Die Zeitretter - Zwischen Tradition und Zeitdruck

Uhrmachermeisterin Sabine Mesch bei der Reparatur eines Uhrwerkes. Foto: Peter Gercke

Zeit? Physikalisch gesehen ist es das, was Uhren messen. Nicht gerade eine perfekte Aussage, dennoch entspricht diese Definition nicht nur unserem Alltagsverständnis, sondern auch Einsteins Relativitätstheorie. „Zeit ist relativ“ meinte der Physiker - Uhren, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durch den Raum bewegen, ticken unterschiedlich schnell. Für die Physiker ist die Zeit eine fundamental wichtige Größe. Für uns Normalos nicht. Denn wir haben ja nie welche. Zeit gliedert sich in gestern, heute und morgen, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dort hinein packen wir unser gesamtes Leben, es läuft in diesem Korsett ab, es beginnt irgendwann und endet irgendwann. In der eigenen Vorstellung ist einfach stets zu wenig Zeit vorhanden. Klingt so, als wäre die Zeit ungerecht verteilt. Dabei hat sich bisher an der Anzahl der Tagesstunden gar nichts geändert. Vom Beginn des Tages bis zu seinem Ende vergehen noch immer 24 Stunden und die Erde kreist weiterhin innerhalb einer Jahresfrist um die Sonne. Der Zeit kann das gar nichts anhaben. Sie ist nur etwas, was wir im Kopf herumtragen. Die Anzeige auf der Uhr ist nicht die Zeit, sondern ausschließlich die Messlatte, an der wir unser Leben messen. Wenn man in eine interessante Beschäftigung vertieft ist und irgendwann auf die Uhr schaut, kommt uns in den Sinn: Es ist schon wieder so spät und denken gleichzeitig, wie schnell doch die Zeit vergangen ist. Komisch – die Zeit war erst in dem Augenblick gegenwärtig, als man sie an der Uhr gemessen und an sie gedacht hat. Zeit ist eben nur eine Art Zauberei, die wir über das Leben legen. Den Takt dazu geben uns die Uhren vor. Die Einteilung in Stunden, Minuten und Sekunden hängt wie ein Damoklesschwert über unser Handeln. Ticken diese Uhren einmal anders, verschiebt sich unser Handeln. Der verpasste Zug, das geplatzte Date, die Erklärungsnot gegenüber dem Chef, wenn man einmal zu spät kommt – all diese Zeit dominiert unsere Geschicke.

Goldschmiedemeister Wolfgang Krietsch. Foto: Peter Gercke

Auf die Sekunde genau. Die Zeit läuft uns davon! Zeit ist Leben. Time ist Money. Die Zeit beherrscht unser Leben. Das waren noch Zeiten, als sich das Leben ausschließlich nach dem Lauf der Sonne richtetet. Kein Sekundentakt, kein Läutewerk, das ein Verstreichen der Zeit ankündigt. Doch damit war es vorbei, als sich findige Tüftler mit der Zeitmessung beschäftigten. Die alten Sumerer und Ägypter lasen die Zeit an Sonnenuhren ab. Welch Glück, wenn sie bei trübem Wetter oder bei Nacht versagten. Mechanische Uhren entstanden um 1300 in Europa und wurden das Standard-Zeitmessgerät. Während im Mittelalter Uhren hauptsächlich für religiöse Zwecke – die Glockenschläge riefen die Kirchgänger zum Gebet – benutzt wurden, setzte ab dem 15. Jahrhundert auch die Nutzung für die weltliche Zeitmessung ein. Und damit schlug die Stunde der Uhrmacherzunft. Denn irgendjemand muss sich ja um die Zeit kümmern. Oder?

Genius oder Wahnsinn? Uhrmacher sind Erfinder, Konstrukteure oder Erbauer von Uhren. Sie haben sich spezialisiert auf mechanische Uhrwerke und deren Zubehörteile. Für uns heute ist die Zeit unvorstellbar, in der Menschen nicht wussten, was die Uhr geschlagen hat. Als daher Carl Meyer 1835 in Magdeburg eine Werkstatt eröffnete und damit den Grundstein für die Erfolgsgeschichte eines „Uhrmachergeschlechts“ legte, war die Zeit herangerückt, die Uhrmacherkunst im großen Stil zu betreiben. Die allererste Uhr, die als Auftragswerk in der Meyerschen Werkstatt gefertigt wurde, zeigte die Arbeitszeit am Hauptgebäude der Sudenburger Maschinenfabrik an. Viele Turmuhren verließen im Laufe der Jahre die mechanischen Werkstätten in Sudenburg und teilten den Alltag der Menschen in Minuten und Stunden ein.

