Salongeflüster: Waschen, Schneiden, Lesen
Früher haben meine Kundinnen, aber auch die Kunden, gerne in Zeitschriften geblättert, von denen ich immer einen ganzen Haufen herumliegen hatte. Das ist vorbei. Heute muss ich einen kostenlosen W-Lan-Hotspot anbieten und das Passwort verraten. Dann sitzen sie über ihren Smartphones und machen erst einmal Fotos von sich vor dem Spiegel, vorher und nachher und währenddessen. Das landet dann sofort bei Instagram oder Facebook oder Twitter, denn man muss es ja unbedingt weitergeben, denn alle diese User sind ja eigentlich Lemminge. Wenn einer das Springen von Felsenklippen liked, dann wird daraus eine Challenge und alle machen so lange mit, bis es niemanden mehr gibt, der mitmachen kann, weil sie alle am Fuß der gleichen, malerischen und oft geteilten Klippe liegen. Zum Glück für mich, denn Tote haben keine Frisurenprobleme mehr, machen vieles nur virtuell mit und bleiben real am Leben. Wenn alles mitgeteilt wurde, dann lesen sie, denn sie haben sich längst ein paar Bücher auf das Smartphone geladen. Oder sie haben einen E-Reader dabei. Und der ist bunt gefüllt. Ich kenne das, ich kaufe zwar Bücher zum Aufklappen, aber sonst ist es genauso. Ich hole immer einen anspruchsvollen Roman, den ich an der Kasse nach oben lege und dann ein paar Bücher, die ich wirklich lese, von denen ich aber dreist behaupte, sie seien für die Oma oder Tante. Denn ich will doch beim Buchhändler nicht als blöd gelten, darum liegen die drunter. Das machen die Leute beim E-Reader auch. Ein Houllebecq auf drei Pilcher und alle sind glücklich. Nun können die E-Reader-Firmen aber im Netz genau sehen, was man wann und wo seitengenau gelesen hat. Also nix mit drei Eselsohren dran und ungelesen ins Regal gestellt. Jetzt muss man die lesen oder wenigstens blättern, sonst kommen Kontrollmails: „Sie haben ja den großen deutschen Zeitroman gar nicht ganz gelesen, sondern nur die beiden Regionalkrimis. Wir können auch das Anspruchsvolle bei Ihnen weglassen.“ Und dann bewerben Sie sich als Lagerist bei ALDI und der Chef fragt, warum Sie den Lyrikband der Nobelpreisträgerin nicht durchgelesen haben. So jemanden könne er nun wirklich nicht in seiner Firma brauchen. Oder bei einer Fahrzeugkontrolle lachen die Beamten über ihre Vorliebe für Heimatromane. Also müssen jetzt alle auch die schweren Sachen lesen. Und deshalb lese ich nicht elektronisch. Das ist einfach leichter. In diesem Sinne: Der Nächste bitte. Lars Johansen