Bildung historisch - Teil 2
Bildung für alle - zusammen
Schulen für Jungen und Mädchen gibt es schon seit Langem. Vor allem die Elementarschulen wurden von Mädchen und Jungen gemeinsam besucht – aus dem einfachen Grund, dass es hauptsächlich im ländlichen Raum nur einen Dorfschullehrer gab, der Kinder aller Altersstufen unterrichtete. Doch darüber hinaus wurden im Bereich der höheren Schulbildung die Geschlechter noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts getrennt. Während den Jungen das Gymnasium, die Oberrealschule und das Realgymnasium vorbehalten war, blieb den Mädchen lediglich das Lyzeum. Handarbeit, Hauswirtschaft und Religion standen hier im Mittelpunkt des Unterrichts. Naturwissenschaften oder Latein fanden nur am Rande statt, da diese Fächer als zu kompliziert für das weibliche Geschlecht galten. Anders als am Gymnasium konnten die Mädchen mit dem Abschluss des Lyzeums keine Hochschulreife erwerben. Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands gymnasiale Klassen für Mädchen zugelassen. Das erste Mädchengymnasium wurde 1893 in Karlsruhe gegründet – auf Initiative des Vereins Frauenbildungsreform unter der Leitung von Hedwig Kettler. 1908 verpflichtete sich der preußische Staat zudem, Frauen einen umfassenden universitären Zugang zu ermöglichen. Zur Zeit der Weimarer Republik gab es weitere Fortschritte im Bereich der Koedukation, doch im Nationalsozialismus wurden diese wieder zunichte gemacht. Die DDR führte bereits in der Gründungsphase die Koedukation ein – zumindest auf dem Papier. Umgesetzt wurde sie erst Mitte der 1950er Jahre. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik waren West-Berlin, Hamburg, Bremen und Hessen die ersten Bundesländer, die den gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen in allen Schulen ermöglichten.
Recht auf Gewaltfreiheit
Schläge mit dem Lineal auf die Finger oder mit dem Rohrstock auf das Gesäß – die Züchtigung von Kindern gehörte früher zur Erziehung dazu. Ob aufgrund von Träumereien im Unterricht, Widerworten gegenüber den Erwachsenen oder dem Nichterledigen von Aufgaben. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts waren hierzulande Körperstrafen eine gängige Erziehungsmethode. 1949 wurden sie an den Schulen der DDR abgeschafft. Hessen und das Saarland gehörten zu den Ländern, die ebenfalls in den 1940er Jahren Prügelstrafen an Bildungseinrichtungen untersagten. Doch erst 1973 wurden in der BRD derlei Methoden an Schulen per Gesetz verboten. Nur Bayern widersetzte sich mit einem Beschluss des Obersten Landesgerichts, der im Freistaat ein „gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht“ erlaubte. 1980 wurde schließlich auch hier die Prügelstrafe offiziell abgeschafft. Das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung – auch im Elternhaus – haben Kinder sogar erst seit knapp 19 Jahren. Im Juli 2000 verabschiedete der deutsche Bundestag eine Neufassung des Paragrafen 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“, heißt es im Absatz 2.
Menschen mit Behinderung
An eine schulische Ausbildung war für Menschen mit Behinderung bis ins 18. Jahrhundert hinein nicht zu denken. Einen ersten großen Schritt auf heutigem deutschen Gebiet machte der Weißenfelser Lehrer Samuel Heinicke. Er engagierte sich für die Bildung Gehörloser und gab im Hamburger Stadtteil Eppendorf Kindern Privatunterricht. 1778 zog es ihn nach Leipzig, wo Heinicke sein „Königlich-Sächsisches Institut für Stumme und andere mit Sprachgebrechen behaftete Personen“ in Leipzig eröffnete. Knapp zwei Jahrzehnte später verfügte König Friedrich Wilhelm III. per Kabinettsorder die Einrichtung der „Preußisch-Königlichen Blindenanstalt“. Gebaut wurde sie 1806 in Berlin und der Pädagoge Johann August Zeune erhielt den Auftrag, den Plan für die erste Schule für Sehbehinderte in Deutschland umzusetzen. Erste Hilfsklassen für lernschwache Kinder wurden in den 1830er Jahren eingerichtet und 1881 in Braunschweig und Leipzig die ersten beiden Hilfsschulen für Lernschwache gegründet.
