Der sanktionierte Baumfrevel

„ ….daß uns die Zeit wieder zu tagen beginnt, welche den Musen und Grazien vertraut.” (Peter Joseph Lenné)

Die Stadt Magdeburg war seit ihrer völligen Zerstörung 1631 im Dreißigjährigen Krieg ihrer wirtschaftlich geprägten Eigenständigkeit weitgehend beraubt. Zudem war die Elbestadt stets Objekt äußerer machtpolitischer Interessen. Dies gipfelte 1666 im Klosterbergischen Vertrag mit der Angliederung an Kurbrandenburg, was die wirtschaftliche und kommunale Selbstständigkeit auf ein Minimum reduzierte. Auch die Stellung als regionales Verwaltungszentrum ab 1714 und im Ausbau zur stärksten preußischen Festung bis 1740 spiegelte das wider. Parallel dazu baute man die Stadt unter Beibehaltung des mittelalterlichen Straßennetzes mit barocker Prägung wieder auf. Der Festungsgürtel erlaubte lediglich eine bauliche Verdichtung nach innen mit der Folge zunehmender Enge in der Altstadt sowie dem Anwachsen der Vorstädte Sudenburg und Neustadt.

Mit der napoleonischen Besetzung der Stadt im Jahre 1806 und der Eingliederung in das westfälische Königreich führte man einerseits die bürgerlichen Freiheiten des Code Napoleon ein, andererseits belastete man die Bewohner mit den finanziellen und materiellen Ressourcen der Fremdherrschaft enorm. Die bedrückenden Zustände erreichten ihren Höhepunkt, als Napoleon auf seinem Rückzug die Verteidigungsanlagen weiter ausbauen ließ. Für ein freies Kanonen-Schussfeld erfolgte der vollständige Abriss der Sudenburg, des nahegelegenen Klosters Berge sowie Teilen der Neustadt. Mit massiven Abholzungen wurde der Rothenseer Busch, ein Auenwald nördlich Magdeburgs, und das Herrenkrug-Gebiet in Mitleidenschaft gezogen. Ursprünglich war das Gebiet der nordöstlichen Elbaue durch den mäanderartigen Verlauf der Elbe und dichten Waldbestand geprägt. Massive Rodungen führten zum typischen Wiesenauencharakter, wie er noch heute im nördlichen Wiesenpark zu sehen ist. Als städtisches Besitztum nutzten die Ratsherren die Wiesen zur Heugewinnung, zur Beweidung und zum Holzeinschlag. Ende des 18. Jahrhunderts zählte man im Herrenkrug drei Feuerstellen, 12,5 Hektar Ackerland, 360 Morgen Wiesen sowie 300 Morgen Eichen- und Rüsternholzung. Landschaftsgestaltende Maßnahmen begannen um 1780 mit der Pflanzung von Alleen und eines Akazienhaines. Reste einer Lindenallee aus dieser Zeit sind bis heute mit einigen eindrucksvollen Bäumen beiderseits des Hauptweges im nördlichen Parkteil erhalten.

Südlich eines hier befindlichen Wirtshauses waren die strahlenförmig angelegten Alleen bis auf die Hauptachse mit kanadischen Pappeln bepflanzt. Vor dem deutsch-französischen Krieg erlebte der Herrenkrug während der Pachtzeit des Oberamtmannes Steinkopf aus Klein-Ottersleben von 1791-1803 eine Blütezeit. Die Chronik berichtete von einer „Meierei großen Stils“ und einem Bestand von 865 Obstbäumen. Großen Schaden erlitt der Herrenkrug von 1807 bis 1814 durch einen auf Verordnung des Stadtregiments vorgenommenen Holzeinschlag. Zwar spülte dieser sanktionierte Baumfrevel mehr als 17.000 Reichstaler in die Kämmereikasse, sorgte aber dafür, dass 1812 bereits die schönsten Bäume abgeholzt waren. Davon verschont blieben lediglich der Akazienhain und die Lindenallee.

