Salongeflüster: Auslesen

Es wird Frühling, die ersten Kunden haben Bücher dabei. Kaum steht die Buchmesse vor der Tür, wird wieder gelesen. Zumindest nimmt man es sich vor. Das Problem ist, dass aber in den meisten Fällen nicht zu Ende gelesen wird. Nur einige wenige, die Auslese nämlich (daher kommt auch der Name), liest das Begonnene auch bis zum bitteren Ende durch. Also ist die Auslese eigentlich eine Durchlese, aber das klingt eher nach einer Durchreiche, also irgendwie blöd. Und blöd sein will ja keiner.
Die Jüngeren haben sogar richtige Bücher dabei. Sie nennen es Vintage und das ist angesagt. Darum hören sie auch wieder Schallplatten statt zu streamen. Ich sage dann immer, dass sie gerne Vintage haben können und schneide ihnen Vokuhilas. Klar sieht das scheiße aus, aber wer redet denn davon, dass es gut aussehen muss. Nur originell ist wichtig. Und einzigartig sehen sie danach auf jeden Fall aus. Aber zurück zu den Büchern. Einige Zeit hatten ja ganz viele Kunden diese E-Reader, weil die so schön praktisch waren. Man konnte ganze Bibliotheken darauf speichern und dann damit angeben. Aber man musste für die Titel fast genau so viel bezahlen wie für gedruckte Bücher. Am schlimmsten aber war, dass die Händler immer Zugriff auf die Geräte hatten. Die wussten genau, was man wann und wie lange gelesen hatte. Oder eben auch nicht gelesen hatte. Was ist dagegen schon die NSA? Wenn man sich also zum Angeben ein paar unbekannte Nobelpreisträger drauf geladen hatte und zum Lesen ein paar Rosamunde-Pilcher-Romane, dann wussten die das. Wer weiß, ob die einen nicht irgendwann einmal mit diesem Wissen erpresst hätten. Dann hätten alle gewusst, dass man nur den niveaulosen Billigkram wirklich gelesen hatte. Oder noch schlimmer umgekehrt: So ein Gangsterrapper wäre bei Kafka-Lektüre erwischt worden. Der hätte doch seine ganze Glaubwürdigkeit in der Szene eingebüßt. Am Allerschlimmsten: Es wäre herausgekommen, dass der Björn Höcke gar nicht Hitlers „Mein Kampf“, sondern nur „Heidi“ gelesen hat. Aber das hat er wenigstens auch verstanden.
In diesem Sinne: „Der Nächste bitte.“

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