Salongeflüster: Luther in Magdeburg
Neulich stand er bei mir im Salon. Mittendrin. Martin Luther! Ich dachte zuerst, es wäre einer von diesen Mittelalterfreaks, der sich in sein Kostüm fürs Kaiser-Otto-Fest gezwängt hatte, aber er war es leibhaftig. Er sah genauso nicht aus, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte, sondern eigentlich ganz normal. Und er lachte. Lachte unbändig. Ich bat ihn ein wenig ungehalten um Ruhe. Er blickte mich an. „Na, Meister der Schere, was ist euch denn über die Leber gelaufen? Euer Laden sieht gut und teuer aus, ich bin sicher, ihr nehmt die Armen aus wie Weihnachtsgänse. Ist es euer Gewissen, das euch plagt?“ Und dann lachte er wieder. Ich war ein wenig eingeschnappt. „Ich bin billig. Und ich nehme den Armen nur das ab, was mir zusteht. Im Übrigen sind die Armen hier gar nicht arm.“ Luther lachte wieder: „Ein Reicher, der nicht reich ist, Arme, die nicht arm sind, in was für seltsamen Zeiten lebt ihr nur. Wahrscheinlich können eure Priester auch nicht predigen und euer Bürger-meister nicht regieren.“ Wer bin ich, dass ich Luther da widersprechen würde? Und dann ließ ich ihn erzählen, von dem was er bisher erlebt hatte. Denn so wie er konnte nur der echte Luther sprechen. Er staunte, dass Wittenberg wieder genau so aussah wie zu seiner Zeit. „Dabei war es doch ein elendes Kuhdorf. Und das ist es wieder geworden. Das ist so echt, ich warte nur darauf, dass die Menschen wieder direkt in den Rinnstein pissen. Und Pest und Cholera ausbrechen.“ Ich beruhigte ihn. „Dafür haben wir gar kein Geld, es reicht nur für Hühnerpest und Vogelgrippe.“ Er sah mich an: „Das ist mir auch schon aufgefallen. Es ist so schrecklich ruhig hier bei euch. Bei uns haben die Vögel immer ein Höllenspektakel veranstaltet, dagegen kann euer Autoverkehr einpa- cken. Und wir hatten Unmengen von summenden Bienen.“ Ich sagte ihm, dass Vögel und Bienen weniger werden. Er lachte nicht mehr: „Aber ihr, ihr werdet immer mehr, braucht immer mehr. Immer mehr“. Seine Stimme erstarb. Und ich wachte auf. Gottseidank, nur ein Traum. Bloß nicht drüber nachdenken. In diesem Sinne: Der Nächste bitte. Lars Johansen