Die Küchen in Sachsen-Anhalt
Wie, Couscous – das ist nicht typisch sachsen-anhaltische Küche? Dann fragen Sie mal den Imam von Dessau, Amadi Indjai. Wenn Sie ihm die Frage stellen, ob Couscous in Dessau eine gern gekochte Beilage ist, wird er mit seinem deutschen Lieblingswort antworten: „Genau!“
Im Übrigen haben Sie richtig gelesen: Sachsen-Anhalts Küche gibt es nur im Plural, weil die Regionen Sachsen-Anhalts je eine gemeinsame Küche haben, nicht aber das Bindestrichland. Klar, wer keine Tradition hat, hat auch keine gemeinsame Küche. Andererseits ist die Ausschau nach spezifisch Sachsen-Anhaltischem in der Küche in etwa dasselbe, als wollte man in einem VW die typischen regionalen Einzelteile so heraussuchen, dass man am Ende sagen kann: Trotzdem Sachsen die Räder herstellt, Sachsen-Anhalt die Schrauben, Frankreich die Kupplung, ist das Fahrzeug insgesamt aus Niedersachsen, denn von dorther hat es seinen Namen. Will sagen, längst kochen wir schlesische, sudetendeutsche, nun aber auch syrische, afrikanische, jüdische, russische, albanische Gerichte auf sachsen-anhaltischem Boden. Diese Küchen sind inzwischen auch eingezogen. Insofern muss man zuerst festhalten: Wir haben in Sachsen-Anhalt eine bunte Küche, die genügend Alternativen anbietet für die mehrheitlich viel zu fetten heimatlichen Gerichte. Das ist doch tröstlich.
Aber nun der versprochene Überblick, sofern man ihm noch standhält: Wenn Sie können und nicht nur an der Altmärker Hochzeitssuppe interessiert sind, dann fahren Sie zum Arendsee. Dort, bei Fischer Kagel, kriegen sie frisch geräucherte Maräne, einen forellenartigen Fisch, der als Lebensbedingung die Tiefe des Arendsees braucht, oder eben die des Bodensees, wo derselbe Fisch „Fellchen“ heißt und die Fischer hier wie da auf reichlich Verzehr angewiesen sind. Wobei Fischer Kagel dann schon mal über den neoliberalistischen Optimierungswahn herzieht: „Zuwachs. Zuwachs. Ich kann das nicht mehr hören.“ Man sollte sich um des Lebens willen einfach mal bescheiden können, meint er. Man kann auch frische Maränen zum Braten mit nach Hause nehmen. Vorzüglich! Der Altmärker Tiegelbraten von der Hohen Rippe des Rindes ist auch so ein Genuss. Und angeblich oder tatsächlich ist der Verzehr des gebratenen oder gebrühten Schweineohrs auf die Begegnung von Kaiser Karl IV. mit dem Tangermünder Kagelwit zurückzuführen. Der sparsame Kaiser ließ anlässlich seiner Ankunft in Tangermünde vorausschi-cken, dass er einen kräftigen Eintopf wünsche, allerdings ohne, dass ein Tier aus seinen Ställen geschlachtet werden solle. Nun fand er doch Fleischteile im Eintopf und alsbald stellte er seinen Verwalter zornig zur Rede. Der führte ihn in die Schweineställe, wo alles Getier noch am Leben war, freilich etlichen die Ohren oder Schwänze fehlten.
