Langsamer Leser: Hinter Gittern – vor der Chance?

„Ja“, heißt es, „die hinter Gittern wissen, dass sie eine Zukunft haben. Ihre Opfer haben freilich keine mehr .“ Und schon sind wir in der Unmenschen-Debatte, die jedermann, der über Menschen etwas differenzierter denken will, als Gutmenschen abqualifiziert. Der Begriff wurde Ende der achtziger Jahre geboren, als man in der neunundachtziger Fraktion einen verachtenden Begriff für die achtundsechziger Generation suchte. Klaus Bittermann legte Anfang der neunziger Jahre  das „Wörterbuch des Gutmenschen“ vor. Das erste Mal öffentlich gebraucht haben will ihn der im Alter von siebzig Jahren am 31. Juli 2018 verstorbene Kulturjournalist und Mitherausgeber des Magazins „Der Merkur“ Kurt Scheel. Der Begriff mutierte bald zum Kampfbegriff gegen alles, was den Achtundsechzigern als positiv galt. Die „Gutmenschensprache“ wurde alsbald mit der „Politischen Korrektheit“ verbunden. Synonym wurden Begriffe wie „Betroffenheitssprache“, „Gesinnungskitsch“ (beides bei Bittermann) daraus abgeleitet. Völlig frei von jeglicher Moralität verdampfte die „Gutmenschensprache“ schließlich zu dem, was wir heute im Populistensprech als „Fake News“ bezeichnen, einer moralfreien, die Lüge zur Wahrheit erklärenden Sprache. Wenn die Demokraten nun ihre letzte Bastion verlieren, eben die Sprache, wenn sie nicht mehr vermitteln können, dass sie zumindest noch auf das Gut der Wahrheit setzen und es laut machen, wenn genau das nicht mehr bei ihrem Publikum ankommt, ist die Selbstzerstörung der Demokratie in greifbare Nähe gerückt.

Erinnern Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser noch des Satzes, den nach der Bundestagswahl ein triumphierender Alexander Gauland in die bereitwillig hingehaltenen Mikrophone der Presse sprach? „Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen.“ Wer hätte damals gedacht, dass die AfD Recht behalten würde? Schließlich gehören immer zwei dazu: Einer, der jagt. Und einer, der sich jagen lässt. Die AfD hatte willige Treiber gefunden, Söder, Seehofer, Dobrindt, um nur einige zu nennen. Es war nicht die AfD, die Frau Merkel jagte, es waren die Treiber der CSU, denen sie versuchte, zu entkommen. Das Jagdrecht bestimmt seither die deutsche Politik, nicht die freie Willensentscheidung der Demokraten. Anstatt die Arbeit zu machen, die dran ist: Sozialer Wohnungsbau, Stabile Renten, Gründliche, zukunftsträchtige Ausbildung, Solide Lohnpolitik in Krankenhaus und Feierabend- sowie Pflegeheimen und so weiter, verkeilt man sich in der Flüchtlingsabwehr, in der wenige bis keine außer symbolischen Erfolgen zu erreichen sind und blockiert somit wissentlich die eigentlichen Aufgaben der Regierung. Ganz davon abgesehen, dass ich von einem (jedem) Innenminister verlange, dass er einen Masterplan zur Integration vorlegt. Man kann schnell die Leute aus dem Land jagen wollen, wie unlängst auch unser Ministerpräsident heiße Luft zum Thema verfurzen musste: Bei gerademal 45.000 Ausländern im Land Gedanken über ihre Rückführung nach Syrien zu verschwenden, grenzt für mich an Arbeitsverweigerung. Und wenn Jobcenter wie in Halle einen gelernten Koch, der die italienische, die indische und die arabische Küche beherrscht, unter dem Grund nicht vermitteln, weil er ja die deutsche Sprache nicht beherrsche, dann kann ich dahinter nur eine Denke wittern, die gar nicht vermitteln will. Darum sollten Sie sich kümmern, Herr Haselhoff! Das machte Sinn, als solchen Unsinn zu verkünden, für den man sich schämen muss, wohin man auch kommt. Die Kanzlerin lässt sich jagen. Das hätte ich nicht gedacht. Sie entzaubert ihre erfolgreiche Politik, waidwund getroffen von diesem bayrischen altersstarrsinnigen Oberidioten, den sie sich selbst bei der Regierungsbildung auf den Hals gesetzt hat. Nun ist es soweit, dass sie in Spanien Abkommen verhandeln muss, die im Prinzip zweifelhaften Wert besitzen, weil sie zwar viel Zeit beanspruchen, aber wenig erreichen. Denn es gibt recht wenig Flüchtlinge, die von hier aus wieder nach Spanien zurückgesandt werden müssen. Während, wie gesagt, die dringlichen Fragen unbeantwortet bleiben, verschwendet man eine Menge Zeit mit Abkommen, die kein Mensch braucht, gejagt von Herrn Seehofer, im Auftrag von Herrn Gauland.
Jetzt haben wir uns aber weit von unserem Thema entfernt.

Sieben Jahre besteht inzwischen die TalentLos!Schreibwerkstatt der JVA Burg. Vier Bücher, drei Poesiehefte sind in dieser Zeit erschienen, ein Buch mit dem Nachwort von Konstantin Wecker, ein Poesieheft mit dem Nachwort des Deutschen Haiku-Vereins. Die Bücher und Hefte werden inzwischen deutschlandweit gelesen und zur Kenntnis genommen. Ein schöner Erfolg für die Autoren. Trotzdem steht immer mal wieder der Vorwurf im Raum, dass man sich um die Täter mehr kümmere als um die Opfer oder deren Angehörige. Ich kann das nicht entkräften. Ich bin freilich nicht aus eigenem Antrieb in diese Arbeit gegangen, sondern weil ich von der Seelsorgerin angefragt wurde, wofür ich ihr heute noch dankbar bin, auch wenn mich das pro Monat drei volle Arbeitstage kostet, weil alle diese Arbeit ehrenamtlich ist. Gefragt, was ich denn bei dieser Arbeit in der JVA gelernt hätte, antworte ich: „Demut.“

Jeder hier ist Mensch. Jeder braucht die Hoffnung, eines Tages seine zweite Chance zu erhalten. Dem zuvor liegt eine lange Reise zwischen Hoffnungslosigkeit und der Auseinandersetzung mit der Tat. Und manchmal bekommt man etwas zurück, was einem den Atem stocken lässt. Wenn jemand nach sieben Jahren sagt: „Sie beide waren die ers-ten Menschen, die mich aufgefangen haben.“ Ja, vielleicht. Schreiben ist immer eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Das bedarf eines ganzen Stü-ckes Mut. Und immer wieder darf man Zeuge sein, wie da jemand über sich hinauswächst. Am 10. Oktober, 19.00 Uhr, werden wir unter der Schirmherrschaft von Herrn Staatsminister Rainer Robra gemeinsam mit einem der weltbesten Gitarristen, Uwe Kropinski, das neue Poesiealbum der TalentLos!Schreibwerkstatt der JVA Burg im Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg vorstellen. Ich freue mich auf diesen Abend, auf die Aufregung der Autoren, auf ihre Geschichten und ihre Bereitschaft, über sich zu erzählen. Ich glaube, das wird wieder ein spannender Abend! Ludwig Schumann

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