Der elektrifizierte Mensch

„Saubere Energie“ für alles ist eine schöne Vision. Wer nicht alles glaubt, was prophezeit wird, bringt den Planeten um. So wird vielfach gedroht. Indes steigt der Hunger nach Strom gerade wegen moderner Technologien und zwar weltweit.

Der Sintflut-Mythos steht für die Strafe Gottes. „Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen. … Das Ende allen Fleisches ist bei mir beschlossen; denn die Erde ist durch sie mit Frevel erfüllt, und siehe, ich will sie samt der Erde vertilgen“, heißt es im 1. Buch Mose 6:7.13. Heute gibt es neue Propheten einer Flut-Apokalypse. Nur verkünden sie die bevorstehende Strafe diesmal nicht als Gottesurteil. Als höhere Gewalt schlägt die Natur gegen den Frevel der Menschheit zurück, weil diese den Planeten Erde in lebensbedrohlicher Weise verändert. Das Wort Klimawandel ist der moderne Sintflut-Mythos. Das Klima wandelt sich. Daran gibt es keinen Zweifel. Welchen Schuldanteil der Mensch daran hat, ist schwer auszumachen. Wie viel wir wirklich verhindern können, bleibt Spekulation oder eben Glaubenssache. Klima, Energie und Population – diese drei Begriffe lassen sich heute nicht mehr trennen. Und man sollte vor allem nicht in die Vorstellung verfallen, dass energiepolitische Kritiker oder Skeptiker für die Wirkung von Klimapolitik etwas gegen Ressourcen-, Umweltschutz oder die Bewahrung natürlicher Bedingungen hätten. Kritik hat etwas mit der Sicht über Glaubensgrundsätze zu tun und wenig mit einer Sehnsucht nach Weltuntergang.

Reden wir also über Strom, der alles bestimmenden Energieform der Zukunft. Schließlich hängt an dessen Erzeugung mittels fossiler Brennstoffe immer noch ein gewaltiger Ausstoß an Kohlenstoffdioxid, dem Gas, das die Hauptlast an den klimatischen Veränderungen in unserer Atmosphäre haben soll. Laut Bundesverband WindEnergie gibt es in Deutschland derzeit 29.844 Windkraftanlagen mit einer Leistung von 56.154 Mega-Watt. 18,8 Prozent beträgt der Anteil an der deutschen Stromproduktion. Solarstrom-Anlagen erzeugten 2017 knapp 40 Mrd. kWh Solarstrom und deckten damit rechnerisch den Jahresstrombedarf von rund 11,4 Mio. Haushalten. Es ist also bereits einiges auf dem Gebiet geschehen. Doch vielen geht die Energiewende zu langsam. Vor allem bekommt man den Eindruck, als würde ein symbolischer Knopfdruck reichen und schon wäre die gesamte Stromwirtschaft auf klimaneutrale und sogenannte erneuerbare Energie umgestellt.