Was wäre die Küche der Magdeburger Börde ohne das Bötel mit Lehm und Stroh? Also ein gepflegtes gepökeltes und gesottenes Eisbein mit Sauerkraut (Stroh) und Erbspüree (Lehm). Nicht zu vergessen ist die Preußische Beamtenstibbe, geschmortes, mit Pfeffer und Salz abgeschmecktes Hackfleisch, dazu Pellkartoffeln mit Gewürzgurken. Nicht zu verachten ist auch die Bollentitsche, die ihre Heimat vor allem in der Calbenser Zwiebelgegend hat, aber auch überall da, wo es einen erheblichen Zwiebelanbau gibt, auf den Tisch kommt. Sie merken: Hier in Sachsen-Anhalt gibt es herausgehobenermaßen eher eine Küche der „kleinen Leute“, statt einer Haute oder Nouvelle Cuisine. Letztere findet man durchaus in einigen Restaurants wie dem Zerbster „Vogelherd“ oder den Ilsenburger „Roten Forellen“, also da, wo man die saisonale und regionale Küche auf hohem Niveau pflegt.
Apropos Harz: Wieder eine „Arme-Leute-Küche“. Natürlich gehört die Harzer Bachforelle zu den Harzer Köstlichkeiten. Früher sah man die Forellen in den Bächen springen und griff sie sich. Zur Harzer Bachforelle gab es dann die von den Kindern in den Bächen gesammelten Flusskrebse. Aus den Ställen der Harzer Kleinbauern stammt das Harzer Rote Höhenvieh, eine der ältesten Nutztierrassen der Menschheit, über lange Zeit vom Aussterben bedroht. Das Rind von mittlerer Größe, herabhängender Wamme, einfarbig rotbraunem Fell und hellen Hörnern mit schwarzer Spitze ist ein Dreileistungsrind, also für Milch- und Fleischproduktion sowie für Zugleistung gezüchtet, steht heute wieder für die Besonderheiten der Harz-Region und somit auf den Speisekarten der besseren Restaurants inzwischen nicht nur im Harz! Mit Hackus und Knieste sowie Harzer Käse und Kakao haben wir zwei weitere typische einfache Harz-Gerichte. Die Knieste sind halbierte, mit Öl bestrichene, mit Salz und Kümmel gewürzte halbe Kartoffeln, die auf dem Backblech im Herd durchgebacken werden. Dazu gibt es mit dem Hackus roh oder als Frikdelle gereichtes, mit Zwiebeln und Eigelb gemischtes, mit Pfeffer und Salz gewürztes Gehacktes, mit Gurken gereicht.
Grundlage für das Harzer-Käse-Brot ist eine Mischung aus gleichen Mengen Gänseschmalz mit Schweineschmalz, die im Topf schmelzen lassen, mit gewürfelten Zwiebeln und Äpfeln mischen und vorsichtig in das siedende Schmalz geben. Dazu eine Knoblauchknolle ganz, deren äußere Haut entfernt wurde. Die Knoblauchzehen kann man danach ins Schmalz drücken, sie sind von butterweicher Konsis-tenz. Ein frisches Vollkornbrot wird nun mit dem Schmalz bestrichen, darüber etwas scharfer Senf und darauf die Scheiben vom Harzer Käse, dazu eine gute Tasse heißen Kakaos. Damit verabschieden wir uns aus der Harzer Küche und schauen mal, was auf der Rudelsburg gekocht wird, also im Süden, im Burgenland Sachsen-Anhalts, der hochmittelalterlichen Herrschaftslandschaft um Naumburg: Positiv fällt hier auf, dass es eine Seniorenspeisekarte gibt. Das freilich allein ist noch nicht thüringisch. Denn die Küche im südlichen Sachsen-Anhalt ist eine von der thüringischen Küche geprägte. Das muss nicht verwundern, zählte die Gegend doch früher zu den thüringischen Stammlanden – Sachsen-Anhalts schönste Burg, die Neuenburg bei Freiburg an der Unstrut war die größte und neueste Burg der Thüringer Landgrafen. Hier empfingen sie u.a. Friedrich Barbarossa, hier unterhielten auch Walther von der