Der ganz normale Krach zur Stillen Nacht

Es gibt kein Entfliehen, man entkommt ihr nicht so ohne Weiteres – egal, ob in der Shopping Mall, im Baumarkt, im Restaurant oder Café, beim Friseur, im Wartezimmer des Arztes oder auf einer öffentlichen Toilette –, der Dauerbeschallung mit Musik.

Beispiel Café oder Restaurant: Wenn dem Gast ein Bild oder Accessoire nicht gefällt, kann er den Blick abwenden oder an der anderen Seite des Tisches Platz nehmen – weghören kann er nicht! Hier hilft es jedoch oft, etwas Mut zu fassen und das Personal um einen leiseren Hintergrund zu bitten. Natürlich macht auch in diesem Fall der Ton die Musik. Diesem Wunsch, freundlich, aber bestimmt vorgetragen, kommen die meisten Betreiber gern nach. Und die anderen Gäste vermissen gar nichts.

Ihren Höhepunkt erreicht die Beschallung allüberall jedes Jahr in der (Vor)weihnachtszeit. „Stille Nacht“ wird konterkariert, zum ohnehin schon vorhandenen Geschenkekaufstress kommt noch an jeder Ecke anders tönende (oder dröhnende?) Musikberieselung hinzu. Draußen ist der singende, klingende Weihnachtsmarkt – drinnen vernimmt man von Shop zu Shop wechselnde Musik von Techno bis „Jingle Bells“ in Dauerschleife. Allerdings hat man als Kunde bzw. Gast immerhin die Chance, den Ort des unerwünschten Getöns nach einer gewissen Zeit wieder zu verlassen. Manch einer entwickelt eine besondere Strategie und wird zum Schnelleinkäufer, der Zettel wird in Windeseile abgearbeitet und dann geht’s sofort wieder nach Hause. Im Gegensatz dazu muss das Verkaufs- und Servicepersonal ausharren, es ertragen. Arbeitsplatzvorschriften sehen hier vor, dass der Lärm in den Shops 70 Dezibel (dB) nicht überschreiten darf, bei reiner Musik sollte bereits bei 64 dB Schluss sein.

Was schon für viele „normale“ Bürger eine Zumutung ist, der Einfluss von Lärm hat gesundheitliche Folgen von der Erhöhung des Blutdrucks und der Herzfrequenz bis zum negativen Stress, wird für die hochsensibel auf Geräusche Reagierenden – das sind immerhin 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung – zur echten Nervenprobe. Ihnen helfen scheinbar gut gemeinte Ratschläge wie „Hab dich nicht so“ oder „Da kannst du doch einfach drüber weghören“ leider nichts. Darüber hinweghören, das würden sie so gerne – aber sie können es nicht, weil ihnen der dazu nötige Filter im Kopf fehlt. Es ist also kein böser Wille, wenn sie geräuschempfindlich sind und sich unwohl fühlen.

Seit einigen Jahren kümmert sich der Verein „LautsprecherAUS!“, dem u. a. Prominente wie Dieter Hallervorden, Ranga Yogeshwar oder Justus Frantz angehören, um die Sorgen und Nöte von Lärmgeplagten. Er fordert die „Anerkennung des Rechts auf Ruhe im öffentlichen Raum“. Auf der Internetseite findet man neben vielen weiteren Informationen Restaurants in Deutschland und weltweit aufgelistet, die ihren Gästen ein ruhiges Einnehmen der Mahlzeiten ermöglichen.

Ein Blick über den Tellerrand zeigt Folgendes: In den Supermärkten der australischen Kette COLE ist seit dem Jahr 2017 jeden Dienstag zwischen 11.30 und 12.30 Uhr Stille angesagt – die „Quiet Hour“. Bereits ein Jahr zuvor führte in England die Supermarktkette Asda diese stille Einkaufsstunde ein. Kürzlich folgte die neuseeländische Firma Countdown diesem Vorbild – seit Ende Oktober wird mittwochs für eine Stunde die Musik abgestellt, dazu das Licht gedämpft, und es gibt außer in Notfällen in diesem Zeitraum auch keine Durchsagen. Die Discounter Aldi und Lidl zeigen beispielsweise, dass man gänzlich ohne akustische Berieselung verkaufen und Kunden binden kann.

Und wenn Sie wieder einmal völlig entnervt zu Hause ankommen, wagen Sie doch einfach den Selbstversuch: Nehmen Sie Radio, CD-Player oder Fernseher nur in Betrieb, wenn Sie wirklich zuhören wollen. Haben Sie später weder Zeit noch Lust dazu, drücken Sie entspannt auf die Aus-Taste … Birgit Fritzsche

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