Hengstmanns andere Seite: Kein Elefant, kein Tiger und kein Co!

Ich wohnte damals als Kind bis zur postpubertären Phase in Stadtfeld. In der Immermannstraße. Ein paar Straßen weiter, Richtung heutiger Tunnelbaustelle befand sich die Schopenhauerstraße. Als junger Jungmensch interessierte es mich wenig, wer dieser Arthur Schopenhauer eigentlich war und warum gerade nach ihm eine Straße in Magdeburg benannt wurde.

Nun ist es allgemein bekannt. Mit dem Heranwachsen vergrößert sich nicht nur der Körper, sondern hoffentlich auch das Wissen. So erfuhr ich, dass Arthur Schopenhauer ein in kausalen Zusammenhängen denkender Mensch aber vor allem ein Mann war. Ergo: Ein Philosoph! Einer der bekanntesten Materialisierung seiner Ideen war wohl der Satz Schopenhauers: „Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere!“ Eine sehr martialische Abrechnung mit der Spezies Mensch.

Und plötzlich begann die Erinnerung mich zu peinigen. Warum hatte ich als kleiner Mensch, von dem einen oder anderen Floh mal abgesehen, nie ein Haustier? Lapidare Antwort: Weil ich es nicht durfte.

Wir wohnten damals mit fünf Personen, also drei Brüder und zwei Eltern, in einer, sagen wir mal, räumlich recht klein konzipierten Dreiraumwohnung. Inklusive Küche und einem WC aber halbe Treppe tiefer. Dieses „Halbetreppetieferklo“ wurde aber auch von weiteren fünf notdurftbedürftigen Menschen, also unseren direkten Nachbarn zur Verrichtung der Notdurft genutzt. So gab es eben nicht nur Warteschlangen vor der Konsumverkaufsstelle, sondern auch vor unserem „Halbetreppentieferklo“!

Diese räumliche Enge und die permanente Überlastung dieser einschüssligen Keramikabteilung war das Hauptargument der sonst doch so geliebten Elternschar. Kein Haustier!

Ich weiß es noch wie heute. Eines schönen kalten Wintertages stand ich vor unserer Wohnungstür. Mit einem kleinen, vor Kälte zitternden Kätzchen in meinen wärmenden Händen. Ich klingelte. Mein Vater öffnete die Tür und erblickte diese kleine wandelnde „Mausefalle“. Die sonst schon sehr ausgeprägten Augäpfel meines maskulinen Erziehungsberechtigen vergrößerten sich gefühlt zu Melonen. Ich konnte die Frage gar nicht stellen, ob ich das Kätzchen behalten darf. Noch ehe ich meinen Mund zur Fragestellung öffnen konnte, befahl mir mein Vater mit sehr erhobener Stimme: „Bring das Katzenvieh dahin, wo du es hergeholt hast!“ Dann knallte die Wohnungstür. Also zu. Und ich stand immer noch davor. Mit dem kleinen Kätzchen in den Händen. Das Kätzchen begann leise zu miauen. Dieses Miauen klang irgendwie wie ein Weihnachtslied: „Lasst mich ein ihr Kinder. Ist so kalt der Winter!“ Es zeriss mir mein kleines, Katzen liebendes Kinderherz. Hätte es damals einen Nobelpreis für Katzen liebende Kinder gegeben, ich hätte ihn erhalten. Mein Kätzchen auf verschneiten, eisglatten Straßen wieder aussetzen? Niemals!

Ich schlich mich auf den Trockenboden und legte es in einen Wäschekorb. Ich nahm dann trockene frisch gewaschene Wäsche von der Leine und deckte es zu. Als ich wieder in der Wohnung war, stahl ich nach dem Abendbrot etwas Wurst aus dem Kühlschrank und versteckte sie in meiner Hosentasche. Mit der Notlüge: „Ich muss noch mal auf’s Klo!“ verließ ich die elterliche Wohnung und schlich mich auf den Trockenboden, um meinem Kätzchen ein wenig Nahrung zu kommen zu lassen. Ich schaffte es auch irgendwie, ein Schälchen Milch auf den Boden zu schmuggeln. Doch diese konspirative Katzenfürsorge nahm nach drei Tagen ein jähes Ende. Meine liebe Mutti erwischte mich. Drei Tage Stubenarrest und Fernsehverbot. Wo meine Mutter die Katze hingebracht hat, hat sie mir nie erzählt.

Jetzt kommt sicher die Frage auf: Warum keinen Hund als Haustier. Antwort: Ich habe panische Angst vor Hunden. Noch einmal zurück in die Kinderzeit. Hinter den Goehte-Anlagen Richtung „Guths Muths“ Sportplatz gab es viele Schrebergärten. In einem dieser Gärten kläffte mich, immer wenn ich dort vorbeiging, so eine „Fußhupe“ an. Irgendwann begann ich, diesen kleinen Hund zurückzuärgern. Ich war ja größer. Doch kam die hündische Rache des kleinen Köters. Sein bellender Kumpan, ein Deutscher Schäferhund sprang über den mich sonst schützenden Gartenzaun und versenkte sein scharfen Zähne in meinem kleinen rechten Oberschenkel.

Dieser Biss war für mich die Initialzündung. Ich möchte auch heute, da ich etwas reifer bin, kein Haustier. Weder Hund noch Katze. Auch kein Aquarium. Warum? Fische schwimmen nur und können nicht bellen oder miauen. Ich möchte auch keinen Vogel. Denn: Den habe ich selber.

Fazit: Was Tiere anbetrifft, bin ich meinen Nachbarn heute sehr dankbar. Die haben fast alle einen Hund, der Bösewichter verbellt und notfalls auch mal beißt. Viele haben eine Katze, die sich um eine latente Mäuseplage kulinarisch voll ins Zeug legen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Tierfreunden bedanken und um Verständnis bitten, weil ich aus frühkindlichem Angstsyndrom keiner sein kann. Ich möchte zum Schluss Arthur Schopenhauer ein wenig widersprechen: „Seit ich die Tiere kennen gelernt habe, mag ich auch die Menschen!“ Vor allem die tierlieben Nachbarn. Herzlichst Ihr Frank Hengstmann

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