Die Politik folge vorrangig der Kohlelobby und den Konzernen der Energiewirtschaft und würde deshalb Verhinderer einer notwendigen schnellen Wende sein. Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Diskussion sind die Speichermöglichkeiten für den Strom aus umweltschonender Erzeugung. Jeder weiß, dass die Spannung im gesamten deutschen Stromnetz permanent mit der abgenommenen Last im Gleichgewicht gehalten werden muss. Sonnen- und Windernergie können eben nur dann in Strom gewandelt werden, wenn sie auch vorhanden sind. Nächte und Windflauten oder gar beides zugleich wären ein Problem. Heute gleichen Kohle und Atomstrom solche Lücken aus. Das ist alles bekannt. Aber gehen wir davon aus, dass eine entsprechende Speicherkapazität installiert wäre und die Technik bereits einen Stand erreicht hätte, der den deutschen Stromverbrauch von 515 Mrd. kWh pro Jahr zu jeder Zeit gewährleistete, dann ist in der Debatte wenig über die Zukunft eines wachsenden Verbrauchs gesagt.
Neben dem Ansinnen, Strom möglichts ressourcenarm und klimaneutral zu erzeugen, steigt der Druck für eine weitere Wende, nämlich der hin zur Elektromobilität. Gerhard Breunig hat auf der Internetseite von EIKE e.V (Europäisches Institut für Klima & Energie) eine Modellrechnung vorgenommen: „Aktuell sind in der BRD etwa 57 Millionen Kraftfahrzeuge zugelassen. Ein handelsübliches Fahrzeug des Elektro-Nobel-Kutschenbauers TESLA erfordert nach Herstellerangaben eine Ladeleistung von 125 KW. Manche Modelle benötigen sogar 145 KW. Jetzt nehmen wir mal an, dass lediglich 25 Prozent dieser Fahrzeuge nachts von ihren Besitzern aufgeladen werden sollen/müssen. Es würde allein für diesen Ladevorgang eine Grundlast von 1.780 Gigawatt benötigt (Anmerkung der Redaktion: Dazu wären nur 1.271 Kernkraftwerke á 1,4 GW nötig. Ungefähr das dreifache des derzeitigen Weltbestandes). Umgerechnet auf Windräder mit 5 Megawatt Leistung bei Volllast würden für die benötigte Ladeleistung allein 356.000 Windräder benötigt – die wohlgemerkt unter Volllast laufen. Aber wo findet das schon regelmäßig bei uns in Deutschland statt? … was passieren würde, wenn alle Fahrzeuge gleichzeitig geladen würden. Die Ladezeit im Schnellladeverfahren von TESLA beträgt etwa 75 Minuten. Benötigt würden dann 7.120 Gigawatt an Ladeleistung oder 1.424.000 Windräder mit 5 Megawatt unter Volllast.“ Wenn heutige Vorstellungen über Mobilität und Stromerzeugung in Einklang gebracht werden sollen, liegt auf der Hand, dass wir uns vom Individualverkehr verabschieden müssten und damit vom Autoland Deutschland.

Die Tragik der Auseinandersetzung ist, dass jede Seite unterschiedliche Rechnungen mit anderen Annahmen aufstellt und glaubt, damit am Ende den entsprechenden Weg ausreichend begründet zu haben. Auf dieser Grundlage lässt sich aber nicht Politik machen, die mehr berücksichtigen muss als Erzeugungs- und Verbrauchsdaten. Systemische Wechsel betreffen eben nicht nur Technologien, sondern greifen unmittelbar in das Leben von Menschen ein. Folgte man allen Forderungen nach einer sofortigen oder möglichst schnellen Energiewende stünden nicht nur Arbeitsplätze in der Kohle- und der damit verbundenen Energiewirtschaft auf dem Spiel, sondern genauso in der Autoindustrie durch einen angemessenen Mobilitätswandel. Diese Arbeitsplätze sind aber auch Lebensgrundlagen für Millionen Familien im Land. Die Netzausbaukosten für eine Versorgung von Millionen E-Fahrzeugen spielen selten eine Rolle in der aufgeheizten Energieauseinandersetzung. Kein städtisches Netz ist derzeit in seiner Kapazität für einen schnellen Wandel ausgelegt. Und wer trägt die Kostsen? Neue Technologien sollen weder gebremst, noch verhindert werden. Vor allem sollten Forschung und Entwicklung weiter gehen, um reale Möglichkeiten besser berücksichtigen zu können.

Über den Energiehunger, der mit dem Begriff Digitalisierung einhergeht, wird ebenfalls selten gesprochen. 123 Milliarden Kilowattstunden verbrauchte das Internet 2005. 2017 sollen es bereits 208 Milliarden Kilowattstunden gewesen sein – das entspricht der Leistung von 23 Atomkraftwerken. Und das ist alles erst der Anfang. Rund um den Globus entstehen weitere Server-anlagen, die Unmengen an Strom benötigen. Der Bedarf resultiert aus der wachsenden Nutzung und höheren Nutzerzahlen. Eine Suchanfrage von Google verbraucht etwa 0,3 Watt-Stunden (Wh). Hochgerechnet bedeutet das bei 20 Anfragen bereits den Verbrauch einer Energiesparlampe in einer Stunde. Allein in Frankfurt am Main, wo sich die deutschen Rechenzentren konzentrieren, fließen etwa 20 Prozent der städtischen Energie in den Betrieb der Serverfarmen. Das ist bereits mehr als der Frankfurter Flughafen verbraucht.