Zu Weihnachten 1812 kam die Nachricht über den Rückzug der Franzosen. Am 2. Februar 1813 wurde der Belagerungszustand in der Stadt erklärt und der Abbruch der Festung allmählich vollendet. Die Franzosen benahmen sich wenig rücksichtsvoll und so wurde auch der Park an der nördlichen Werderspitze von Johann Gottlob Nathusius (1760-1835) verwüstet. Am 23. April 1814 trat der ersehnte Waffenstillstand ein und am 18. Mai zogen die Belagerer ab. Nach den Berichten der Chronisten jener Zeit wies die nähere Umgebung der Stadt keine bemerkenswerten Baumbestände auf. Ganze 80 Morgen blieben von einst 1.500 Morgen Rothenseer Busch nach den Abholzungen über.

In einem Bericht für den Magistrat schrieb der Stadtbaumeister Harte 1814: „Magdeburg, schon früher arm dran, ich will nicht einmal sagen reizenden, sondern nur solchen Umgebungen und Vergnügungsgärten, wo man doch wenigstens im Schatten der Bäume sitzen könnte, hat auch diese durch die traurigen Ereignisse 1806, hauptsächlich aber während der Blockade 1813/1814 verloren. Die Anlagen in den öffentlichen Gärten zum Bu-ckauer- und Ulrichstor, in der Neustadt und in der Sudenburg sind zerstört. Der Rothenseer Busch, diese letzte Zuflucht der Magdeburger, diese einzige Sommerpartie, ist gleichfalls abgehauen und hat den abgezogenen Franzosen eine warme Stube gemacht. So ist denn Magdeburg öde und fast nirgends ein Baum zu sehen oder zu finden.“

Dieser desolate Zustand präsentierte sich 1817 zu Beginn der Amtszeit des Oberbürgermeisters August Wilhelm Francke (1785-1851). In seiner langen Wirkungszeit bis 1848 bemühte er sich besonders um die Schaffung von Grünanlagen. Seiner Initiative verdankt die Stadt ihr heutiges naturreiches Antlitz. Francke ließ den alten Teil des Herrenkrugparkes weiter ausgestalten. 1820 wandte er sich an die Regierung um die Erlaubnis, durch eine Geldsammlung unter der Bürgerschaft – Magdeburg hatte zu dieser Zeit etwa 30.000 Einwohner – der Festungsbehörde zu Hilfe kommen zu dürfen, damit diese die Ausgestaltung des Festungs-Glacis zu Promenaden realisieren konnte. Am 29. Juli 1824 schreibt schließlich der Magdeburger Regierungsdirektor Sack an Lenné: „…So viele schöne Anlagen danken Ihnen ihren Zustand und Tausende stimmen in diesen Dank beym Betreten derselben ein. Auch die hiesige Stadt wünscht sich unter diese zu zählen. Es ist endlich verlangt, dass statt der noch in der Stadt befindlichen Kirchhöfe einer vor der Stadt angelegt wird. Platz, alles ist dazu bestimmt. Aber wie die Anlage Deutung des Zwecks erhalten soll, dazu fehlt der Schöpfer.“

Nachdem Lenné am 6. August geantwortet hatte und sich zur Mitarbeit bereit erklärte, schrieb am 23. August Francke selbst an Lenné und schlug vor, er möge nach Magdeburg kommen, um sich vor Ort ein Bild vom Zustand der Anlagen und des Geländes zu machen. Francke wollte den Herbst zur Aufräumung der Ruinen benutzen und dann im nächsten Frühjahr „mit aller Macht“ an die Ausführung des Planes gehen, den er so gern „der hohen Sachkenntnis“ Lennés verdanken mochte. Anfang September 1824 besuchte Lenné erstmalig Magdeburg und was daraus entstand, legte den Grundstein für eine grüne Stadt, deren Parks bis heute erhalten sind. Volker A. W. Wittich

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