Autohaus unter Strom
Die Angst vor neuer Technik ist so alt wie die Menschheit selber. Erst war die Dampfmaschine ein Teufelsding, das den malochenden Fabrikarbeitern die Arbeit wegnehmen sollte. Mit der Eisenbahn kam die nächste Schreckensmaschine: Die „immense” Beschleunigung der Züge auf 30 Stundenkilometer mache das Hirn kaputt. Mit den ersten Autos kam der nächste Schock. Die Angst vor den qualmenden und stinkenden Einzylinder-Vehikeln Ende des 19. Jahrhunderts beherrschte die Zeitungen. Doch das „sehr unruhige und ganz und gar unangenehme Beförderungsmittel” setzte sich durch. Jetzt erleben wir eine neue Hysterie – die E-Mobilität. Befürworter und Gegner schlagen sich täglich neue Argumente um die Ohren. Zwischen Schadstoff-Hysterie und Elektro-Hoffnung benimmt sich Deutschland wie ein Geisterfahrer, der im Radio den Verkehrsfunk hört „Achtung, auf der A2 bei Magdeburg kommt ihnen ein Fahrzeug entgegen“ und dabei empört ruft: „Einer? Hunderte!“. Da wird die Lithium-Diskussion hochgekocht, moderne Diesel als Weltenvernichter gebrandmarkt, die Autofahrer sowieso verteufelt. Auf dem Weg zum Gutmenschen-Nirwana ist bei einigen Zeitgenossen irgendwie das gesunde Mittelmaß abhandengekommen. Fakt ist: Die E-Mobilität kommt und hält Einzug in die Autohäuser.
Mit dem Bestellstart am 20. September 2019 des neuen Voll-Stromers Škoda Citigo e iV und dem Hybriden Škoda Superb iV läutet die böhmische Traditionsmarke ein neues Kapitel in den Annalen der Škoda-Historie ein. Mit der „Elektrifizierung” kommen aber neue Herausforderungen auf die Händler zu. Auch auf die Kunden. „Zurzeit läuten wir in unseren Autohäusern in Magdeburg und Burg die Pilotphase ein, in der die Struktur für die E-Mobilität ausgebaut wird. Mit der Auslieferung des ersten voll elektrischen Modells Škoda Citigo e iV am 1. Januar 2020 müssen wir sämtliche Umbauten im Service vollzogen haben”, erläutert NIGARI Verkaufsleiter Michael Nitschke die kommenden Monate. Dazu zählen Ladestationen und neue Serviceplätze in der Werkstatt.
Ein einschneidender Prozess. früher war es die Bedarfsanalyse, die ein Verkäufer dem Kunden abverlangte und ein Auto nach dessen Wünschen zusammenstellte. Heute muss beim Kauf eines E-Autos erst einmal geklärt werden, ob der künftige Stellplatz auch gleichbedeutend mit dem Ladeplatz ist. Dazu müssen zum Beispiel Partner des NIGARI-Autohauses vor Ort klären, ob die Häuser eine moderne Ladestation erlauben. Nicht alle Stromanschlüsse sind geeignet, den erforderlichen Ladestrom für eine Schnellladung zu liefern. Eine normale Haushaltssteckdose liefert rund 2,4 kW pro Stunde. Um den neuen Škoda Citigo e iV damit aufzuladen bedarf es 14 Stunden (ein Tesla mit einer Akkuleistung von 100 kWh braucht dafür 40 Stunden). Eine 11-kW-Wallbox kann sowohl einphasig, als auch zwei- und dreiphasig laden und reicht für eine Ladung über Nacht auch bei größeren Batterien aus. Um eine Wallbox zum Laden zu installieren, ist ein Kraftstrom- Anschluss vonnöten, den heute jeder Hausanschluss liefert. Dann dauert die Ladung eines Škoda Citigo e iV aber nur 3 Stunden. Allerdings ist die Installation einer solchen Wallbox mit Zusatzkosten beim Kauf und der Installation durch einen Fachbetrieb verbunden.
Das leidige Thema E-Zapfsäule ist in Magdeburg sicherlich ein Problem, weiß auch NIGARI Geschäftsführer Ingolf Nitschke. Das kann man derzeit an zwei Händen abzählen. „Als das Auto vor 125 Jahren fahren lernte, gab es in Deutschland kein Tankstellennetz. Da wurde das Benzin noch beim Apotheker bestellt. Die E-Ladesäulen kommen in den nächsten Jahren,” ist er sich sicher. Derzeit laufen die Planungen in den NIGARI-Autohäusern für die Installation von Schnelllade-Säulen für Kunden und im internen Gebrauch. An den Standorten Carnotstraße und Burg ist dies mit erheblichen Investitionen verbunden, da die vorhandenen Stromzuleitungen erweitert bzw. auf eine Last umgerüstet werden müssen.
Der Servicebereich muss sich in den kommenden Monaten der E-Mobilität anpassen. Derzeit befinden sich die Mitarbeiter in Schulungsmaßnahmen, die bei Direktschulungen mit Mehrkosten für die Autohäuser verbunden sind. Werkstattmitarbeiter müssen sich zusätzliche Qualifikationen für die Reparatur an E-Fahrzeugen aneignen und auch die Werkstätten benötigen zusätzliche Ausrüstung. Mechatroniker müssen perspektivisch die Fortbildung „Elektrotechnisch unterwiesene Person für Arbeiten an Kraftfahrzeugen mit Hochvolt-Systemen“ nachweisen. Erst mit weiteren Fortbildungen darf man sich dann an alle Teile des Wagens wagen. Auch werden neue Werkzeuge beim Service benötigt. Kosten pro Autohaus 46.800 Euro. An den drei Standorten entstehen zusätzliche Arbeitsplätze für den Service der E-Škodas. Serviceleiter Tobias Krüger instruiert derzeit seine Mitarbeiter. Neue Arbeitsschutzbekleidung, Absicherung der Fahrzeuge, großflächigere Absperrungen bei der Arbeit um E-Fahrzeuge, Brandschutz und vieles mehr müssen bei dem Pilotprojekt innerhalb kürzester Zeit umgesetzt werden.
Was für den Verbraucher gut ist, stellt sich für den KFZ-Mechatroniker und für die Werkstätten schlechter dar. Anders als bei den Plugin-Hybrid-PKW haben die Elektroautos weniger Bauteile und somit fallen geringere Wartungskosten an. Damit kann es bei der Durchsetzung der E-Mobilität passieren, dass durch den geringeren Wartungsaufwand an Elektroautos die Anzahl der Werkstätten sinkt. Eine Herausforderung an die Chefetage der NIGARI Gruppe, die sich schon jetzt mit neuen Aufgaben befasst und den Servicebereich in den kommenden Jahren neu strukturieren muss. „Eine Aufgabe für die künftige Generation” meint Ingolf Nitschke, der damit seinen Sohn Michael meint, der künftig die Geschicke der NIGARI Gruppe lenken wird. Für den Seniorchef ist der Aufbruch der Marke in die Elektromobilität mit „Spannung” versehen. Das rein batteriebetriebe Fahrzeug ist kein Endzustand. Im Land der Erfinder und Denker liegen seiner Meinung nach noch genügend Potenziale, die eine Mobilität auf vier Rädern auch ohne fossile Brennstoffe gewährleisten können. Dazu zählen auch die erfolgversprechenden Forschungen mit dem flüssigen organischen Wasserstoffträger LOHC, der als Superspeicher die Energiewende revolutionieren könnte. Ronald Floum