Noten aus Klein Germersleben
Wenn es jetzt wieder zu den Schulferien Zensuren hagelte, denken die wenigsten an den Verursacher dieser Noten. Das noch heute angewendete Zensurensystem verdanken wir Schulreformer Gotthilf Sebastian Rötger (1749-1831). Dass dieser im Bördeort Klein Germersleben das Licht der Welt erblickte, wissen die Wenigsten. Als Sohn des Sebastian Peter Rötger, Pastor in Klein Germersleben, und der Margarethe Christine Rötger, Tochter des Rektors der Magdeburger Domschule, verbrachte er hier im Pfarrhaus des Ortes die ersten Jahre seines Lebens. Daran erinnert noch heute eine Gedenktafel. In den Räumen des Fachwerkhauses aus dem 17. Jahrhundert finden Besucher eine Dauerausstellung zum Wirken des Gelehrten. Ein extra eingerichtetes Kabinett vermittelt Wissenswertes über Gotthilf Sebastian Rötger sowie zur Geschichte des Ortes. Im Ort selbst wurde 2014 ein Gedenkstein zu Ehren Rötgers aufgestellt. Künftig soll der Platz, auf dem der Gedenkstein steht, den Namen Rötger-Platz bekommen. Die Ortseingangsschilder verkünden schon den Ruf Klein Germersleben als ehemaliges Fischerdorf und den Geburtsort des „Vater Rötger“.
Gotthilf Sebastian Rötger wirkte für lange Zeit seit seiner Wahl 1779 im Pädagogium des Klosters Unser Lieben Frauen in Magdeburg als Propst. Er reformierte in seiner Amtszeit das bisher bestehende Schulwesen. Rötger zweifelte nie an der Intelligenz von Kindern armer Leute und wollte auch diesen den Zugang zur Bildung ermöglichen. Er war zudem ein pädagogischer Praktiker mit außerordentlichen Fähigkeiten, der den Ruf der Klosterschule und seines Pädagogiums auch durch die schwierigen Zeiten der französischen Besetzung hindurch sicherte. Bemerkenswert sind auch die Umgestaltung des Unterrichts und der Erziehung mit der Einführung von Zensuren, der Einrichtung einer Maschinenkammer, einer Schülerbibliothek und eines Naturalienkabinetts. Auch gesellschaftlich engagierte sich Rötger – die Klosterbälle (seit 1780) und Kreuzhorstfeste (Exkursionen in das zum Kloster gehörige Landschaftsgebiet Kreuzhorst vor den Toren Magdeburgs) gehen auf ihn zurück. Der überaus beliebte und verehrte Pädagoge bekam schon zu Lebzeiten den Ehrennamen „Vater Rötger”. Zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum als Pädagoge verlieh ihm die Universität Halle den Titel eines theologischen Ehrendoktors. Für seine Verdienste erhielt er kurz vor seinem Tode die silberne Bürgerkrone der Stadt Magdeburg. In späterer Zeit benannte die Stadt Magdeburg ihm zu Ehren eine Straße als Rötgerstraße.
Übrigens: Die Notenvergabe im Nachbarland Frankreich erfolgt auf der Basis eines 20-Punkte-Systems. Laut Umrechnungstabelle entsprechen 20 Punkte der Note 1,0 beziehungsweise „sehr gut“. 0 Punkte sind mit der Note 6 beziehungsweise „ungenügend“ gleichzusetzen. In nahezu allen anderen Ländern Europas wird anders gerechnet: Die 5 oder 6 sind hier Bestnoten, die 1 gilt als mangelhaft.
Von der Schiefertafel zum Tablet
Das Lernen in der Schule hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant gewandelt. Wurde einst bei den Altvorderen mit Kreide auf Schiefertafeln geschrieben, ziehen heute interaktive Medien mit Internetanschluss in die Bildungsanstalten ein. Nicht nur in der Technik hat sich im Schulbetrieb einiges verändert. Die einstigen kleinen ländlichen Dorfschulen mit dem Zweiklassensystem sind längst Geschichte. Auch das Wissen, das heute vermittelt wird, ist kaum noch mit dem vor mehr als 100 Jahren zu vergleichen. Von Informatik wagten Anfang des 20. Jahrhunderts die Professoren nicht zu träumen, während heutige Schüler mit Fächern wie „Gartenarbeit“, „Werken“ und „Schönschrift“ nichts anzufangen wissen. Heute sind vollvernetzte Klassenzimmer mit direktem Draht ins weltweite Datennetz auf dem Vormarsch. Selbst die klassische Wandtafel macht interaktiven Whiteboards Platz. Doch hinkt die digitale Entwicklung in Deutschland den anderen europäischen Ländern hinterher. Denn wie sollen Kinder den Umgang mit digitalen Lehrmitteln lernen, wenn man sie im Unterricht nicht einsetzt? Noch ist man weit von der Schule 4.0 entfernt
Noten aktuell
Mehr als 196.000 Schülerinnen und Schüler der allgemeinbildenden Schulen in Sachsen-Anhalt – davon 177.000 an öffentlichen und 19.000 an freien Schulen – erhielten letzten Freitag ihre Halbjahreszeugnisse, bevor sie in einwöchige Winterferien gehen. Tina Heinz/Ronald Floum
Quellen: „Geschichte der Schule: Von der Antike bis zur Gegenwart“ (Franz-Michael Konrad), Unesco-Bericht zu Bildungspflicht und Bildungsstand, „Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens“ (Schmid, Palmer, von Hauber, Wildermuth, Schrader (Herausgeber)), „Die Entwicklung der Koedukation“ (Catherine Raynal), Onlineportal der Bundeszentrale für politische Bildung