Vogelweide oder Wolfgang von Eschenbach die Gäste der Landgrafen, wohnte Elisabeth von Thüringen. Wir waren bei der Speisekarte der Rudelsburg, auf deren Innenhof eine Tafel zur Erinnerung an Franz Kugler angebracht ist, der dort seinerzeit gern weilte und von dem das zum Volkslied gewordene Lied „An der Saale hellem Strande“ stammte. Der „Thüringer Sauerbraten vom Rind“ mit Apfelrotkohl und Thüringer Klößen, das „Original Thüringer Rostbrätel“, ein gebratenes Schweinenackensteak mit Röstzwiebeln und Kartoffelsalat sowie der „Rudelsburger Schwarzbierbraten“ mit Sauerkohl und Thüringer Klößen – das alles kann man dort im Restaurant, oder sommers im Burghof mit dem herrlichen Blick über die Saale-Landschaft, genießen. Bleibt Anhalt. Der Spargel gehört natürlich auch in die Altmark, aber wir nennen ihn hier, stellvertretend für die vielen kleinen Spargelbauern, die in der Spargelzeit ihre Ware auf den Wochenmärkten oder an den Hauptverkehrsstraßen anbieten. Eine Köstlichkeit, selbstverständlich. Anhalt hatte natürlich eine Fürstenküche, aber vor allem blieb auch hier die Arme-Leute-Küche, beispielsweise mit dem Köthener Oster-Filsen aus altbackenen Brötchen, Milch, Eiern, Butter, Sonnenblumenöl, reichlich Schinkenspeck mit Fettrand. Mehl, Champignons und Thymian. Das Ganze in die Pfanne und im Backofen gebacken.
Die Köthener Schusterpfanne vom Kasslerkamm gehört dazu. Zu den Anhalter Küchenweisheiten gehört diese: „Wo die Frau wirtschaftet, wächst der Speck am Balken.“ Der Elbfischer in Horstdorf schätzt die Plötze sehr, ein Fisch, der anderswo eher wenig auftritt. Mit Zitronensaft beträufelt, eine Viertelstunde einziehen lassen, kommt der Fisch dann in die Pfanne. Gebrutzelt ist er ein Hochgenuss, schwört Fischer Klaus Pinkert, trotz der reichlich Gräten. In Coswig wiederum schwört man auf Elbhecht im Speckmantel. Hoffen wir, dass die Dauerwärme das Wasser doch noch unter 28 Grad halten kann, dass der Elbfischer noch Fische fangen kann und sie noch nicht mit dem Bauch nach oben herausfischen muss, weil der Sauerstoffgehalt durch die Wärme des Wassers den Fischen nicht mehr ausreicht.
Bratwurst mit Milchreis ist natürlich der Hit unter den Anhalter Rezepten: eine hausschlachtene Bratwurst, in Scheiben in Butter gebraten und über dem Milchreis mit Zucker und Zimt angerichtet – kräftig im Geschmack, mit einer gewissen würzig-scharfen Botschaft auf einer süßen Grundlage.
Was ich sagen will: Wir haben eine Küche, nein, mehrere, die sich nicht verstecken müssen. Sie sind kräftig, würzig, wohlschmeckend und meist mit einem ungewöhnlichen Chick besetzt. Ich kann da nur Mut machen, eigenen Gästen nicht den zwölften mediterranen Salat anbieten zu wollen, sondern mal auf die einheimische Küche zurückzugreifen. Eingebettet in eine Restaurant-Landschaft mediterraner Küchen von Italien bis Syrien, arabische und türkische, bulgarische und mongolische (in Halberstadt), chinesische und japanische Küchen lernt man schnell, wie kulturelle Vielfalt einem geradezu auf der Zunge zergehen kann. Ludwig Schumann
Ludwig Schumann & Wolfgang Thurau
Genießen wie Gott in Anhalt – Anhaltische Küche
ost-nordost-Verlag Magdeburg
264 Seiten plus CD (Amadeuskomplott)
22,80 EUR, ISBN 978-3-938247-06-8
Ludwig Schumann
Reisen durch die Küchen Sachsen-Anhalts
BuchVerlag für die Frau, Leipzig
208 Seiten
14,90 EUR, ISBN 3-89798-152-1