Antreiben? Ausbremsen?

Seinen Fahrradhelm schiebt Marcel Pardeike vorsichtig beiseite, bevor er einige Schriftstücke auf dem Tisch ausbreitet. Eigene Notizen, eine ausgedruckte E-Mail und mit der Hand geschriebene Briefe. Das Thema, das auf jedem Blatt Papier im Fokus steht: der Radverkehr in Magdeburg. Marcel Pardeikes Interesse an Mobilität und an der Verbesserung der Verkehrsbedingungen in der Landeshauptstadt sind nicht nur der Tatsache geschuldet, dass er Mitinhaber vom „Rad der Stadt Magdeburg“ ist. Sondern er möchte sich auch selbst problem- und gefahrenlos mit dem Fahrrad durch die Stadt bewegen können. „Und das gilt erst recht für meine Kinder. Wenn man sich als Elternteil, das seinen Nachwuchs nicht mit dem Auto vor der Kita oder vor der Schule absetzt, ständig Sorgen machen muss, ob die Kinder wohlbehalten hin und wieder nach Hause kommen, dann läuft etwas nicht richtig.“

So sehen das auch zwei Frauen aus Buckau – beide beruflich im medizinischen Bereich unterwegs –, die dem passionierten Radfahrer Begründungen liefern, weshalb sie derzeit das Auto ihren unmotorisierten Zweirädern vorziehen. „Die mangelnde Sicherheit im Straßenverkehr ist einer der Hauptgründe, der mir in Gesprächen immer wieder unterkommt“, erklärt Marcel Pardeike. Und so geben auch die beiden Buckauerinnen an, dass die aktuelle Verkehrslage das Radfahren gefährlicher mache. Sie nennen Baustellen als Beispiel für ihre Eindrücke – etwa in der Carl-Miller-Straße, wo der Radweg ohne Vorwarnung am Baustellenzaun endet und Ausweichmöglichkeiten laut Beschilderung lediglich Fußgängern eingeräumt werden. Eine ähnliche Situation herrscht in der Albert-Vater-Straße, Höhe Anne-Frank-Schule, wo man als Radfahrer gezwungen ist, den Radweg zu verlassen und auf die stark befahrene Straße auszuweichen – ohne die entsprechenden Hinweisschilder.

„Ein weiteres Problem, dass den Menschen ein ungutes Gefühl beim Radfahren gibt, ist der Zustand der Radwege“, kritisiert Marcel Pardeike. Die Stadt rühme sich häufig mit dem Elberadweg, aber fernab der ausgebauten Strecke entlang des Flusses zeichne sich ein ganz anderes Bild ab. Teilweise sind Radwege gar nicht vorhanden oder schlecht ausgebaut. Wo-hin soll man in solchen Fällen ausweichen? Auf die Straße, wo so mancher Autofahrer nicht weiß, dass beim Überholen ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten ist? „Das ist der springende Punkt“, meint der Radladen-Inhaber. „Wenn sich alle an die Straßenverkehrsordnung halten würden und an gegenseitige Rücksichtnahme, wären schon viele Probleme gelöst.“ Hinzu kommt das Thema Sauberkeit. Glasscherben und anderer Müll, der Reifen, Schläuche und mehr beschädigt, kann durchaus Hinderungsgrund sein, regelmäßig das Fahrrad zu nutzen.

„Aber Hinderungsgründe gibt es viele“, sagt Marcel Pardeike schmunzelnd. „Das Wetter ist der größte. Obwohl es beispielsweise Regenbekleidung für alle Eventualitäten gibt. Aber die meisten Menschen können sich eben nicht dazu überwinden, ihre Komfortzone zu verlassen. Und wenn die Rahmenbedingungen nicht passen, dann wird es schwer, die Themen Mobilität und Nachhaltigkeit unter einen Hut zu bringen und eine Verkehrswende zu vollführen.“ Vier Punkte sind es, die der gelernte Automechaniker in diesem Zusammenhang für essenziell hält. Entkriminalisierung, Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit. „Wer die Umwelt schonen möchte, muss dafür sorgen, dass die Straßen entlastet werden – und das geht nicht, indem man den Menschen plötzlich erzählt, wie großartig Elektroautos sind. Straßen entlastet man, indem man die Menschen dazu bewegt, für eine Strecke von zwei Kilometern auf das Auto zu verzichten.“ In einer Stadt wie Berlin gebe es dafür andere Möglichkeiten als in einer Stadt wie Magdeburg. Doch die Quintessenz sei dieselbe: weniger Autos, weniger Staus, weniger Frust. Und das alles zu Gunsten der Umwelt.

Und um die Menschen zum Verlassen ihrer Komfortzone zu bringen, sind die von Marcel Pardeike erwähnten vier Punkte von Bedeutung. „Entkriminalisierung – weil ich nicht ständig Angst haben möchte, dass mein Fahrrad gestohlen wird. Ordnung – um sicherzugehen, dass Baustellen nicht zur Gefahr werden und die Radwege in einem vernünftigen Zustand sind. Sicherheit – damit ich mich nicht sorgen muss, ob ich, meine Kinder oder andere wohlbehalten ans Ziel kommen. Und Sauberkeit – um nicht jeden zweiten Tag den Schlauch flicken oder wechseln zu müssen“, zählt er einige Beispiele auf.

Verkehrswende. Dafür braucht es nach Meinung des Zweirad-Spezialisten die Beteiligung aller und viel Aufklärung. „Eine Verbesserung der Situation kann nur herbeigeführt werden, wenn entsprechend ausgebildete Personen für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Und vernünftige Mobilität ist ohne vernünftiges Handwerk nicht möglich“, sagt Marcel Pardeike. „Wir brauchen Menschen, die Handwerker ausbilden und wir brauchen Ausbildungswillige, die zu Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet werden. Ohne das Handwerk funktioniert es nicht.“ Was nicht gebraucht wird, sind falsche Versprechen seitens Politik und Wirtschaft. „Plötzlich wird das Thema E-Mobilität hochgejubelt. Statt zu differenzieren, was man damit erreicht und was man damit kaputt macht, werden Verbote ausgesprochen und Subventionen in Aussicht gestellt. Es rechnet uns aber niemand vor, wie die CO2-Bilanz eines E-Bikes oder eines E-Autos von der Herstellung bis zur Entsorgung aussieht. Oder welche Lebensdauer ein E-Bike im Vergleich zu einem ‚normalen‘ Fahrrad hat. Und wo werden eigentlich die ausrangierten Akkus entsorgt?“

Aufklärung. Dringend notwendig. Und Marcel Pardeike arbeitet daran. Neben seinem Job im Fahrradladen. Im Rahmen eines Projektes, über das er noch nicht viel verraten möchte. Auch die bereits angesprochenen vier Punkte spielen eine Rolle. Damit das Thema Mobilität nicht auf die schiefe Bahn gerät. Oder ganz ausgebremst wird. Tina Heinz

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