Otto und die Rolling Stones

Leider hatten sie nie Magdeburg auf ihrem Tourplan. Das müssen wir ändern. Irgendwann möchte ich diese wunderbaren faltigen Hände des großen Riffmeisters, der mit fortschreitender Arthritis seine Kunst auf das Wesentliche beschränkt, sie Jahr für Jahr minimalistischer macht und so tatsächlich auf der Suche nach dem einen Ton zu sein scheint, den Eric Clapton einmal als Triebfeder seines Gitarrespiels angab, irgendwann möchte ich sie sehen.
Fünfmal ist er Großvater inzwischen. Das fünfte Enkelkind ist der Schlüssel zur Landeshauptstadt, der Ottostadt. Ich denke, man muss dem Oberbürgermeister mal sagen, es ist Zeit für den Bau eines Ottojanums, eines hypermodernen Baus im Stadtpark, in dem sie alle als Hologramm versammelt sind und mit den Besuchern reden, die Ottos dieser Welt. Und da gehört auch der fünfte Enkel des Rolling-Stones-Gitarristen Keith Richards hin, der Enkel namens Otto.
Um die Zeit der Geburt Ottos erzählte Keith Richards die Geschichte seines Großvaters: „Theodore Augustus Dupree lebte mit sieben Töchtern nahe der Siebenschwesterstraße in einem Haus voller Musikinstrumente und Kuchen.“ Was für ein monumentaler Anfang einer kleinen Geschichte, einer höchst liebevollen, wie sich aus diesem Satz ahnen lässt, einer mit Liebe und Respekt erzählten. Nach dem Großvater ist die Tochter Theodora benannt, die das Kinderbuch von Keith Richards, „Gus & ich“ auf eine sehr eigene, feine Art mit ihren Illustrationen miterzählt hat. In diesem Buch begegnet einem der Familienmensch Richards, von dem die Tochter erzählt, er habe ihnen als Kindern die Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen und Mozart vorgespielt. Richards erzählt von der Vorfreude des kleinen Keith auf den Besuch bei Großvater Gus, der mit dem Jungen durch die Hügel, die Dörfer, die Stadt London streift. Er erzählt vom Besuch in der Werkstatt eines Geschäftes für Musikinstrumente, wo Keith staunend all die Töne hört, die probehalber aus den verschiedenen Instrumenten erklingen. Die Gitarre auf dem Klavier, bisher wenig beachtet, wird der Gegenstand seiner Sehnsüchte. Irgendwann, als er groß genug ist, sie spielen zu können, schenkt sie ihm der Großvater, wahrscheinlich nicht wissend, dass er damit den Grundstein für eine Karriere legte, wie sie wohl kaum ein zweites Mal möglich sein wird. Wenn er erst „Malaguena“ spielen kann, meint der Großvater, dann hat ers begriffen.
„Noch heute , nach so vielen Jahren, denke ich an Gus. Immer wenn ich eine Bühne betrete oder einen Song schreibe, immer wenn ich nach der Gitarre greife und ein paar Dinka-plinks für meine eigenen Enkelkinder spiele, sage ich mir: Danke, Großvater, Danke, Gus!“
Zur de-luxe-Ausgabe des Buches gehört eine CD, auf der Keith Richards seine Geschichte erzählt. Man bekommt also einen Eindruck, wie der Stones-Großvater seinen Kindern als Vater die Gute-Nacht-Geschichten erzählt hat und natürlich eine Hörprobe von „Malaguena“. Ein wenig arthritisch, aber hier geht es ja um große Emotionen, weniger um ausgeklügeltes solistisches Können.
Eine Familiengeschichte, einfach und klar erzählt, mit großer Warmherzigkeit und der kleinen Hoffnung, selbst kein schlechterer Großvater sein zu dürfen als Gus, der geliebte. Im Schlussteil des Buches gibt es noch einen kleinen Blick in das Richardssche Familienalbum.
Ja, erschienen ist das Buch in der gelungenen Übersetzung von Andreas Steinhövel bei Heyne. Es ist in seiner berührenden Schlichtheit über die Jahre ein Lieblingsbuch des langsamen Lesers geworden.
Und wie kriegen wir nun den Enkel Otto in die Ottostadt Magdeburg? Sicher nicht mit einem 6 Meter hohen Denkmal seines Großvaters, weil 1. die Chinesen vermutlich kein Geld für Keith Richards ausgeben würden und 2. die Trierer von den Chinesen ein solch kompaktes Geschenk schon aufgedrückt bekommen haben. Wie sollte man aber eine so frühe Ehrenbürgerschaft verantworten? Und da die Stones und Magdeburg auch nie miteinander gesehen wurden, ließe sich auch eine Ehrenbürgerschaft des Großvaters nicht vermitteln, ganz davon abgesehen, dass der Künstler solcherlei Ehrungen immer fernbleibt. Und da wird es eben schwierig mit der Ottostadt. Es gibt keinen wirklichen Inhalt zum Marketinggag. Otto studiert und Otto denkt und Otto trinkt und Otto bricht sind einfach aufgebraucht. Man hat schlicht versäumt, dem Otto ein Eigenleben einzuhauchen. Einen Ort zu bauen, der nur ihm gehört, ein Buch zu präsentieren, das den Ottos dieser Welt gewidmet ist, vor allem auch ihrer Beziehungen zur Ottostadt, das nun auch jeder Otto dieser Welt in die Hand gedrückt bekommt. Eine Art Magdeburger Tauf-Elb-Wasser, dass man sich künftig der Stadt verbunden fühlt, mit einer kleinen jährlichen Präsentation, mit der sich die Stadt bei ihrem Otto in Erinnerung ruft. Wo man am Ottotag die Ottos dieser Welt in der Ottostadt versammelt. Hat man schon gemacht. Aber nur als Werbegag. Das ist auf Dauer zu wenig. Otto braucht Inhalte, wenn man als Otto ins Ottojanum kommen soll. Darüber reden wir noch!
Otto der Große, dem wir die Ottostadt schlussendlich zu verdanken haben, hat seinerzeit immer groß und nicht provinziell gedacht. Wie habe ich immer gesagt? Die Insel des Fortschritts ist die Provinz. Die Voraussetzung ist, dass sie nicht provinziell denkt.
Wie kamen wir jetzt darauf? Ach so, ja. Wie holen wir die Rolling Stones nach Magdeburg? Und dass der Schlüssel dazu Otto sein dürfte, der fünfte Enkel des Kinderbucherzählers Keith Richards, gilt als ausgemacht. Jetzt macht mal was draus. Dann habt Ihr die Rolling Stones für die Stadt, und ich habe sie in der Stadt. Man fährt im Alter ja nicht mehr gern so weit. Ludwig Schumann

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