Es grünt so grün ... unter der Kettensäge

Vom leben in der Baumkrone, streunenden Katzen, Vogelgezwitscher und der hilflosen Suche der Vögel nach einem Nistplatz.
Frühlingserwachen. Freude auf frisches Grün, auf Blüten und Vogelgezwitscher. Eine Kettensäge kreischt durch die frühe Morgenstunde. Kein schönes Erwachen. Weder für uns noch für die Natur. Der große Baum in unserem Wohnkarree fällt dem Schredder zum Opfer. Einer der letzten. So schnell geht das. Dabei gab es hier inmitten der Stadt noch vor wenigen Jahren eine grüne Oase. Voller Begeisterung bezog ich eine Wohnung, deren Balkon mir den Blick ins Blattwerk großer Bäume ermöglichte. Leben in der Baumkrone. Mit den Vögeln vis-à-vis. Morgendliches Wecken durch Gezwitscher. Herrlich! Doch wenn es am schönsten ist ... kommen die Kettensägen! Ratzfatz waren eines morgens die beiden Bäume vor meinem Fenster verschwunden. Mein erster Impuls: Ich zieh wieder weg! Ohne Grün – ohne mich! Stopp! So schnell darf Grün nicht verschwinden in der Stadt. Da gibt es Gesetze. Die Baumschutzsatzung, Naturschutzgesetze. Also: anrufen, nachfragen. Liebes Amt, mein Freund der Baum ist weg - was nun? Er war so morsch, bekam ich zur Antwort. Und verzweigt mit dem daneben. Gefahr! Aha. „Es gibt selbstverständlich eine Ausgleichspflanzung.“ Wie schön! Nun gut, bis so ein neues Bäumchen bis zu meinem Balkon hinaufgewachsen ist, wird es ein paar Jährchen dauern. Doch ich hab Geduld. Wenn es sich lohnt! Also warte ich und warte ... und schaue und staune. Es entsteht etwas! Stein für Stein ... gestaltet sich ein Parkplatz. Grau. Nicht grün. Doch wirklich, irgendwann kommen Gärtner und pflanzen. Meine heiß ersehnten Bäumchen wirken sehr klein. Sind Bonsai winterhart? Sollen ja modern sein, die kleinen Dinger. Doch Nistplätze für Vögel bieten sie eher nicht. Und von meinem Fenster aus sind sie kaum zu erkennen.
Mit dem Blattgrün sind die Singvögel verschwunden. Sogar Spatzen gibt es nur noch ums Eck beim Kaffeehaus. Geblieben sind einzig Tauben. Weil sie von einigen Anwohnern dermaßen gefüttert werden, dass sie sich zudem stark vermehren können. Abgesehen davon, dass Gurren kein Zwitschern ist – die armen Tiere suchen verzweifelt nach Nistplätzen. Hausbesitzer und Vermieter ringsum haben jede erdenkliche Möglichkeit geschlossen, die ein Nisten möglich machte. Drähte, Netze, zentimetergroße Metallstifte zur Abwehr der fliegenden Gesellen sind überall angebracht. Privat sollen Flatterbänder die Tauben schrecken. Auch ich möchte sie nicht bei mir  haben. Weder den Krach noch den Dreck. Ein Nachbar erzählte, ein Taubenpärchen sei sogar in sein Schlafzimmer eingezogen, als er die Fenster zum Lüften weit geöffnet hatte ... Wie verzweifelt müssen die Tiere sein?
Immerhin: Die Hofbepflanzung ist gewachsen. Auf eine sagenhafte Höhe von 20 Zentimetern. Wow. Da werden sich die Vögel aber freuen. Und die Katzen. Falls wirklich mal ein Federpaar in der Ersatzpflanzung nisten sollte, haben die Samtpfoten leichtes Spiel. Vogelfutter nennt mein Schatz das. Und während wir darüber philosophieren, kreischt die nächste Kettensäge. Der nächste Baum fällt ... Wie auch im Herrenkrug, in Cracau oder im Bördegarten ... Noch nie ist in Magdeburg so viel Grün beseitigt worden wie jetzt (unberücksichtigt der Notfällung wegen des Asiatischen Laubholzbockkäfers). 1.388 Bäume wurden im vorigen Jahr gefällt, in diesem sollen es bereits mehr sein. Allein entlang der Tangente zieht sich eine dicke Schneise des Grauens. Der Weg für die neue Bahntrasse wird freigefräst. Was tut man nicht alles für die Natur! Schließlich werden neue ökologische Wege geschaffen.  
Auch auf unserem Hof ist das nächste Opfer gefunden. Vielleicht gibt es ja ein paar Sträucher als Ersatz. Oder einen Parkplatz. Der wird dann grün gestrichen. Kinder könnten Vögel drauf malen. Und unseren Enkeln erzählen wir irgendwann: Magdeburg gehörte mal zu den grünsten Städten des Landes. Vielleicht lachen sie darüber. Aber so wirklich lustig ist das eigentlich nicht. Birgit Ahlert

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