Eene Meene Muh – Lern’ was dazu

Seit Menschengedenken gibt es Weise. Solche Weisen artikulieren seither Weisheiten. Diese Weisheiten werden mehr oder minder vom Volk aufgesogen und dann zu sogenannten Volksweisheiten. Eine der bekanntesten Volksweisheiten manifestiert sich in jenem zwangsgereimten Vers: „Du kannst alt werden wie ‘ne Kuh! Du lernst immer noch dazu!“ Prinzipiell scheint dieser Ausspruch zu stimmen. Doch eine wortwörtliche Analyse lässt uns die alte Kuh schnell vom Eis holen. Kühe werden sehr selten älter als wir Menschen. Ursächlich für diesen biologischen Imperativ ist konsequentes Nichtwissen wie alt eine Kuh wirklich werden könnte. Die Kuh, egal ob nun östrogen- oder testosterondominiert, steht in der Nahrungskette des Menschen weit oben. Kühe geben uns Menschen fast alles, was in ihnen steckt oder unten herum baumelt. Selbst die kuhspezifische Fliegenklatsche, also der Schwanz, lässt sich zu einer köstlichen Ochsenschwanzsuppe „Oxtail Soup“ zubereiten.
Bevor es aber soweit ist, stehen sie. Die Kühe. Im Stall und auf der Weide und haben ihre Freude. Nach sommerlich saftigem Grünfraß oder nach winterlichem Silagegenuss legt der Melker, heutzutage sagt man wohl eher „Kuhbusenmasseur“, Hand an und entleert die prallen Euter. Der Kuh wird der Druck genommen und sie lernt: „Wenn der Melker kommt, fühle ich mich besser, ja einfach leerer“. Doch eines unschönen Tages kommt das große, hoffentlich klimatisierte Auto auf den Bauernhof und die letzte und einzige Autofahrt der Kuh beginnt.
Wem ist es noch nicht passiert? Man fährt auf der Autobahn und überholt einen Viehtransporter. Mitleidig sinniert man über das Schicksal der armen Tiere. Doch auf der nächsten Raststätte bestellt man sich hungrig ein saftiges Wiener Kalbsschnitzel. Das ist eben ein Teil unseres Lebens. Wir haben gelernt: Wir müssen essen. Dass wir essen müssen, bräuchten wir eigentlich gar nicht zu lernen. Ein knurrender Magen ist der beste und ein kostenloser Lehrmeister. Hätten wir nur mehr dieser kostenlosen Lehrmeister. Wissen wir doch: Bildung ist in diesem Land teuer. Aber Bildung ist stets eine Investition in die Zukunft. Was aber, wenn wenig Geld und ganz viel Zukunft da ist? In der Gegenwart heißt es bei den bildungspolitischen Verantwortlichen: „Spare in der Not, dann hast du noch mehr Zeit.“ Zeit zu überlegen, wie man den Lehrermangel in den Griff bekommen könnte.
Schon bei alten Lateinern hieß es: Divide et Impera! Teile und herrsche! So könnte man eine Lehrkraft in der Gymnasialstufe, die Geschichte und Sport unterrichtet, körperlich teilen. Der Oberkörper gibt Geschichte und der untere Teil des Lehrkörpers Sport. Im Sportunterricht braucht man sowieso keinen Kopf.
Oder man führt das gute alte Dorfschulprinzip wieder ein. Vier Altersstufen, vier Klassen in einem Raum und nur eine Lehrkraft. Die freien Klassenräume könnte der Schulleiter untervermieten. Und zwar an die Branche „boomender“ privater Nachhilfestundengeber. Fazit: Mit „Nach-Bildung“ kann man mehr Geld verdienen als mit Bildung.
Noch kostengünstiger wäre natürlich die Abschaffung der allgemeinen Schulpflicht. Wenn keiner mehr muss, will auch keiner mehr so richtig. Für die Schüler die trotzdem Bock haben, wird auf „Facebook“ gepostet, welche Schule gerade geöffnet ist. Überschüssige Schulgebäude könnte man in Altersresidenzen umwandeln. Schön wäre es, wenn Senioren den Lebensabend dort verbringen könnten, wo sie zur Schule gingen. Das wirkt therapeutisch gegen Altersdemenz. Man erinnert sich häufig an Kindheitsereignisse. Da kann ein zweiter Schulbesuch sehr hilfreich sein.
Das sind doch nur Visionen werden Sie sagen, liebe Leser. Nein! Das ist blanke Realität. Als noch eine allgemeine Schulpflicht herrschte und ich Kind war, ging ich in die Maxim-Gorki-Schule in Stadtfeld zur Wissenserweiterung. Meine damalige Schule, ist heute wirklich eine Seniorenresidenz. Im Direktorenzimmer sitzt bestimmt die Heimleitung. Das Chemiekabinett, wo es furchtbar stank, ist sicher die Raucherlounge. Auf langen Schulfluren werden zur körperlichen Ertüchtigung Rollatoren-Rennen stattfinden. Der Schulhof, auf dem ich meine erste heimliche Zigarette gequarzt habe, könnte eine Weide für Kühe werden. Täglich euterfrische Milch, die ein Residenzler selbst aus dem Euter kitzeln müsste. Da lernt man im fortgeschrittem Alter noch das Melken. Wie schrieb ich zu Beginn: Du kannst alt werden wie ‘ne Kuh …! Frank Hengstmann

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