Salongeflüster: Alle Jahre wieder

Weihnachten ist mal wieder ausgebrochen. Dieses Jahr so früh wie nie. Die Lichterketten hingen schon zu Halloween am alten Markt und machten damit dieses heidnische Fest, bei dem verkleidete Kinder um Süßigkeiten betteln müssen, zu einem vorweihnachtlichen Adventssingen. Nur dass niemand sang, sondern jeder sich fragte, ob er oder sie irgendetwas verpasst hätte. Die ersten wollten sogar schon Weihnachtsfrisuren in meinem Salon. Ich flocht gerne hier oder da etwas Lametta ins Haar. Das sah zwar im Spätherbst so aus wie Alusträhnchen, die weibliche Alternative zum Aluhut, aber das trägt man ja gerade wieder ganz gerne. Denn Aberglauben ist angesagt. Postfaktisch ist sogar das Wort des Jahres geworden. Wir sollen gerade im postfaktischen Zeitalter leben. Aber wann war das faktische Zeitalter und wann das präfaktische vorbei? Oder heißt es hier prähistorisch? Oder, anders gefragt: Wann haben wir aufgehört, an Hexen und Dämonen, und begonnen, an Chemtrails zu glauben? Das sind ja eigentlich die Kondensstreifen von Flugzeugen, aber das klingt nicht so spektakulär. Sind diese Chemtrails jetzt auch am Industrieschnee schuld, der dieses Jahr zum ersten Mal in Magdeburg gefallen ist? Ich dachte immer, Industrieschnee kommt aus Schneekanonen, aber es soll der Dampf aus Fabriken sein. In Wernigerode gab es im Dezember sogar nachts Plustemperaturen. Ganze 14 Grad, da gab es schon kältere Mainächte. Daran wiederum ist der Föhn schuld. Oder der Fön? Also der Fallwind oder der Haartrockner? Seit der Rechtschreibreform heißt alles Föhn, nur der Kamm heißt noch Bürste. Ich hatte ja auch mal so einen starken Föhn in meinem Frisiersalon, der hat wacklige Frisuren weggeweht und die halbe Innenstadt aufgeheizt. Und jetzt hat sich der ganze Harz in einen Frisiersalon verwandelt und föhnt die Kälte weg. Aber zurück zum postfaktischen Zeitalter: Ich glaube, das faktische Zeitalter waren zwei warme Sommertage 1991. Da wussten auf einmal alle, welche Frisur ihnen wirklich steht. Und haben genau die bei mir bestellt. Aber das ist lange vorbei. Na ja, egal: Das Nächste bitte.

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