Römers Reich: Die edle Grausamkeit
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen“, so begann unser Dichtervater J.W.G. das Poem über „Das Göttliche“. Doch der Glaube ans Gute im Menschen bröckelt. Schauen Sie sich einfach um! Sie sind umzingelt von Konsumverschwendern, Umwelt- und Klimazerstörern, Massentierhaltungsaktivisten, von Nazis und Lügenpropagandaverbreitern. Können Sie da irgendwo einen guten Menschen ausmachen?
Kürzlich war ich bei einer Buchvorstellung in Erfurt. Auf dem Podium saßen die Herausgeberin sowie drei Personen, deren Leben von der DDR ins vereinte Deutschland per Interviews dokumentiert wurde. Christine Lieberknecht, die ehemalige CDU-Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen, war dabei und der Bürgerrechtler Ralf-Uwe Beck, der das Beitrittsgebiet Ostdeutschland einst als „Bundesdeutsche Besatzungszone“ bezeichnet hatte. Über Lebenswege von Menschen kann man viel erzählen. Keiner ist wie der andere. Über Heimat wurde auch diskutiert und dass der einen die DDR eine solche war und dem anderen dieses Wort für den Unterdrückungsstaat niemals über die Lippen käme. Es lag in der Luft, dass unterschiedliche Erfahrungen und Bewertungen den Äther dicker machen würden. Ich habe mich in die Debatte eingebracht und erklärt, dass bald jeder wüsste, was Heimat ist. Schließlich hätten wir heute einen Heimatminister mit einem großen ministeriellen Stab. Die würden sicher die Heimat für jeden finden.
Das mit der Heimat wollte ich gar nicht erzählen. Es war das Plädoyer von Ralf-Uwe Beck am Ende der Veranstaltung und die Reaktion des Publikums, die mich stutzig machte. Eindringlich redete er allen im Saal ins Gewissen: Wir seien mit unserer Lebensweise verantwortlich für Flucht, Kriege, an Ressourcenvernichtung und für den Klimawandel. Wir – damit meinte er den reichen Westen – entzögen anderen die Lebensgrundlage. Als Beck seinen kritischen Einwurf beendet hatte, gab es tosenden Applaus. Ich schaute mich um, sah in begeisterte Gesichter und fragte mich, was die Menschen ab diesem Abend anders machen würden. Sie dürften sich nach dieser Kritik an ihrem Leben in Wohlstand nicht zu den Hilfreichen zählen. Vernichtung und Verderben haben sie und ihre Vorfahren über die Welt gebracht. Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber ich wollte einfach nicht glauben, dass nach dieser Rede irgendwer sein Leben auf den Kopf gestellt hätte, um sich vom Bösen zum Guten zu wenden. Alle haben die Kritik an ihrer eigenen teuflischen Zerstörungskraft frenetisch beklatscht. Ob sich darin die Edelkeit des Menschen zeigt, dass er der eigenen Grausamkeit Applaus spenden kann? Ich bin mit gesenktem Kopf über die edlen Claqueure nach Hause gegangen, während der edle Herr Beck noch guten Wein genossen hat. Axel Römer