Ob auf der Katharinen-, der Paulus-, der Jacobi- , der Ambrosius- oder Johanniskirche – immer waren es Uhrwerke, die Carl Meyer entwarf und fertigte. Aber auch in anderen Städten arbeitete die Uhrenschmiede in luftiger Höhe und brachte Uhrwerke in Rathäusern und Kirchtürmen unter. Im Jahre 1873 übergab Carl sein Geschäft in Sudenburg an seinen Sohn Ernst Meyer. Der führte dieses erfolgreich in das neue Jahrhundert und zählt zu den Mitbegründern und zum ersten Vorstand der Handwerkskammer in Magdeburg, die sich im April 1900 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammenfand. „Was Du geerbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“, mahnt noch heute eine Inschrift am Meyerschen Haus in Sudenburg. Die Magdeburger Turmuhrenfabrik ging 1903 an die nächste Generation. Es war wieder ein Ernst Meyer, der das Geschäft durch zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise führte. Die Zeit steht niemals still, und auch Uhren wollen gewartet und repariert werden. Und so trat Richard Meyer in vierter Generation 1946 den Dienst an Minutentakt und Glockenschlag an. Dank harter Ausbildung in der väterlichen Werkstatt ist es ihm zu verdanken, dass viele Turmuhren in den Nachkriegsjahren wieder die Zeit anzeigten und ihre Glocken weit ins Land klangen. Er erweiterte auch das Geschäft und brachte neben Armbanduhren auch Schmuck in die Verkaufsvitrinen. Mit einem eigenen Glockenspiel und 54 Melodien grüßt seit 1991 das Geschäft in Sudenburg stündlich die Magdeburger. Da Richard Meyer und seine Frau Lilli keine Nachkommen hatten, übernahm Goldschmiedemeister Wolfgang Krietsch, zu dem schon Jahre vorher geschäftliche Kontakte bestanden, 1996 das Geschäft in Sudenburg. Gemeinsam mit seiner Frau Annette Krietsch baute er das traditionsreiche Geschäft auf der Halberstädter Straße um. Heute gehört Uhren-Meyer zu den bekanntesten Adressen Magdeburgs, wenn es um moderne Uhren und Schmuck geht.

Abbildung einer Turmuhr aus dem Hause Uhren-Meyer.

Neben der Fertigung von Schmuck hat sich das Fachgeschäft Uhren-Meyer neben dem Verkauf von Zeitmessern auch auf die Reparatur von selbigen spezialisiert. Aus der Tradition des Hauses heraus wird da manchmal das Unmögliche vollbracht. Ob Taschenuhren oder Standuhren mit komplizierten Komplikationen oder die Armbanduhr, die einfach nur Macken ha – bei Uhren-Meyer wird dem korrekten Gang der Sekunde, Minute oder Stunde wieder nachgeholfen. Auch antike Uhren, die 50 Jahre an der Wand hingen und plötzlich nicht mehr laufen, weil sie völlig eingestaubt sind und das Öl verharzt ist., brauchen ab und an eine Generalüberholung. Da hat also, wie man so schön sagt, der Zahn der Zeit dran genagt.

Kommt man in die Werkstatt, fällt einem sofort die Stille auf, die nur vom monotonen Klicken der Zahnräder in den Uhrwerken durchbrochen wird. Ein Geruch von Öl liegt in der Luft. Konzentriert mit der Lupe auf dem Auge sucht Uhrmachermeisterin Sabine Mesch den Fehler an einem mechanischen Werk, das einfach nicht mehr laufen will. Seit zwei Jahre legt sie sich die schwierigen Fälle auf die Werkbank und begibt sich auf die Suche nach der „fehlenden Zeit“. Oftmals stehen die Arbeitsstunden in keinem Verhältnis mit dem Wert der Uhr. Bei antiken Uhren ist es eher ein ideeller Wert, als ein materieller, der den Wert der Uhr bestimmt. Es sind Zeitmesser, bei denen es heißt, sie ist noch vom Vater oder Großvater. Wenn sie wieder den richtigen Gang haben, kommt es schon mal vor, das Erinnerungen bei den Besitzern feuchte Augen zaubern können. Und dies ist schon ein Grund für Sabine Mesch, ihre filigrane Arbeit täglich als „Zeitretterin“ zu absolvieren.

Sabine Mesch lernte erst Uhrmacher, dann absolvierte sie den Abschluss als Uhrmachermeisterin. Angefangen hat die Leidenschaft für tickende Uhrwerke schon in ihrer Kindheit. Ein Wecker, der nicht mehr lief, weckte ihre Neugierde und den Hang zur Filigranität. Nach ihrer Schulzeit nutzte sie ihr Talent und machte ihre Leidenschaft zur Profession. Ihr macht es Spass zu sehen, das nach dem Auseinandernehmen und Zusammensetzen eines Uhrwerkes am Ende alles wieder funktioniert. Gerade alten Regulatoren haben es ihr angetan und den Ehrgeiz geweckt, sie wieder zum „Laufen“ zu bringen. Es ist jeden Tag eine kleine „Zeitreise“, wenn sich die Meisterin mit den alten Mechaniken auseinandersetzen muss. Das Reinigen der Messingräder, das Kalibrieren der Schwungfedern, das Justieren der Komplikationen wie Läutewerke oder zusätzlicher Anzeigen auf den Zifferblättern - schnell vergisst dabei die die Meisterin die Zeit. Zu sehr vertieft sie sich in die Aufgabe, um Rädchen für Rädchen, Krone und Unruh wieder in den Takt der Zeit zu bringen. Und man braucht ab und an auch schon mal einen Hammer oder eine Zange, wenn es an die groben Sachen geht. Doch meistens sind es für die „Zeitretter“ die kleinen Dinge, die den Lauf der Zeit stoppen.

Die Menschen teilen die Zeit in Einheiten: Stunden, Minuten, Sekunden. Früher waren 24 Stunden ein Tag, eine Umdrehung der Erde um sich selbst. Heute ist Zeit viel genauer: Eine Sekunde entspricht 9.192.632.770 Perioden der Strahlung des Überganges zwischen den beiden Hyperfeinstruktur-Niveaus des Grundzustandes von Atomen des Elements Cäsium 133. Häh? Nicht verstanden? Auch nicht schlimm. Legen Sie einfach mal die Uhr zur Seite, lassen Sie die Zeit, wie sie ist. Der Takt des Zeigers wird sie sowieso wieder einholen … S. Langwisch/R. Floum

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