Bei der Digitalisierung wird weiter Druck gemacht. Der neue 5G-Mobilfunkstandard, der in den kommenden Jahren Einzug halten soll, benötigt ein Vielfaches der bisherigen Spannungslast, weil die Funkfrenquenzen wesentlich energiereicher sind. Künftig soll über diese Kanäle autonomes Fahren möglich sein. Dafür müssen in Sekundenbruchteilen Datenmengen im Gigabereich gefunkt werden. Berechnungen über den Strombedarf am anderen Ende der Serveranlagen, wenn selbstfahrende Fahrzeuge in großer Anzahl unterwegs sein sollten, sind nicht zu finden. Da außerdem Automatisierung in der Indus-trie und wachsende Datenmengen für die Kommunikation zwischen Maschinen und Produktionsanlagen entstehen, wird der Hunger nach Strom auch in vielen anderen Bereichen größer werden.

Wenn Energieerzeugung und Klimawandel in einen Topf geworfen werden, muss der Blick weit über den deutschen Tellerrand gehen. In Afrika beträgt der Prokopf Verbrauch für Strom etwa ein Fünfzigstel gegenüber unserem Niveau. Da jedoch in der südlichen Erdhalbkugel die großen Wachstumspotenziale im Aufholen zu modernem Lebensstandard schlummern, wird genau dort der größte Energieverbrauch der Zukunft anfallen. China benötigt schon heute mehr als das Elffache der deutschen Stromleistung (5,920 Mrd. kWh). Zwar wird das Reich der Mitte oft genug für ihre Investitionen in neue Solarzellen, Windparks, Wasserkraftwerke oder Biomasseanlagen gelobt, doch finanzieren die Chinesen derzeit gleichfalls Kohlekraftwerke in Bangladesch, Vietnam, Südafrika, Pakistan und Indonesien mit einer Kapazität von 399 Gigawatt. Die rund 150 Kohlekraftwerke in Deutschland haben eine Leis-tung von 45 Gigawatt.

Der Mensch verstromt sich weltweit in einer Weise, die jede Vorstellungskraft für Energieverbrauch und Erzeugung sprengt. Die Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein, schon gar nicht durch Schülerdemonstrationen hierzulande. Dass fossile Energieträger auf der Erde begrenzt sind, weiß jedes Kind, aber welcher Strombedarf die Menschheit in Zukunft aus Bedürfnissen und Visionen erzeugen wird, erscheint mindestens so schwerwiegend wie der prognostizierte Klimawandel.

Im Zusammenhang mit energetischen Bereichen und unter dem Wort Digitalisierung wird häufig das Wort Revolution verwendet. Im historischen Sinne verknüpfen sich damit gewaltsame Umwälzungen. Und wenn schon apokalyptische Prophezeiungen ausgerufen werden, passen sie ebenso auf jeden orakelten riesigen Systemwandel. Wo ist eigentlich die Rationalität hin, mit der Menschen über unterschiedliche Positionen und Wege streiten können? Wenn sich etwas nicht so entwickelt, wie es mit mancher Überzeugung geglaubt wird, sieht man dahinter schnell eine Verschwörung. Irgendwelche Leute würden die Strippen ausschließlich in ihrem Sinne ziehen und damit zu Generalverhinderern einer guten Sache werden. So wie Strom nicht einfach gut ist, weil er aus einem Windrad kommt, kann das E-Mobil nicht das Paradies auf Erden erzeugen.

Welche positiven oder negativen Folgen sogar in absehbarer Zukunft von welchen neuen oder wachsenden Systemen ausgehen, kann niemand erschöpfend beantworten. Batterien würden schon bald die doppelte Speicherkapazität bereitstellen können, es wird an elektrochemischen Energiespeichern und anderen Möglichkeiten geforscht. Bei allen Auseinandersetzungen über angemessene politische Entscheidungen, erscheint es wichtig zu sein, dass allem voran mehr in wissenschaftliche und technische Entwicklung inves-tiert wird. Dabei sollte auch nicht vergessen werden, um wie viel anfälliger die Versorgungssicherheit mit Strom wird, wenn alle Netze – also Strom und Daten – immer dichter gespannt werden. Stromausfälle innerhalb großer Regionen sind heute wahrscheinlicher als noch vor wenigen Jahren. Am Strom hängt eben nicht nur das Windrad, sondern alles. Wasser, Heizung, jede Regeleinheit, Kommunikation, Logistik und damit auch die Lebensmittelversorgung. Das darf bei allen politischen Ambitionen für eine Energiewende nie leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Und viele Forderungen würden verstummen, wenn es keinen Strom fürs Internet gäbe. Thomas Wischnewski

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