Hengstmann: Oh, oh, Pardon! Ich war der Graf von Sudenburg
Eigentlich bin ich bekennender Stadtfelder. Stadtfeld ist so etwas wie die heimliche Hauptstadt Magdeburgs. Gefühlt. Geboren in der Landesfrauenklinik eroberte ich als Baby sofort nach der Geburt die Immermannstraße. Dieser Straßenname „Immermann“ implizierte mir als Kind, dass ich immer Mann sein werde. Eben ein Hengstmann.
Dass der Name „Hengstmann“ eine semantische Tautologie beschreibt, begriff ich erst viel später. Das Karl-Leberecht Immermann ein Dichter war, erfuhr ich im Literaturunterricht. Und heute? Nun, ich bin immer noch immer Mann, aber bescheiden formulierend auch ein Dichter. Ja! Als Kabarettist versuche ich die behelfsmäßig abzudichten, die irgendwie einen ideologischen „Riss in der Schüssel“ haben.
Doch nun die alles entscheidende Frage: Was verbindet einen bekennenden Stadtfelder mit Sudenburg? Da gibt es mehrere Ansatzpunkte. Die Älteren unter den Lesern dieser Kolumne werden sich erinnern. In der siebten Klasse einer Polytechnischen Oberschule der DDR stand plötzlich das Schulfach „UTP“ auf dem Stundenplan. „UTP“: Unterrichtstag in der Produktion“. Unser Tag in der Produktion fand immer in Sudenburg statt. Und zwar in der Fichtestraße, im BKM. Ich löse die nicht mehr präsente Abkürzung auf. BKM stand für: Brauerei- und Kellereimaschinenfabrik. Diese Fabrik stellte also Maschinen her, mit denen man Bier und Wein auf industrielle Weise produzieren konnte. Und genau so haben Bier und Wein bei „uns“ damals geschmeckt. Das lag aber, glaube ich, weniger an den Maschinen.
Nach dem Schulabschluss war dann erst einmal Pause mit Sudenburg. Mein neuer Lebensinhalt verlagerte sich nach Buckau. Lehre zum Zerspanungsfacharbeiter im SKET. Lehre mit „h“. Nicht mit Doppel-e. Wenn ich heute mal durch Buckau fahre und Sudenburg mit Buckau vor dem geistigen Auge vergleiche, möchte ich sofort wieder zum Dichter werden und knittelnd reimen: „Seh’ ich ein strahlend Sudenburg, ich mich in Buckau um die Buden sorg’!“. Kurz nach 1989 wurde Sudenburg plötzlich zum Lebensmittelpunkt. Nein, ich stellte keinen Ausreiseantrag von Stadtfeld nach Sudenburg. Dieser Mittelpunkt war mehr künstlerischer Natur.
Vor fast 20 Jahren war es. An der Halberstädter Straße, in der „Galerie Süd“, im Innenhof. Die „Galerie Süd“ war damals das künstlerische Refugium meines Kollegen Bernd Kurt Goetz. Inspiriert vom „ruinösen“ Ambiente zauberte Goetz zahlreiche Open-Air-Spektakel sehr publikumswirksam hierher. Eines der Glanzlichter auf diesem Hof war der „Bördefaust“. Goetz hatte Goethe leicht gekürzt, aber stark verbessert. Ich durfte das erste Mal in diesem Innenhof als Kabarettist im Programm: „Anschließend Tanz“ mitwirken. Ein Sommer-Open-Air-Kabarett beim dem nach dem Programm wirklich getanzt werden durfte. Am Klavier saß Christoph Deckbar. Gesang und Gitarre: Ich! Wir spielten auch einen Hit von Dorthe Kollo: „Oh! Oh! Pardon! Sind sie der Graf von Luxemburg?“ Ich aber sang: „Oh! Oh! Pardon! Sind sie der Graf von Sudenburg?“ So hatte ich für einige Zeit den Spitznamen in diesem Stadtteil weg.
Hier standen also Bernd Kurt Goetz, Frank Hengstmann und Klaus Schaefer zum ersten Mal zusammen auf einer Kleinkunstbühne mit dem Kabarettprogramm „American Weh of Leid!“ Nach der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA sollte man überlegen, dieses Programm zu „remaken“! Nun, fast 20 Jahre später, wiederholt sich der Vorgang. Menschlich und auch kleinkünstlerisch gereift, drängeln sich die Drei erneut auf eine Bühne. Doch dieses Mal: Raus aus Sudenburg! Rein ins Zentrum, ins Kabarett „… nach Hengstmanns“! Drei Alpha-Tiere, die jegliches Beta unter die Bühne kehren werden. Das Wolfsgesetz des „Kabartettimus“ wird bis zum Äußersten auf Gesetzesbruch abgeklopft. Nein! Sie werden sich auf der Bühne nicht lieb haben. Zwei der drei Alpha-Tiere werden eine Rolle spielen, die sie im wahren Leben verkörpern. Nämlich Rentner. Der Andere ist auch schon Kandidat dieses lebensherbstlichen Daseins. Rentner – das beschäftigt alle, vor allem die Politik. Rentner stellen in Deutschland bald die Mehrheit. Also: „Rente sich wer kann“! Wenn mich heute jemand fragen würde: Wo kann man in Magdeburg noch so richtig flanieren? Ich müsste wahrheitsgemäß antworten. Flanieren sie in Sudenburg. Die „Halber“ ist quasi die letzte Oase in Magdeburg, wo sich kleine Geschäfte, Cafes und sogar Buchläden dem Druck der riesigen Einkaufstempel entgegenstellen können. Frank Hengstmann