos also solche aus dem Nachbardorf, aus Polen oder Argentinien, oder eben Hass auf alle Engländer, Inder oder Syrer, Massai, Indonesier oder Inuit ... Gibt es das überhaupt?
Nein, der Anwurf „Fremdenhass“ ist politischer Art. Er zielt auf Bürger, die mit der Willkommenshaltung gegenüber unkontrolliert einströmenden Menschenmassen nicht einverstanden sind. Leute werden als Fremdenfeinde deklassiert, denen um die nationale Integrität bange ist, die galoppierende Kosten befürchten und Konkurrenz am Arbeits- und Wohnungsmarkt, die im politischen Islam eine arge Bedrohung sehen und in den weit klaffenden Türen eine Einladung zur grenzüberschreitenden Kriminalität.
Wenn bei Bürgern das Gefühl der Ohnmacht hinzukommt, wenn „von oben“ versucht wird, die Lage zu vertuschen, zu verdrehen, zu beschwichtigen und zu beschönigen, lässt das nahezu zwangsläufig Widerstand erwarten. Verstärkt noch wird er bis hin zum Hass durch Verhöhnung. Zum Beispiel, wenn sich die politisch erfahreneren vormaligen DDR-Deutschen als „Jammer-Ossis“, „Dumpfbacken“ oder als „Dunkeldeutsche“ abgetan fühlen, oder wenn Kabaretts nicht die Mächtigen aufs Korn nehmen, sondern ausgerechnet deren Opposition. Oder wenn man zu Talkrunden vier oder fünf Personen einlädt und seitens der Opposition (falls überhaupt jemanden) jeweils nur eine einzelne Person, um diese dann dem vereinten Bombardement der übrigen und den sorgsam ausgewählten Claqueuren auszuliefern.
In der gegenwärtigen Situation liegt die Gefahr einer Eskalation des politisch provozierten Hasses auf der Hand. De-Eskalation ist vonnöten. Denn selbst bei politisch Naiven werden regierungsseitig verabreichte Beruhigungstropfen nicht grenzenlos wirken. Ratsamer ist, auf solche Länder zu schauen, die in Hinblick auf De-Eskalation weiter sind als wir. Als geradezu gefährlich hingegen erscheint der Vorschlag der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Margot Käßmann. Sie empfiehlt, den Terroristen mit Liebe und Gebeten zu begegnen. In der Psychiatrie nennt man so etwas „illusionäre Verkennung“.
De-Eskalation – wie und wozu?
Wie, fragt man sich, sollte denn die De-Eskalation funktionieren? Abschaffen kann man den Hass ohnehin nicht. Das Hassgefühl gehört zum emotionalen Inventar eines jeden Menschen. Es wird generiert, wenn dazu ein entsprechender Grund vorliegt, zumindest ein vermeintlich echter. Dann auch ist der Hass echt und dieser ist nicht einfach per Resolution abschaffbar.
Ganz anders, wenn Hass als Instrument genutzt wird, so wie es die Politiker uns vormachen, obzwar sie an den Hassgrund selbst nicht glauben können. Warum dann darauf nicht einfach verzichten? Ein allseitiger Beschluss und weg damit! – Auch ein solcher Appell käme einer illusionären Verkennung gleich. Denn per Hetze an die Hassbereitschaft der Bevölkerung zu appellieren, erspart Sachargumente und das ist von besonderem Vorteil, wenn man keine hat. Entweder weil es keine gibt oder weil zu deren Formulierung Sachverstand vonnöten ist. Allerdings eben setzt Sachverstand Sachkenntnisse voraus, sie erfordern Bildung und diese wiederum bedeutet Arbeit. Außerdem besteht bei solcherart von Sorgfalt immer die Gefahr, der anderen Seite am Ende recht geben zu müssen. Davor ist gefeit, wer ohne Sachverstand, einfach nur durch Diffamierung, Hass erzeugen will. Auch im Privaten funktioniert das.
Arglose durch Hetze zum Hass verführen zu wollen, gehört zum Ekelhaftesten, was Menschen zu tun in der Lage sind. Motto: Immer schön mit Dreck werfen, etwas bleibt schon hängen. Das wusste man bereits in der Antike: Audacter calumniare, semper aliquid haeret! Gerald Wolf
Prof. Dr. Gerald Wolf: Studium Biologie und Medizin in Leipzig 1962-69, Promotion 1970, Habilitation 1979, 1979 Hochschuldozent an MAM, 1981 ord. Prof., 1992 C4-Prof., 2008 emeritiert. Seit 1985 Dir. Inst. f. Biologie, seit 1992 Dir. Inst. f. Med. Neurobiol., Med. Fak. OvGU. Etwa 190 Originalpublikationen, Autor und Mitautor zahlreicher Bücher und Buchbeiträge.